Paul Barsch

Von Einem, der auszog.


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er noch immer nicht beruhigt war, schenkt ich ihm die Schuhe aus meinem Bündel, damit er ein leichteres Gehen habe, und auch noch das Vorhemd dazu. Nach dem Abendbrot riss ich mich von ihm los und forderte ihn auf, am anderen Morgen in die Werkstatt zu kommen.

      Der Meister führte mich in die Bodenkammer, in der mein Bett stand, und übergab mir das Lager mit der Ermahnung, kein solcher Sauigel zu sein, wie der vorige Geselle… Ich lag in einem Federbett. Die Federn waren weich und wärmten mich, und wenn der liebe Gott so dachte, wie ich, dann sollte das Bett eine lange Zeit mir angehören; im Sommer und im Winter wollte ich darin schlafen… Wenn nur der Meister nicht so grimmig wäre! Ich fürchtete mich vor ihm. Doch er war ja mein Erretter. O, wie ich fleißig sein und alle meine Gedanken zusammennehmen wollte, um seine Zufriedenheit zu erwerben! Das Wandern war manchmal eine Lust, wenn die Sonne schien, wenn wir uns satt gegessen hatten, und wenn die Pfennige in der Tasche nahezu ausreichten für das Nachtquartier. Erzählte unterwegs einer eine schöne Geschichte, oder plauderten wir von der Schulzeit, oder erinnerten wir einander an die lustigsten Erlebnisse aus der Lehrzeit – – was war das für ein Vergnügen! Hätte ich aber wegen der großen Überproduktion keine Arbeit bekommen und weiter wandern müssen – wer weiß, wie lange! – – was wäre da wohl geschehen? Schon jetzt waren die Stiefel schief und die Kleider schlecht, und mit der Zeit wäre ich vielleicht gar ein Stromer geworden. Und wenn ich an das Fechten dachte, an die groben Worte, die man da zu hören bekam, an die schändlichen Ausdrücke, mit denen man abgewiesen wurde – – o, da wollt ich doch lieber bei dem grimmigsten und schlimmsten Meister arbeiten und mich von ihm stoßen und ausschimpfen lassen, als noch länger betteln gehen!... Was die Mutter sagen – wie sie staunen und sich freuen wird, wenn sie aus meinem ersten Briefe erfährt, dass ich Arbeitsgeselle bin – Arbeitsgeselle in einer Stadt, die weit, weit entfernt liegt von ihrem Dorfe? Im Geiste sah ich, wie die mit dem Briefe zu ihren Hauswirt ging, dem Schuster, der auch auf der Wanderschaft gewesen war und einige Landkarten besaß; ich sah, wie er die Karten entfaltete und gemeinsam mit der Mutter die Stadt suchte, in der ich weilte. In Gedanken entwarf ich den Brief, den ich der Mutter schreiben wollte, und bei dieser Gelegenheit zogen die Wandererlebnisse der jüngsten Tage an meiner schauenden Seele vorüber. Ich wunderte mich fast, dass ich der Held aller der seltsamen Begebenheiten und Abenteuer war, und kam mir als ein tüchtiger Gesell vor, der in die Welt passe. Dann fasste ich wieder die schönsten Entschlüsse für die kommende Zeit und für alle Zukunft, betete dazwischen viel andächtiger, als ich es an den vorhergegangenen Abenden getan hatte und glitt unmerklich hinüber ins Traumland…

      Der Meister.

      „Heda! Soll ich Ihnen etwa das Frühstück ans Bett bringen?“

      Mit einem Satze war ich auf den Füßen. „Ich komme schon Herr Meister!“

      „Ich will’s auch hoffen! Das ist hier nicht Mode, dass ich Ihnen wecke. Um fünf Uhr früh geht’s los!“

      Wie ich mich ärgerte, dass ich’ verschlafen hatte! Was sollte der Meister von mir denken! Er musste ja schon von vornherein eine schlechte Meinung von mir bekommen! Binnen wenigen Sekunden war ich angekleidet. Ich eilte hinab in die Werkstatt. Ungewaschen trat ich an die Hobelbank. Der Meister machte ein paar Kommoden aus Fichtenholz. Ich sollte ihm dabei behilflich sein. Mit feurigem Eifer stürzte ich mich in die Arbeit; ich war willens, mir mein Brot redlich zu verdienen.

      Um sechs Uhr erging die Aufforderung zum Frühstück. Der Meister hatte den Kaffee selbst gekocht, und zwar auf einem eisernen Öfchen, das in der Werkstatt stand. Der Kaffee schmeckt mir nicht, weil er bitter getrunken werden musste. Wir aßen trockenes Schwarzbrot dazu. Beim Frühstück wurden wir durch eine Frau gestört, die laut schluchzend in die Werkstatt kam und einen Sarg bestellte. In der Nacht war ihr der Mann gestorben. Der Meister ging mit der Frau fort, um an der Leiche das Maß für den Sarg zu nehmen. Während seiner Abwesenheit wusch ich schnell mein Gesicht in einer Waschschüssel, die neben dem Ofen stand, und fühlte mich wohlig erfrischt.

