Kurt Mühle

Zelenka - Trilogie Band 1


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lange Zeit hier gewohnt hatte, kamen ihr die Ortskenntnisse dabei zu Gute. Plötzlich blitzte hinter ihnen eine Polizeikamera. Geschwindigkeitsüberschreitung. Prompt winkte hundert Meter weiter ein Verkehrspolizist zum Anhalten. Marion fuhr auf den Mann zu, bis der in Panik zur Seite sprang, und jagte mit einem gewagten Ausweichmanöver davon.

      „Da kriegste aber ein Problem”, meinte Georg grinsend. So etwas wie Anerkennung lag in seiner Stimme. Was für Marion ein böses Nachspiel haben konnte, kam ihr beim Versuch, sein Vertrauen zu gewinnen, sehr zustatten. Er betrachtete die attraktive blonde Frau mit den leuchtend blauen Augen nun genauer und kam zu dem Urteil, dass sie mit solch einem Aussehen durchaus Besseres im Leben hätte erreichen können.

      „Nee. - Ich hab’ die schönste Ausrede der Welt: Du hast mich zu allem gezwungen. Mir passiert da gar nichts. Die glauben mir jeden Dreck; bin ja schließlich eine von ihnen. Jedenfalls denken die das.“

      Der Polizeifunk meldete, man verfolge das verdächtige Fahrzeug nach Norden in Richtung Wesel. Ü16 könne ausgelöst werden.

      „Wesel”, lachte sie mit gespieltem Jubel, „genau die falsche Richtung! Hach, da sollen sie man fleißig weiter suchen.“ Und auch Georg gab ein paar höhnische Laute von sich. Immer noch hielt er die Waffe auf Marion gerichtet und beobachtete unentwegt jede ihrer Bewegungen. Vielleicht entging ihm gerade deshalb etwas ...

      Vielleicht war zudem durch die Strumpfmaske seine Sicht eingeschränkt, so dass er etwas nicht bemerkte, was ihn sonst arg beunruhigt hätte: Es herrschte keinerlei Verkehr auf der Autobahn, auf die sie gerade einbogen, zumindest fuhr kein anderes Fahrzeug in ihre Richtung. Auf der Gegenfahrbahn floss der Autoverkehr ganz normal. Marion beschleunigte kräftig und war zugleich eifrig bemüht, das Gespräch nicht abreißen zu lassen. Sie nestelte an ihrer Kleidung herum, um seine misstrauische Aufmerksamkeit ganz auf sich zu ziehen.

      Hinter der Brücke lag der hell erleuchtete Rheintunnel. Allmählich nahm Marion Gas weg. Misstrauisch wollte Georg sogleich wissen: „He, was soll das? - Warum fährst du plötzlich langsamer?“

      „Weil man nie wissen kann ... Wenn da plötzlich eine Sperre kommt, kann ich die Karre wenigstens noch rasch wenden.“

      Georg gab sich damit zufrieden. Allmählich fasste er etwas Vertrauen zu der rasanten Fahrerin neben ihm. Ist vielleicht wirklich ’ne ganz patente Braut, dachte er. Mal sehen, eine kleine Belohnung sollte für sie drin sein. Mehr noch; er betrachtete sie nun ganz als Frau. Seine Blicke streiften ihren Körper entlang. Vielleicht täten sich da ja auch ganz andere Möglichkeiten auf. Schon entfaltete sich bei ihm ein Hauch männlicher Phantasie ...

      Da geschah es.

      In der Tunnelmitte verlöschten plötzlich alle Lichter, es wurde stockdunkel. Im gleichen Augenblick machte Marion eine Vollbremsung; Georg, der sich nicht angeschnallt hatte, flog nach vorn. Mit einem lauten Knall schlug ihm der Beifahrer-Airbag entgegen, das Auto drehte sich um neunzig Grad, ehe es zum Stehen kam. Marion stieß die Tür auf und rannte in der Dunkelheit auf eine Stahltür zu, die zu einem Revisionsraum gehörte. Eine winzige Notbeleuchtung brannte darüber.

      Die Tür war nur angelehnt, so dass sie sich dahinter in Sicherheit bringen konnte. Sogleich bemerkte sie neben sich eine Gestalt, - ein Scharfschütze, der ein Gewehr mit aufgesetztem Zielfernrohr auf den Audi im Tunnel gerichtet hielt. Tiefes Aufatmen! - Übung 16 hatte präzise funktioniert.

      Mit dem Verlöschen der Tunnel-Beleuchtung hatte sie über den präparierten Fernlichtschalter des Autos die Scheinwerfer abgeschaltet und zugleich den Beifahrer-Airbag ausgelöst. Eine kleine Sendeanlage hatte zudem das Gespräch der Insassen ständig zu Petzold ins Präsidium übertragen. Dass es auch gelungen war, den Gangster in einen vorher ausgewählten Tunnel zu locken, machte sie selbst in diesem Augenblick, da ihr Herz raste und bis zum Halse pochte, ein wenig stolz. Und zugleich empfand sie Dank für ihre Kollegen, die so perfekt gearbeitet hatten.

