Kurt Mühle

Zelenka - Trilogie Band 1


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Blitzaufklärung mochte er ohne nähere Erläuterung nicht trauen. Wegen des großen öffentlichen Interesses war auch Oberstaatsanwalt Dr. Kämmereit erschienen.

      „Machen wir’s kurz”, sagte Marion, „ich hab’ nämlich heute Abend noch etwas vor. – Also, die gräfliche Sippe stammt aus Hohenburghof bei Paderborn, - inzwischen nicht unbedingt verarmter, aber doch sehr verlotterter Adel. – Die ermordete Gräfin Hohenburghof betrieb mit ihrem Bruder Andreas Inzest, was nicht ohne Folgen blieb. Vor etwa zwanzig Jahren wurde Markus geboren, mit einer schweren geistigen Behinderung. Um den Skandal zu vertuschen, heiratete die Gräfin einen Bürgerlichen, der die Vaterschaft für Markus übernehmen musste. Dafür setzte sie ihm testamentarisch eine Apanage aus. Außerdem durfte er als ihr Gatte ein höchst angenehmes Leben führen, - eine Rolle, in der er sich sehr schnell und perfekt einfand, - auch als man das Schloss verkaufte und in eine Villa hier nach Duisburg zog. Irgendwie erwarb er einen Grafentitel, gekauft oder auf der Kirmes geschossen, - ich weiß es nicht. Auf alle Fälle hatte er immer genug Material in Händen, die Gräfin unter Druck zu setzen.“

      „Das ist doch nicht Ihr Ernst, Frau Zelenka!“, rief der Oberstaatsanwalt, bislang ein Freund des Grafen, empört dazwischen.

      „Keine Sorge, es kommt noch besser”, erklärte Marion ungerührt. „Das adlige Ehepaar verbarg ihren schwachsinnigen Sohn Markus in großzügig ausgebauten Kellerräumen, wo er im Geheimen nur für seine optischen Experimente und seine Scheinwelt von Geistern und solchem Quatsch lebte. Niemand kümmerte sich um ihn, und keiner wusste auch, was er da unten so trieb. Dem honorigen Grafenpaar war es wohl am liebsten, wenn sie ihn nie zu Gesicht bekamen. Als es Markus gefiel, seine Experimente in den letzten Tagen an seiner Mutter auszuprobieren, um sie in Angst und Schrecken zu versetzen, nutzte Andreas, der Haupterbe, diese einmalige Gelegenheit, ans Vermögen seiner Schwester zu kommen, indem er sie mit einem Messer erstach, das Markus gehörte und auf dem dessen Fingerabdrücke waren. Dazu war er eiligst mit seinem auffälligen Auto in der Nacht von Paderborn nach Duisburg gekommen und nach der Tat wieder zurückgefahren. Der Verdacht sollte eindeutig auf Markus fallen. – Um das Ganze noch deutlicher wie die Tat eines Schwachsinnigen aussehen zu lassen, stach er zwei Stunden nach dem Mord noch viermal auf die Tote ein und präsentierte uns die Tatwaffe auf dem Nachttisch. Soviel freundliche Hinweise auf einmal machten mich gleich stutzig. Pech für den Mörder, dass er Linkshänder, Markus aber Rechtshänder ist.“

      „Beweise bitte”, forderte Dr. Sowetzko, worauf ihm Marion erklärte, dass jenes Auto, das in der Mordnacht in der Nähe der Villa gesehen worden war, mit hoher Wahrscheinlichkeit Andreas gehöre. Andreas sei zudem hoch verschuldet und habe Drogenprobleme. Man werde jetzt noch Fußspuren vergleichen und sich auch seine Majestät, den Grafen, noch einmal vorknöpfen, nachdem der nun recht unsanft vom Thron gekullert sei.

      „Das ist nur Restarbeit, reine Routine”, erklärte Marion. „An den Fakten wird sich nichts mehr ändern. Da wette ich um jeden Preis.“

      „Ich wette nicht um Mörder. Und schon gar nicht mit Ihnen, Frau Zelenka! – Übrigens wurde mir zugetragen, dass Sie ganz allein dieses Geisterhaus aufgesucht und sich dort auf einen Zweikampf eingelassen haben. Wissen Sie nicht, dass dies ...“

      Respektlos unterbrach Marion ihren Chef: „Alle meine Jungs stecken bis zur Halskrause in wichtiger Arbeit. Ich kann dort niemanden entbehren. Diesen Fall mussten wir so ganz nebenbei klären.“

      Als Marion und Petzold gegangen waren, zündete sich Kriminalrat Dr. Sowetzko gemächlich eine Zigarre an, blies tief in Gedanken einige dicke blaue Wolken in den Raum und murmelte: „Nebenbei ... So sieht das also aus, wenn diese Frau etwas nebenbei löst.“ Den Oberstaatsanwalt blickte er dabei überlegen lächelnd und voller Stolz an, so als habe er die Geistergeschichte soeben höchst persönlich aufgeklärt.

