Markus Jacobs

Hände hoch! Unterhalt!


Скачать книгу

das Ganze zu übergehen und spielte die gestresste und geplagte Eheberaterin. Ich ließ ihr noch etwas Zeit. Am liebsten hätte ich sie mit meinen Beweisstücken direkt konfrontiert. Aber ich musste mich beherrschen, allein schon wegen der Kinder. Von dem zweiten Handy und dem Zettel wollte ich vorläufig noch nichts erwähnen. Der Tag verging, der Abend rückte näher. Ich musste all die Zeit meine innerliche Unruhe überspielen. Ich fragte beiläufig: „Mit wem ist Biene denn jetzt überhaupt zusammen?“ „Biene hat keinen Freund mehr. Sie hat sich gestern von Ralf getrennt.“ „Ach, der Ralf, der gerade den gemeinsamen Urlaub mit ihr und ihrem Sohn bezahlt hat und der jetzt wieder abgeschoben wurde, nachdem die drei aus dem Urlaub gekommen sind?“ „Ja, genau der Ralf“ sagte Uschi.

      Biene besaß zwar keinen Cent, aber den einen oder anderen Sponsor. Und wie es bei ihr so üblich war, wurde Ralf nach Art des Hauses standesgemäß entsorgt. „Aber jetzt mal im Ernst“, wechselte ich das Thema: „Wer ist dieser Krüger, der hier ständig anruft und dazu auch auf deinem Handy?“ Uschi wurde nervös: „Meine Güte, was willst du von mir? Ich kenne keinen Typen, der so heißt und auf meinem Handy hat auch keiner angerufen! Hier ist mein Handy, schau nach.“ Ich dachte o.k., dann werden wir ihr mal auf die Sprünge helfen. „Verstehe ich dich richtig, hier ruft ein Freddy Krüger an und du kennst ihn nicht? Er ruft auf deinem Handy an und du kennst seinen Namen nicht? Wer ist das, der hier die ganze Zeit anruft?“ „ Woher soll ich das wissen, vielleicht hat er sich nur vertan! Was denkst du eigentlich von mir?“ So langsam kam der Deckel bei mir hoch. Nur gut, dass die Kinder in ihren Zimmern waren. Also wurde ich etwas lauter: „Ich sage dir, was ich von dir denke. Ich denke, du lügst mich an.“ „Hier hast du mein Handy, guck nach, nur Anrufe von dir und sonst hat mich keiner angerufen.“ „Ok, aber ich meine nicht das Handy, ich meine dein zweites Handy und ich meine die 300 Euro Telefonrechnung im Büro, ich meine die Klamotten im Kofferraum und die Eheprobleme von Biene, Sonja, Connie, Michaela und Co. Und wenn du keinen Krüger kennst, warum rufst du ihn dann vom Büro aus an und warum hast du seine Adresse aufgeschrieben und in deinem Portemonnaie hinter mein Bild gesteckt?“ „Das ist ja wohl das Allerletzte, du spionierst mir nach, das ist doch der totale Vertrauensbruch. Das gehört sich nicht, ich hätte nie gedacht, dass du so was machst.“ So einfach ist das, da dreht sie den Spieß einfach um: Jetzt bin ich der, der einen Vertrauensbruch begangen hat und Madame ist fein raus. Am besten, ich entschuldige mich dafür, dass ich meiner Frau auf die Schliche gekommen bin. Ich war so sauer, ich wusste gar nicht, wohin mit meinen Gefühlen. Vielleicht war ich etwas naiv, was Treue, Respekt, Wahrheit und Klarheit angeht. Aber Fremdgehen und Lügen gehen scheinbar Hand in Hand, das war für mich unverzeihlich.

      Wer von seinem Partner die Wahrheit erwartet, der bekommt einen Blumenstrauß aus Lügen präsentiert und kann sehen, wie er mit dem „Gelump“ umgeht. Um nicht zu explodieren, musste ich mich dringend abreagieren und ging zu den Kindern hoch, um sie ins Bett zu bringen. Danach ging ich wieder ins Wohnzimmer hinunter. Uschi saß gelangweilt vor dem Fernseher. Ich sagte zu ihr: „Jetzt hör mir mal gut zu. Ich kann keine Lügen ab, ich will die Wahrheit hören und ich finde, nach 12 Jahren habe ich so viel Respekt und Aufrichtigkeit verdient, dass du mir die Wahrheit sagst, egal wie sie aussieht, ich gebe dir bis morgen Zeit. Ich gehe jetzt raus, weil ich dir im Moment nicht ins Gesicht sehen kann.“

      Ich musste einfach raus - vor die Tür - frische Luft schnappen. War das alles wirklich wahr, was ich gerade erlebt hatte? Waren meine Ehe und mein Leben genauso im Eimer, wie das unserer Bekannten? Was war los in diesem verdammten Kaff, in dem ich einen Teil meiner Schulzeit verbracht habe, wo ich Fußball spielte und Radrennen fuhr, wo meine Freunde zu Hause waren?

      Während ich ziellos durch die Straßen lief, kamen mir Erinnerungen an meine Jugend und Schulzeit. Heute wohne ich nur ein paar hundert Meter von dem Haus entfernt, in dem ich einen Teil meiner Kindheit verbracht hatte. Mein Vater war damals viel im Ausland unterwegs und meine Mutter mit uns drei Kindern größtenteils allein. Durch die Arbeit meines Vaters wurden wir gezwungen öfter umzuziehen. So verbrachten wir knapp sieben Jahre in Holland an der Niederländisch-Deutschen Grenze, bevor wir 1978 zurück nach Deutschland zogen. Mein Bruder, meine Schwester und ich wollten unter keinen Umständen zurück nach Deutschland.

