Kurt Mühle

Zelenka - Trilogie Band 1


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„Sollte das ein Lehrstück aus dem Buch „Wie erziehe ich meinen Chef“ sein?“, murmelte er vor sich hin und rang sich allmählich zu der Einsicht durch, dass der Einwand vielleicht doch ein ganz klein wenig berechtigt war. Er griff schließlich zum Telefon. „Tut mir Leid, Frau Zelenka – ich hatte Sie nur um einen persönlichen Gefallen bitten wollen ...“

      „In Ordnung”, sagte Marion knatschig nachgebend. „Ich mach’s ja.“ Und dachte bei sich: Na bitte, - es geht doch. -

      Elf Spürnasen, sechs Herren und fünf Damen, fanden sich pünktlich eine Woche später im Polizeipräsidium ein und wurden von Marion in einen Raum geführt, der sonst für längere Verhöre zur Verfügung stand. Da sie inzwischen milder gestimmt war und auch mit Rücksicht auf die fünf Damen in der Runde, stellte sie einen kurzen Besuch in der Pathologie an den Schluss, natürlich nur für Freiwillige. Zuerst durften die Gäste mal allgemeine Fragen stellen und auch Wünsche äußern, was sie gern sehen möchten. Da wurde natürlich die Asservaten-Kammer genannt, - dem Wunsch wurde stattgegeben. Die Zellen der Untersuchungs-Gefangenen wollte man sehen, - dem wurde natürlich nicht stattgegeben.

      „Auch bei uns gelten allgemeine Datenschutzregeln”, erklärte die Hauptkommissarin.

      Als Sprecher tat sich Arno hervor. Der eher zurückhaltende, ja etwas menschenscheue Mann genoss die Rolle, die ihm hier zugefallen war. Gewöhnlich war er zu Hause nur mit sich und seinem Computer allein, um seine Texte zu schreiben. Seit kurzem erst lebte er im Süden von Duisburg, hatte aber hier noch keine engeren Bekanntschaften gemacht, geschweige denn Freunde gewonnen. Jetzt sonnte er sich innerlich in dem Gefühl, anerkannt und wichtig zu sein. Und da er sich trotz seiner zurückhaltenden Art gut zu artikulieren vermochte, entwickelte er in diesen Stunden der hübschen Kommissarin gegenüber ein ungeahntes Maß an Charme.

      Bekanntlich geht die Liebe merkwürdige Wege, oft verkleidet sie sich in seltsamen Empfindungen; und oft maskieren sich seltsame Empfindungen als Liebe. Seitdem ihr Jugendfreund Henning sie mit ihrer Tochter Svenja hatte sitzen lassen, war ihr die Lust auf Männerbekanntschaften gründlich vergangen. Die Einarbeitung in ihre neue Position, Umzug, Einschulung von Svenja in einer Duisburger Tagesschule, - all das hätte ihr ohnehin kaum Zeit gelassen, einen neuen Partner kennen zu lernen. Stress gab es zwar immer noch genug, aber seit einigen Monaten geriet sie doch allmählich in etwas ruhigeres Fahrwasser. Vor allem lernte sie es, zu Hause abzuschalten von den harten Anforderungen ihres Kommissarinnen-Daseins. Aber mit dieser Fähigkeit zum Abschalten meldete sich erst versteckt, dann immer bohrender auch ein Gefühl von Einsamkeit.

      Gewiss, da gab es unter den Männern in ihrer beruflichen Umgebung einige, die mal versuchsweise den Bagger angeworfen hatten; sie jedoch hatte es sich zum Prinzip gemacht, niemals ein Verhältnis im Kollegenkreis zu beginnen. Selbst bei engsten Mitarbeitern, wie ihrem Stellvertreter Petzold, wahrte sie Distanz mit der förmlichen Sie-Anrede.

      Arnos Werben fiel daher zu dieser Zeit auf fruchtbaren Boden, zumal er sich geistreich, rücksichtsvoll und geduldig zeigte. Vielleicht fiel ihm das deshalb nicht schwer, weil er es durch die elterliche Erziehung gewohnt war, immer nur das zu tun, was man ihm vorgab. Das Reagieren lag ihm mehr als das Agieren. Marion empfand das als angenehme Zurückhaltung und deutete es schließlich als Indiz für seine ehrliche Empfindung. Was ihr wohl auffiel, war ein gewisser Mangel an Humor.

      Von nun an trafen sie sich häufiger, verbrachten zusammen jede freie Minute, die Marion hatte. In seinem Beruf als freier Journalist konnte er sich seine Zeit weitgehend selber einteilen, und das war dieser Beziehung sehr förderlich. Als sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten, spukten in ihrem Kopf gleich Zukunftsgedanken.

      Wenn es auch nicht die große Liebe im Herzen war, alles andere schien so wunderbar zu passen: Arno könnte tagsüber zu Hause arbeiten und sich nebenbei Svenja widmen, wenn sie aus der Schule käme oder wenn sie selbst plötzlich zu einem Einsatz gerufen würde.