       Berufsmörder

      Sie nannten sich stolz „Die Spürnasen“, jene lose Vereinigung von Krimiautoren, die schon etwas veröffentlicht hatten und solchen, die noch darauf hofften. Hin und wieder traf man sich an wechselnden Orten zu geselligem Beisammensein mit Erfahrungsaustausch über Verlage, Redaktionen und Autorenwettbewerben. Im Laufe der Zeit gesellten sich einige Journalisten hinzu, die auch Ambitionen zum perfekten Mord zeigten, - auf dem Papier natürlich. Einer von diesen war Arno Redderkamp, freier Journalist für politische Kommentare und Kultur. Einige Prosa-Werke hatte er zudem veröffentlicht; irgendwann sollte mal ein raffinierter Krimi folgen.

      Die Spürnasen waren also Anfänger auf ihrem Gebiet, aber voller Phantasie und Elan. Leider mangelte es jedoch an nützlichen Kontakten zu einflussreichen Stellen, um die überschäumende Kreativität gedruckte Wirklichkeit werden zu lassen. In dieser Hinsicht hatte sich Arno hin und wieder nützlich hervorgetan, indem er zu Zeitungsredaktionen die eine und andere Kurzgeschichte vermittelte. Als einige Mitglieder beklagten, zu wenig Kenntnisse vom Polizei-Alltag und von realistischen Abläufen bei der Kripo zu haben, bot sich Arno an, seine Beziehungen spielen zu lassen, um für die Spürnasen eine Führung durchs Duisburger Polizeipräsidium zu bekommen.

      Arno hatte sich diese Aufgabe allerdings etwas leichter vorgestellt; alle Entscheider wimmelten dieses Ansinnen händeringend ab, bis sich ein Duisburger Lokalreporter mit geeigneten Beziehungen dieses Wunsches annahm. Nach einem halben Jahr wurde vom Präsidium endlich ein Termin vorgeschlagen. Da sich die Spürnasen kaum für Diebstahl- oder Verkehrs-Delikte interessierten, sondern handfestes Mord-Fluidum erleben wollten, landete das Projekt bei Kriminalrat Dr. Sowetzko; der fluchte kräftig in sich hinein und beschloss, hier keinesfalls persönlich eine Art Museumsführer zu spielen. Er machte sich folglich auf den Weg zum K21; eine charmante Dame wäre doch optimal für so eine Aufgabe ...

      Marion, die vor ein paar Wochen im Prozess gegen Andreas Hohenburghof vor Gericht hatte aussagen müssen, las an diesem Morgen in der Zeitung das Urteil: fünf Jahre Haft wegen Totschlags. Ungläubig las sie den Satz noch einmal. Das durfte doch nicht wahr sein! – Dann verkündete sie wütend ihren Kollegen, welche Begründung es für das Urteil gab: „Der Angeklagte war geständig ... Das stimmt doch gar nicht! – Der hat die Tat bestritten, bis ihm sein Anwalt infolge der Beweislast zu einem Geständnis geraten hat. Seine Drogenabhängigkeit und finanzielle Notlage wurden strafmildernd bewertet. – Ich fasse es nicht!! – Ein psychologisches Gutachten der Verteidigung bestätigen ihm verminderte Zurechnungsfähigkeit wegen Liebesentzug durch die Mutter im Kindesalter. Der Inzest mit seiner Schwester sei dafür ein beredtes Zeugnis. Unfassbar!“ Frustriert schleuderte Marion die Zeitung in den Papierkorb.

      Ein paar Minuten später kam Dr. Sowetzko herein, sprach ein paar nette persönliche Worte, druckste ein wenig herum und bereitete Marion schonend auf ihre verantwortungsvolle Aufgabe vor, die Weiterbildung des Krimischreiber-Nachwuchses aktiv zu unterstützen. Es sei nun mal von höchster Stelle gewünscht, man habe zugesagt. Es klang ein bisschen nach Entschuldigung.

      „Wie – was? – Eine Abordnung von Berufsmördern?!“ Marion verdrehte die Augen. „O.k., ich beginne die Führung in der Pathologie, spreche dort aber zuvor mit Dr. Woilas, damit er den nach Blut lechzenden Papierkillern hübsch anschaulich und wunderschön detailliert herausgeschnittene menschliche Einzelteile präsentiert. So werde ich vermutlich erst mal die Hälfte der Horde los.“

      Der Chef schien verwundert. Mit hoch gezogenen Augenbrauen meinte er: „Die Aufgabe scheint Ihnen nicht zu behagen.“

      Wie haben Sie das bloß so schnell festgestellt?, wollte sie ironisch antworten, sagte aber nur knapp und eindeutig: „Nee.“

      „Dann kann Petzold das doch übernehmen ...“

      „Könnte er, - falls ich ihn für diesen Schwachsinn freistelle.“

      Dr. Sowetzko schluckte über diese Anmaßung. Er hätte jederzeit Petzold eine entsprechende Anweisung erteilen können, ohne die Hauptkommissarin oder sonst jemanden fragen zu müssen. Die Dame schien heute wohl etwas unpässlich zu ein. Um eine Eskalation zu vermeiden, ging er wortlos und kopfschüttelnd von dannen. Nachdem der erste Zorn verraucht war, erinnerte er sich zurück an jene Zeit, als er selber noch Kommissariatsleiter war. O, wie wütend machte es ihn damals, wenn von höherer Stelle seine Planungen durchkreuzt