Kurt Mühle

Zelenka - Trilogie Band 1


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Blaulicht und Martinshorn jagte der Polizeiwagen in den Duisburger Süden. Petzold standen dabei ob Marions Fahrweise die Haare zu Berge; nur stockend konnte er über Funk die örtliche Einsatzleitung weisungsgerecht informieren.

      Das Gebiet um das Bankgebäude war weiträumig abgesperrt. Es wimmelte von Polizeiautos und schwer bewaffneten Gestalten mit vermummten Gesichtern. Ein bislang unbekannter maskierter Mann hatte vor einer Stunde diese Bankfiliale überfallen und mit vorgehaltener Pistole vom Kassierer Geld verlangt. Als genau zu diesem Zeitpunkt zwei Polizisten, die nur harmlose Bankkunden waren, den Kassenraum betraten, löste der Kassierer Alarm aus und deutete Hilfe suchend auf den Räuber, der sich dadurch bedroht fühlte und einen Schuss abgab, während die beiden Beamten aus der Bank flüchten konnten und Verstärkung anforderten.

      Der Kassierer lag mit einer stark blutenden Wunde am Boden. Erst nach einer halben Stunde ließ sich der Räuber dazu überreden, dass ein Notarzt und ein Krankenwagenfahrer den Verletzten abtransportieren konnten. Neben drei weiteren Bankangestellten hielt er seitdem eine Kundin und deren zehnjährigen Sohn als Geiseln gefangen.

      Als Marion und Petzold eintrafen, verhandelte gerade ein Polizeipsychologe über Telefon mit dem Geiselnehmer. Man versuchte, Zeit zu gewinnen und den Verbrecher zu beruhigen, um jede weitere Affekthandlung zu vermeiden. Ihn zur Aufgabe zu bewegen, - das scheiterte jedoch. Im Gegenteil – nach einer gewissen Zeit verlangte er ein vollgetanktes Fluchtauto vor der Bank bereit zu stellen und alle Polizeibeamten abzuziehen. Mit der Kundin und ihrem Jungen als Geisel wollte er dann die Flucht antreten. Um seine Entschlossenheit zu demonstrieren, feuerte er einen Schuss ab; verzweifelte Angstschreie der Geiseln waren übers Telefon zu hören.

      Bei der Einsatzleitung machte sich große Besorgnis breit; der Mann klang zunehmend aggressiver und schien die Hinhaltetaktik zu durchschauen. Marion nahm Petzold beiseite und raunte ihm zu: „Ü16“.

      Petzold erschrak und schüttelte energisch den Kopf. Doch Marion erwiderte unbeirrt: „Wozu machen wir unsere Planspiele, wenn wir sie im Ernstfall nicht ausführen? Also los! Beweisen wir die oft geübte Präzision jetzt in der Praxis. Ich vertraue meiner Truppe. Und ich vertraue Ihnen, dass Sie das punktgenau organisieren.“

      Um sich besser verständigen zu können, sollte sich der Geiselnehmer einen willkürlichen Namen geben. Man einigte sich auf „Georg“. Sich mit Vornamen anzureden, war jovialer und sollte helfen, etwas Schärfe aus dem Dialog heraus zu nehmen. Der Einsatzleiter sagte ihm zu, ein Fluchtauto bereit zu stellen, wenn er zuvor die Geiseln freiließe.

      So leicht aber ließ sich Georg nicht überlisten; also wurde weiter verhandelt. Auf Marions Vorschlag hin sollte er sagen, ob er lieber einen Audi oder einen VW haben wolle, - die Auswahl diente als vertrauensbildende Maßnahme und um zu vermeiden, dass er sich im letzten Augenblick anders entscheiden würde. Er verlangte den Audi. Widerwillig telefonierte Petzold augenblicklich mit seinen Kollegen und machte sich dann sofort zu ihnen auf den Weg. Ihm war höchst unwohl zumute; aber wenn die Chefin sich mal etwas in den Kopf gesetzt hatte ...

      Weiterhin galt es, Zeit, Zeit und nochmals Zeit zu gewinnen. Kuriose Vorschläge wurden gemacht und möglichst breit diskutiert, gewollt zeitraubend. So gab man vor, den Entscheider noch nicht erreicht zu haben. Die leise Hoffnung, Georg durch diese Taktik mürbe zu machen, erfüllte sich jedoch nicht. Nach etwa einer Stunde verlangte er lautstark und ungeduldig, sofort das Auto bereit zu stellen.

      Nun sprach Marion zum ersten Mal selbst mit ihm: „Hallo Georg, das Auto ist schon unterwegs, hängt in einem kleinen Stau, soll ich dir sagen. - Aber es kommt. Bestimmt. – Ich bin übrigens die Marion, bin nur ’ne kleine Anfängerin hier bei der Polizei. – Mir tut die Frau mit dem Jungen da drinnen wahnsinnig Leid. Hab’ selber so ’n kleinen Jungen. Bitte, lass doch wenigstens das Kind frei!“

      Nein! Georg wurde zunehmend nervöser und damit unberechenbarer. Marion versuchte, ihn mit allgemeinem Gerede zu beruhigen, dankbar für jede Minute Zeitgewinn. Schließlich wurde ihr gemeldet, der angeforderte Audi sei in zehn Minuten zur Stelle.

