Kurt Mühle

Zelenka - Trilogie Band 1


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an. War dieser zugereiste Städter so schwer von Begriff?! – Ein gehöriger Schluck Wein, ein unterdrückter Rülpser, dann beugte er sich wieder zu Peter vor: „Man munkelt, also ich weiß nichts Genaues, aber man munkelt eben, dass der Pastor was mit den jungen Mädels ... Verstehen Sie jetzt?“

      Peter setzte sich ruckartig aufrecht; solcher Dorfklatsch interessierte ihn nicht, so etwas ekelte ihn eher an. Abweisend blickte er zu Josef und verspürte wenig Lust, die Konversation mit ihm fortzusetzen.

      „Kann man den Pfaffen doch nicht verdenken”, rief der stark angetrunkene Josef aus, so dass es alle im Saal hören konnten. „Holen sie sich eben bei den naiven Dingern, was ihnen der Papst in Rom verbieten tut!“

      Augenblicklich erhoben sich drei andere Gäste, traten an den Tisch, rissen Josef unsanft vom Stuhl und bugsierten ihn gewaltsam nach draußen.

      „Halt dein versoffenes Maul, alter Quatschkopf!“, zischte einer von ihnen.

      Peter verspürte keinerlei Lust, eventuell Zeuge einer Wirtshausschlägerei zu werden, zahlte seine Zeche und verzog sich auf sein Zimmer.

      Am anderen Morgen gab es das übliche umfangreiche Frühstück und dazu den so herrlich duftenden Kaffee, den die Wirtsfrau persönlich aufbrühte. Gestärkt trat Peter nach draußen in die kühle Morgenluft. Ein wolkenloser Himmel versprach einen schönen Tag. – Als er am Ortsausgang angelangt war, wo ein alter Steinbrunnen stand, umrahmt von vielen Blumen, da erblickte er auf der Bank davor jenen Bauern Josef, - aber wie sah der aus?!

      Peter stoppte seinen Wagen und eilte zu dem Mann hinüber, dessen Gesicht übersäht war von Blessuren und Beulen. Es ginge ihm gut, er sei gestern Abend auf der Straße nur gestolpert. Und er erkannte Peter nicht wieder, - oder wollte er ihn nicht erkennen? Angebotene Hilfe lehnte er ab.

      Achselzuckend fuhr Peter weiter. Was ging’s ihn an? Sollten sie ihn mit diesem makabren Bauerntheater doch in Ruhe lassen! Was kümmerte ihn dieser weinselige Dorfklatsch?

      Der Pfarrer und seine Messdienerinnen, - ach Quatsch! Oder vielleicht doch nicht? Und wenn schon, - sollten die das unter sich regeln! Aber ...

      Einfach weghören, wegsehen, wenn da vielleicht Kinder missbraucht wurden? Fantasie eines Besoffenen, weiter nichts!

      Aber warum warfen die drei Gestalten Josef so urplötzlich aus dem Lokal? Sicher kannten sie ihn und mussten befürchten, er werde zu randalieren beginnen! Aber warum hatten sie Josef so zugerichtet? Ach ja, er war angeblich nur gestolpert!

      Kriegt man solche Blessuren vom Stolpern? Waren das nicht ziemlich eindeutig Spuren von Fausthieben? Solche Gedanken schossen Peter immer wieder durch den Kopf. Als er am Abend nach Hause kam, erzählte er seiner Frau Luise die Geschichte in allen Einzelheiten. Er musste das einfach los werden.

      Luise brauchte eine ganze Weile zum Nachdenken, ehe sie Peter übers Haar strich und sagte: „Verbrechen dieser Art geschehen so oft, nur weil Menschen einfach wegsehen. Wir wissen nicht, ob an der Sache was dran ist, - aber immerhin könnte es sein. Ich finde, wir sollten es der Polizei melden.“

      Peter grübelte weiter nach und gab zu bedenken: „Andererseits – wenn der Pfarrer unschuldig und die Sache nur dummes Dorfgeschwätz ist ... Wir könnten den Mann ruinieren, wenn wir ihm in dieser Situation die Polizei auf den Hals hetzen. Ist das zu verantworten?“

      „Auch nicht”, meinte Luise, ging ans Fenster und sah gedankenverloren in den Garten. „Also, wir schweigen und reihen uns somit unter die Wegseher ein.“

      „In ein paar Tagen kommt doch Marion aus dem Urlaub. Wir sollten sie um Rat fragen”, riet Peter. „Allerdings, es ist weder ihr Ressort noch ist der Hunsrück ihre Diözese. Sie kann den Verdacht nur an ihre Kollegen von der örtlichen Polizei weiterleiten, und das läuft beinahe aufs Gleiche hinaus, als würden wir selbst Meldung machen. Nein, wir brauchen einfach weitere Informationen. Wir müssen Genaueres wissen.“