      Eine böse Ahnung, die mich beschlichen hatte, ging in Erfüllung. Der Meister beauftragte mich, den Sarg anzufertigen. Ich wusste mir keinen Rat. Bei den wenigen Särgen, die in der Werkstatt meines Lehrmeisters gemacht worden waren, hatte dieser das Zuschneiden des Holzes stets selbst besorgt. Zaghaft gestand ich meine Unkenntnis. Da schimpfte der Meiser auf meinen Lehrmeister. Er sagte: Sarg und Wiege seien zwei Dinge, auf die jeder Tischler „eingefuchst“ sein müsse, sonst habe er nicht das Recht, sich Tischler zu nennen. Er begreife nicht, wie man einen Menschen zum Tischlergesellen machen könne, der nicht fähig sei, einen Sarg zu bauen. Ich erwiderte ihm, in der Stadt meines Lehrmeisters kaufe man die Särge in den Sargmagazinen, daher hätten die meisten Tischler keine Gelegenheit, Särge herzustellen; er aber wich von seiner Meinung nicht ab. Nun machten wir uns daran, gemeinschaftlich das letzte Wohnhaus für den toten Mann zu zimmern.

      Im Laufe des Vormittags kam Franz. Leise pochte er an; auf das „Herein!“ des Meisters öffnete er behutsam und nur ein klein wenig die Tür und blieb draußen. Ich bat den Meister um einen Vorschuss von einer Mark. Zu meiner Bewunderung gab er mir das Geld, ohne dabei ein Wort zu verlieren. Ich drückte dem Freude das Markstück in die Hand, worauf er sich ohne ein Abschiedswort zurückzog. Er schien sich vor dem Meister zu fürchten. Was er sonst noch empfand, verrieten mir deutlich seine tränenfeuchten Augen. Ich begleitete ihn zur Treppe hinab bis in den Hausflur. Dort sah er mich starr und bittend an, und sein Blick schnitt mir wie ein scharfes Messer in die Seele.

      „Adje! Ich muss hinauf! Lass Dir ’s recht gut gehen!“

      Wir drückten einander die Hand. Große Tränen rannen über seine Wangen.

      „Leb wohl! Schreibe bald! Und wenn Du in Not bist…“

      Der Meister öffnete oben die Tür und hustete. Wir erschraken beide. Franz lief hinaus, ich eilte die Treppe hinauf…

      Ich hatte keinen Kameraden mehr.

      Die Stadt, in der ich jetzt wohnte, hieß Prieseberg.

      Der Meister war ein Junggeselle, ungefähr fünfundvierzig bis fünfzig Jahre alt, und von grämlicher Natur. Lachen konnte er nicht; es fiel ihm sogar schwer, ein freundliches Wort zu reden. Schon in den ersten Tagen wurde mir klar, dass er nicht gern arbeitete. Von mir dagegen forderte er den allergrößten Fleiß und hatte die Gewohnheit, mich fortwähren durch Zurufe zu rascher Tätigkeit aufzumuntern. Sein Lieblingsruf war: „Schlafen Sie nicht!“ Auch dann bekam ich diese Ermahnung zu hören, wenn ich mit aller Kraft und Hingabe an der Arbeit war. Zur Abwechslung sagte er dann und wann auch: „Fangen Sie keine Gedankenmücken!“ oder „Werden Sie mir nicht starr!“ – oder er fragte höhnisch: „Soll ich Leinöl bringen?“ Dieser geheimnisvollen Frage gab ich die Deutung, dass er dabei an das Einschmieren meiner Glieder dachte, um sie gelenkiger zu machen… Ungefähr zehnmal des Tages begann er plötzlich mit wahnwitziger Eile zu arbeiten. Der Hobel fauste und fauchte dann mit einer Schnelligkeit und Gewalt über das Holz, dass ich schier glaubte, es müsse Feuer fangen; die Säge ächzte und kreischte vor Schreck, und die ganze Hobelbank geriet in wilde Bewegung. Dabei verwünschte er „die verdammte faule Schlendere“, was natürlich mir galt, und richtete die Augen zornig und forschend auf mich; er wollte sehen, ob ich das großartige Beispiel des Fleißes und der Kraftaufwendung richtig nachahme. Ich gab mir Mühe, seinen Wunsch zu erfüllen. Gewöhnlich hielt sein Fleiß zwei oder drei Minuten an; dann überwältigte ihn die angeborenen Trägheit, und er stürzte zum Ofen oder in sein Wohnstübchen, als sei ihm plötzlich eingefallen, dass er dort wunderwichtige Dinge zu verrichten habe; in Wirklichkeit war es ihm aber nur darum zu tun, mit Anstand von der Hobelbank fort zukommen… Weilte er in seinem Stübchen, das an die Werkstatt angrenzte, so pflegte er manchmal unhörbar die Tür zu öffnen, in der Hoffnung, mich beim Müßiggange zu überraschen. Damit die Tür nicht knarre, ölte er die Angeln sorgfältig ein. Desgleichen kam er oft, wenn er von einem Ausgange heimkehrte, leise und behutsam angeschlichen, damit ich ihn nicht höre, und riss dann jäh die Tür auf. Zwar gelang es ihm nicht, mich beim Faulenzen zu ertappen, da ich aus eigenem Antriebe fleißig arbeitete; doch mochte er sich mit dem Gedanken trösten, dass ich durch seine Schlauheit gezwungen sei, stets in Furcht vor ihm und somit ununterbrochen bei der Arbeit zu sein. Jedes