      „Hallo Georg, gute Nachricht, - das Auto ist in ein paar Minuten hier. – Ich soll dir aber als letzten Vorschlag sagen: Die stellen die Karre nur vor die Tür, wenn du auf die Geiseln verzichtest. Hör zu, dafür komme ich unbewaffnet und mit erhobenen Händen in die Bank, - als Austauschgeisel. Bitte geh’ darauf ein, sonst wollen die wirklich die Bank stürmen. Mein Gott, das Kind tut mir so Leid! Dir doch sicher auch oder?

      Georg lehnte zunächst ab, als jedoch das Fluchtauto vorfuhr, mit laufendem Motor und geöffneter Fahrertür einladend dastand, forderte er Marion auf, in die Bank zu kommen. Sie verständigte sich rasch per Funk über Einzelheiten mit Petzold, dann trat sie ihren schweren Gang an. Wenig später stand er in der Tür, eine Strumpfmaske vor dem Gesicht, eine Plastiktüte voller Euroscheine in der Hand und Marion vor sich herschiebend, die Waffe gegen ihren Hals gedrückt.

      Die letzten Polizeiwagen und Scharfschützen brachten sich außer Sichtweite. Der Fahrer, der den Audi gebracht hatte, stieg langsam und vorsichtig aus und verließ mit erhobenen Händen den kleinen Platz vor dem Bankgebäude.

      „Du fährst!“, zischte er erwartungsgemäß und hangelte sich in geduckter Haltung auf den Beifahrersitz. Marion setzte sich ans Steuer, fuhr los und sah ihn dabei fragend an.

      „Nach links – und dann auf die Stadtautobahn.“

      „Mitten in den Ruhrpott hinein?“, fragte sie erstaunt. „Da sind wir ständig im Stadtgebiet, kommen über etliche Brücken. Hinter den Pfeilern verstecken sich unsere Scharfschützen besonders gern. Da hab’ ich – ehrlich gesagt - selber Angst“.

      Georg ließ erkennen, dass er überhaupt keine Planung für einen Fluchtweg hatte. Er wollte einfach eine Bank berauben; dass es so schief gehen würde, hatte er nicht einkalkuliert. Es dauerte nicht lange, da erblickten sie vor sich die erste Straßensperre. Nach einer gewagten Kehrtwendung, jagte Marion zurück und anschließend über mehrere Nebenstraßen. „So kommen wir nicht weiter!“, rief sie verzweifelt, als sei sie selber auf der Flucht.

      „Fahr schon und quatsch nicht herum! – Und tu nicht so, als wolltest du mir helfen!

      So’n Film brauchste hier nicht abzuspulen. Halt mich bloß nicht für blöd!“

      “Mach ich ja gar nicht. Was denkste wohl, mit was für’n paar Kröten ich im Monat auskommen muss?! –Ein beschissenes Leben ist bei der Polizei. Hat ich mir wahrlich anders vorgestellt“, sagte Marion mit bitterem Tonfall und fuhr nach einer Weile fort: „Ich könnte wirklich ein paar deiner Scheinchen gebrauchen, wenn ich dich hier ’rausbringe ...“ In diesem Sinne redete sie noch eine Weile mit ihm, ehe sie ihm vorschlug, in Richtung linker Niederrhein und Niederlande in weniger bewohnte, übersichtlichere Zonen zu fliehen und da drüben ganz rasch das Auto zu wechseln.

      „Du willst mich wohl in eine Falle locken!“, schrie Georg plötzlich auf. „Ich warne dich!“

      „Ich bin nicht lebensmüde!“, schrie Marion ebenso heftig zurück. „Im Gegenteil, ich möchte leben - leben - besser leben!“

      Georg traute ihr zwar nicht, sah aber andererseits die Logik ein, die in ihrem Vorschlag steckte.

      „Ich fahre Richtung Düsseldorf. Davor ist die neue Rheinbrücke mit dem anschließenden Tunnelstück. Hinterm Tunnel haben wir mehrere Autobahnen zum Ausweichen. In Ordnung?“

      „Okay, aber ich warne dich, - ich jag’ dir augenblicklich ’ne Kugel in dein Unschuldsgesicht, wenn du mich reinlegst!“ –

      Marion nickte und schaltete den Polizeifunk ein. Nach einigen Minuten schon kam unter anderem die Meldung, man habe das Fluchtauto des Duisburger Geiselnehmers aus den Augen verloren. Es folgte eine genaue Beschreibung des Fahrzeugs und seiner Insassen, gefolgt von der Bemerkung, Ü16 sei eingeleitet.

      Marion lachte schadenfroh: „Hach, ich hab’ sie abgeschüttelt! Was krieg’ ich dafür, he? Was ist es dir wert?“

      Georg meinte, sie solle froh sein, wenn sie mit heiler Haut davon komme, besann sich dann aber, dass es zweckdienlich sein könnte, das Mädchen in dem Glauben zu lassen, hier stecke etwas für sie drin. „Ich