      Schweigend aßen sie zu Abend. Jeder hing seinen Gedanken nach, in ihrer Fantasie geisterten scheußliche Bilder misshandelter Kinder herum. Endlich hatte Luise eine Idee: „Übermorgen ist doch ein Feiertag, und das Wetter scheint schön zu werden. Machen wir doch einen Ausflug in dieses Kaff und horchen wir uns da mal um. Ich wollte immer schon mal dein Stamm-Hotel kennen lernen. Wir müssen dort ja nicht übernachten. Fahren wir früh los, sind wir am Abend wieder zu Hause. Und vielleicht sehen wir dann etwas klarer, was wir zu tun haben.“

      Peter war sofort einverstanden, ja er war geradezu erleichtert im Gefühl, nun in dieser Angelegenheit etwas aktiv anzupacken. –

      Es war später Vormittag am Fronleichnamstag, als sie das Dorf erreichten. Peter parkte vor dem kleinen Gasthaus. Zu Fuß schlenderten sie an geschmückten Häusern vorbei zur Kirche in der Ortmitte. Pastor Nottebohm las in dem gut gefüllten Gotteshaus gerade eine Heilige Messe. Luise schlängelte sich nach vorn, um festzustellen, dass hier tatsächlich auch weibliche Messdiener agierten. Da mehr hier im Augenblick nicht zu erkunden war, verließen sie die Kirche wieder.

      Draußen schien die Sonne prall vom Himmel. Es wurde warm, und Peter lud Luise zu einem Eis ein. „Unten an der Straße ist ein italienischer Eissalon. Vielleicht können wir die Leute dort ein wenig aushorchen.“

      Aus dem Eisschlecken wurde nichts. Zwar stand an dem Haus noch in dicken Lettern „Eissalon Locarno“ geschrieben, doch waren die Fenster verhangen. Ein kleines Schild verwies darauf, dass hier jetzt eine Ballettschule Einzug gehalten hatte.

      „Eine Ballettschule? Hier in diesem Kaff?“, wunderte sich Luise und sah sich das Schild genauer an: „Nur für Kinder bis zu vierzehn Jahren.“ Die Pendeltür war offen, trotz des Feiertages. Peter ging mutig voran, kam in einen kleinen Flur mit einem Tresen, über dem das Schild „Anmeldung“ baumelte.

      Ein breitschultriger Mann erhob sich und fragte unwirsch, was er für sie tun könne. „Ich wollte meine Tochter anmelden”, entfuhr es Luise spontan, worauf der Mann den Kopf schüttelte und brummte, da sei vor einem halben Jahr nichts zu machen. Ob sie denn mal den Übungssaal sehen dürfe. Nein, der werde gerade renoviert. Welche Qualifikation denn die Übungsleiter hätten. Das wisse er nicht. Ob sich hier auf dem Lande denn so eine Schule rentiere? Man sei zufrieden. Ob man mit irgendwelchen kulturellen oder kirchlichen Organisationen zusammenarbeite. Der Mann kam hinter dem Tresen hervor, hielt in drohender Haltung die Tür auf und machte dazu eine eindeutige Handbewegung.

      „Toll”, sagte Peter, als sie wieder auf die Straße traten. „Ein Rauswurf erster Klasse. Komm, wir gehen zu meinem Gasthof zum Mittagessen. Mal sehen, was man uns dort über diese merkwürdige Ballettschule erzählen wird.“ -

      „Heute kann ich Ihnen nur einen Linseneintopf anbieten”, bedauerte die freundliche Wirtin, „an solchen Feiertagen ist die Küche eigentlich geschlossen.“ Peter und Luise waren die einzigen Gäste. Sie hatten nichts gegen einen deftigen Eintopf und lobten später das Gericht überschwänglich, um mit der Wirtin ins Gespräch zu kommen, die sehr gern und sehr viel redete, aber zunehmend einsilbiger wurde, als die Sprache auf die Ballettschule kam. Die Schule gäbe es seit einem halben Jahr, und da werde wohl gutes Geld verdient; denn die Betreiber seien nette Leute und hätten schon oft Geld gespendet für die leere Gemeindekasse, für die Feuerwehr und für die Renovierung der Polizeistation.

      Donnerwetter! Müssen die in der alten Eisdiele ein Geld verdienen! schoss es Luise durch den Kopf.

      „Gingen auch Spenden an die Kirche?“, fragte Peter. Das Gesicht der Wirtin verhärtete sich, sie zuckte kurz mit den Schultern und wollte sich entfernen. Peter aber rief ihr nach: „Gehen viele von den Messdienerinnen auch zur Ballettschule?“

      „Das geht mich nichts an”, lautete die unwirsche Antwort. „Die kommen sowieso meist aus den Nachbarorten.“ Und damit verschwand sie in die Küche.

      Luise warf Peter einen vielsagenden Blick zu. In diesem Augenblick kam von draußen mit hochrotem Kopf der Wirt herein, steuerte direkt auf Peter und Luise zu, quälte sich einen Gruß heraus und sagte: „Übernachten können Sie hier nicht; es ist leider alles belegt. Und einige Zimmer werden gerade renoviert.“

      „Hier