      Bis jetzt konnte das Mädchen zwar zu den Wiedmeiers, dem netten Rentner-Ehepaar ausweichen, das unter ihnen wohnte und sich liebend gern um das Kind kümmerte. Aber das durfte kein Dauerzustand werden, zumal Svenja, seitdem der Vater bei Nacht und Nebel verschwand, immer einsilbiger wurde, bisher keine wirklichen Freundinnen hier in Duisburg gefunden hatte und in ihren schulischen Leistungen in letzter Zeit deutlich nachließ. Früher hatte Henning dem Kind hin und wieder mal eine bunte, lustige Postkarte geschickt. Nun aber kam nichts mehr von ihm, außer der monatlichen Alimentenzahlung. Zwei Briefe schrieb sie ihm noch, keine Antwort. Als auch zu Svenjas letztem Geburtstag nichts ankam, wurde dem Mädchen bewusst, dass es wirklich keinen Vater mehr hatte.

      Arno suchte zu der Siebenjährigen vorsichtigen Kontakt, aber Svenja verhielt sich überaus reserviert. Würde dieser Mann eines Tages bei ihnen wohnen, - als Mamas Lover, als ihr Ersatz-Papa? – Mehr und mehr ging Marion davon aus, dass es so kommen würde und bereitete ihre Tochter schonend darauf vor. Als Arno aber nie auf diese Möglichkeit zu sprechen kam, ergriff sie die Initiative; sie fragte ihn eines schönen Tages unvermittelt, ob sie nicht zusammenziehen sollten. Er willigte freudig ein, wollte aber vorerst auch seine eigene Wohnung im Duisburger Süden behalten. Marion fand das zwar merkwürdig, war andererseits aber ganz froh, dass er „seinen ganzen Plunder“ – wie sie es nannte – nicht mit in ihre Wohnung brachte.

      Ein paar Wochen später, als sie sich gemeinsam eingerichtet hatten und ihr Zuhause das Bild einer kompletten Familie widerspiegelte, lud Marion ihre Düsseldorfer Freunde Luise und Peter zum Abendessen ein. Arno bot sich an, ein Menü zu bereiten und gab sich redlich Mühe, da die besten Freunde seiner neuen Partnerin einen positiven Eindruck von ihm gewinnen sollten. Er wusste sehr wohl, dass er sich an diesem Abend auf eine Art Prüfstand befinden würde.

      Als die Hausklingel läutete, raste Svenja überglücklich Peter und Luise entgegen. Beim Abendessen wollte sie zwischen den beiden sitzen. Das eher stille Mädchen war wie verwandelt. Als es Zeit war, zu Bett zu gehen, bekam die Mutter einen Gute-Nacht-Pflichtkuss, Arno bekam artig ein Händchen, und Peter und Luise wurden liebevoll umarmt und gedrückt. Alles sah harmonisch aus, nur Luise blickte skeptisch drein, als man sich zum Plaudern niedersetzte, während Peter eine gute Flasche Rotwein öffnete, die er als Gastgeschenk mitgebracht hatte.

      Die sonst sehr redselige Luise blieb am heutigen Abend auffällig ruhig. Ihre Augen wanderten von einem zum anderen, verweilten aber immer häufiger und immer länger bei Arno. Wäre Peter nicht von Natur aus ein robuster Typ gewesen, dem solche Nuancen grundsätzlich nicht auffielen, hätte er vielleicht so etwas wie Eifersucht verspürt.

      Es war spät, als der gemütliche Abend zu Ende ging. Peter und Luise verabschiedeten sich herzlich. Auf der Rückfahrt herrschte aber zwischen beiden lange Zeit eisiges Schweigen, als haderten sie wegen irgendetwas miteinander. Peter bemerkte schließlich: „Das Essen war wirklich toll, das muss man dem Arno lassen. Welchen Eindruck hast du denn von ihm?“

      Luise dachte an Marion, an das Pech, das ihre beste Freundin bisher mit Männern hatte; sie dachte an die kleine Svenja. Mit ernster Miene blickte sie zu ihrem Mann; Besorgnis und ein Hauch von Traurigkeit lagen in ihrer Stimme, als sie bekannte: „Ich mag diesen Menschen nicht.“

       Geiselnahme

      „Alle mal herhören!“, rief Kommissar Laubitz durchs Büro. „Wichtige Durchsage! Oberstaatsanwalt Dr. Kämmereit feiert sein 25. Dienstjubiläum. Er lädt alle ein zu einem Gläschen Sekt, so gegen vierzehn Uhr.“

      Ausgerechnet Kämmereit, den sie gar nicht mochte. Ächzend lehnte Marion sich zurück, verschränkte die Hände im Nacken und stöhnte: „Muss das denn sein? - Es bleibt einem aber auch nichts erspart.“

      Es blieb ihr erspart.

      Denn gerade legte Petzold in aller Eile den Telefonhörer auf die Gabel. „Neues vom Banküberfall. Der Kassierer ist soeben gestorben. – Jetzt sind wir leider gefordert.“

      Seine Chefin sah betroffen drein, nickte nur, schloss ihren Schreibtisch, ordnete ein paar Akten und gab noch einige Anweisungen an ihre Kollegen. „Also los dann! – Ich fahre. Und Sie, Herr Petzold, rufen sofort den Einsatzleiter vor Ort an. Er soll auf gar keinen Fall dem Geiselnehmer gegenüber etwas vom Tod