      Von Holland mussten wir jeden Tag mit Fahrrad oder Bus in die fast 20 Kilometer entfernte deutsche Schule fahren und fühlten uns dort pudelwohl. Dennoch hatten wir zu Beginn in Holland keinen leichten Stand und mussten einiges ausstehen. Wenn wir morgens den Schulweg antraten und uns Holländer entgegenkamen, die sich auf dem Weg zu ihrer Schule befanden, wurden wir Kinder regelmäßig mit Schimpfwörtern überschüttet. „Scheiß Deutsche“ „Nazi“ oder „Moof“ (eine Herabsetzung in der niederländischen Sprache, die speziell für die „Deutschen“ vorgesehen ist), schlugen uns anfänglich jeden Tag auf dem Hin- und Rückweg entgegen. Dabei fuhren wir als „Holländer“ auf Wunsch meiner deutschen Mutter - nur in die deutsche Schule. Kaum waren wir mit den Fahrrädern auf deutschem Boden angekommen, wurden wir von den „Deutschen“ als scheiß Holländer, Dreckspack, Käseköppe und Patjacke (eine Herabsetzung für einen „Holländer“ in der deutschen Sprache) beleidigt. Wir hatten also das zweifelhafte Glück, gleich von beiden Seiten beleidigt zu werden, was auch dazu führte, dass mein älterer Bruder und ich das ein oder andere Gefecht auf dem Schulweg auszutragen hatten.

      Ich war 12 Jahre alt, als wir von Holland zurück nach Deutschland zogen. Meine Oma war damals sehr krank und meine Mutter wollte verständlicherweise in der Nähe ihrer Mutter sein und deshalb ging es für die Familie zurück in die Nähe von Dortmund. Und genau da lief ich jetzt durch die Gegend, mit all meinen Gedanken, Gefühlen, mit meiner Wut und Ohnmacht, vorbei an dem Haus meiner Jugendzeit und dem Haus, das ich vor ein paar Jahren mit Uschi ihren Eltern abgekauft hatte.

      Das Haus meiner Eltern war zwischenzeitlich verkauft worden, nachdem diese sich getrennt hatten, weil mein Vater nur sein Ding machte und ständig im Ausland war. Auf meine Mutter hatte er wenig bis gar keine Rücksicht genommen. Ich war 17 Jahre alt, als meine Eltern sich scheiden ließen.

      Mein Vater war für uns Kinder eine Respektsperson. Er war Freund und Clown zugleich und hatte ein unglaublich großes Herz für Kinder. Ich will nicht sagen, wir durften alles, aber wir Kinder wussten immer, wo die Grenzen waren. Für meine Mutter war er kein besonders treuer Ehemann. Er hatte bestimmt viele Affären während seiner Aufenthalte im Ausland und wenn er zu Hause war, hat er sich um alle gekümmert - nur um meine Mutter nicht. Das war auch ein Grund, weshalb ich Fremdgehen, Lügen oder Respektlosigkeit gegenüber dem Partner niemals tolerierte. Auch gegenüber meinen Kindern hätte ich nicht gewusst, wie ich ihnen in die Augen sehen sollte, um ihnen vielleicht zu sagen „Tja, der Papa hat eine neue Flamme und zwischen Mama und Papa ist der Ofen aus.“ Für mich gab es Fremdgehen nicht - es war für mich nicht vorstellbar.

      Ich atmete tief durch, bevor ich zurück ins Haus ging. Die Stimmung war mies, Uschi sagte: „Es tut mir leid, ich habe einen Fehler gemacht, ich wollte dir nicht wehtun. Ja, ich habe mich mit diesem Mann getroffen, aber es war nie etwas zwischen uns.“ Ich sagte „o.k.“ – natürlich war für mich nichts o.k. Aber ich musste die Fassung bewahren. Warum wird eigentlich immer von dem, der der Dumme ist, erwartet, dass er die Fassung bewahrt? Warum muss sich der Betroffene immer fair und großherzig zeigen – auch wenn er es gar nicht will oder kann? Ich sagte: „Uschi, dann ruf ihn an und sag ihm, dass er nicht mehr anrufen soll und dass das Thema jetzt, hier und für alle Zeit erledigt ist.“ Diesen Mut brachte sie tatsächlich auf. In meinem Beisein rief sie diesen Typen an, den sie übrigens in einem Chatraum im Internet gemeinsam mit Biene kennengelernt hatte - und sagte ihm, dass er sie in Zukunft in Ruhe lassen sollte. Dann legte sie auf und fragte mit versteinertem Gesicht, ob ich jetzt endlich zufrieden sei? „Naja, was heißt zufrieden, ich fühle mich trotzdem mies.“ Ich dachte dabei an meine Kinder, wie die sich wohl fühlen würden, wenn sie das alles wüssten.

      Ich dachte an Tim, als er mit 2 ½ Jahren ein Plastikteil verschluckte und beinah erstickt wäre. Als ihm das Blut aus dem Mund lief und wir einen Krankenwagen riefen: „Bitte, bitte kommen sie schnell, mein Sohn hat etwas verschluckt, er blutet aus dem Mund, er bekommt keine Luft mehr und erstickt in meinen Händen.“ Uschi rannte damals durch unsere Wohnung und schrie: „Mein Kind stirbt, mein Kind stirbt.“ Ich rüttelte und schüttelte Tim, drehte ihn kopfüber, zog ihn an den Beinen nach oben und schlug mit flacher Hand