      Als der Mann namens Georg mit klaffender Stirnwunde aus dem Auto torkelte, kamen von vorn und hinten mit Blaulicht und aufgeblendeten Scheinwerfern Polizeifahrzeuge auf ihn zugerast. Er versuchte noch, zurück zum Auto zu gelangen, wo ihm seine Waffe entfallen war, da dröhnte es mehrfach an sein Ohr: „Bleiben Sie stehen! – Nehmen Sie die Hände über den Kopf! – Das Spiel ist aus!“

      Georg gab auf. Handschellen klickten, die Tunnelbeleuchtung wurde wieder eingeschaltet, und Marion kam aus ihrem Versteck hervor. „Alles in Ordnung, Frau Kommissarin?“, fragte ein Beamter.

      Georg konnte es nicht fassen. Kommissarin?! Dieses Mädchen – eine Kommissarin?! – Reingelegt während der ganzen Zeit?! - Unbändige Wut ergriff ihn. „Du elende Hure! – Du verdammte Sau! – Dich Dreckschwein werde ich eines Tages zu Hackfleisch machen! Das schwöre ich dir, du schmieriges Miststück!“ -

      Am nächsten Morgen stand auf Marions Schreibtisch ein frisch gebackener Pflaumenkuchen, ihr Lieblingskuchen. Mitten drin steckte eine große Papierfahne mit dem Text „Wir sind sehr stolz auf unsere mutige Chefin.“ Und darunter hatten alle „ihre Männer“ kreuz und quer unterschrieben.

      Weniger euphorisch indes zeigte sich die Obrigkeit in Person des Kriminalrates Dr. Sowetzko, der Marion zu sich beorderte. Er tobte geradezu: „Das war eigenmächtig und gegen jede Sicherheits-Vorschrift! – Ich habe Ihretwegen Blut und Wasser geschwitzt! – Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?! Das sah zeitweise so aus, als wollten Sie mit dem Gangster zusammen Bonnie und Clyde spielen! Und dann - Falschmeldungen in unseren Funkverkehr zu lancieren! – Ihre Düsseldorfer Kollegen zu veranlassen, einen Autobahntunnel zu sperren! Einer Verkehrskontrolle obendrein Todesangst einzujagen!? Und – und – und! - Und überhaupt: Wir sind hier weder im Wilden Westen noch bei den Beduinen oder in einem anderen Film! - Und Sie sind kein weiblicher James Bond, der mit präparierten Autos wild in der Gegend herum zu rasen und für ’action’ zu sorgen hat. - Eigentlich müsste ich ein Disziplinarverfahren gegen Sie einleiten! Ist Ihnen das klar? Eigentlich ...“

      Er wanderte einige Male aufgebracht im Zimmer auf und ab, ging dann auf sie zu, sah sie eine Weile ernst an und strich ihr dann väterlich übers Haar, während er mit bewegter Stimme sagte: „Das hast du zwar großartig gemacht, Mädchen, - aber tu das nie wieder .“

       Courage

      Ein abgelegenes Dorf am Rande des Hunsrücks. Für Peter, von Beruf Industrieberater im Außendienst, hätte es keinerlei Reiz gehabt, wäre dort nicht ein ländlich-schmucker Gasthof mit einigen ruhigen, gemütlichen und preiswerten Zimmern gewesen. Und hätte es im Erdgeschoss nicht diese urige Weinstube gegeben, wo ein vorzüglicher Rheinhessen-Riesling ausgeschenkt wurde. Da es Peter häufiger in diese Gegend führte, war es kein Wunder, dass er gern hier übernachtete. Zwar kannte von den Dorfbewohnern, die sich abends gern in der Weinstube trafen, kaum einer seinen Namen, aber man kannte sein Gesicht, und begrüßte ihn daher wie einen alten Bekannten. Oft vertiefte man sich auch in Gespräche über Gott und alle Welt, mit jedem Viertel Wein pflegten dann Zunge und Wortwahl lockerer und unbekümmerter zu werden.

      So war es auch an diesem Abend, als sich ein älterer Landwirt, der schon einigen Rebensaft intus hatte und den alle Josef riefen, an den Tisch zu Peter setzte, der höflichkeitshalber sogleich seine Tageszeitung beiseite legte. Langsam kamen beide über die beliebten Einsteigerthemen Wetter, Preise und Autoverkehr ins Gespräch und prosteten sich dabei fleißig zu. Am Nebentisch erhob sich ein schwarz gekleideter Herr mit weißem Kragen und verließ grüßend das Lokal.

      „Unser Pastor Nottebohm”, flüsterte Josef geheimnisvoll und winkte Peter dichter zu sich heran. „Haben Sie sein brummiges Gesicht gesehen? - Dem nehmen sie jetzt seine liebsten Schäfchen aus dem Stall, wenn das stimmt, was da in der Zeitung steht.“

      Peter hatte weder des Pfarrers Gesicht studiert, noch verstand er, um welche Schäfchen es hier gehen sollte. Josef bemerkte seine fragende Miene, winkte Peter noch näher zu sich heran und raunte ihm zu: „Der Papst will doch die Messdienerinnen abschaffen, - verstehen Sie?“

      Peter hatte diese Nachricht zwar auch voller Unverständnis gelesen, sah aber darin für diesen Gemeindepfarrer keine Katastrophe; es sollte hier auf dem