Paul Barsch

Von Einem, der auszog.


Скачать книгу

das las ich aus seinen furchtbaren schwarzen Augen. Unseres Lebens waren wir nicht mehr sicher und mussten daher aus seiner Nähe zu entweichen suchen.

      „Komm schnell!“ raunte ich Franz zu, und raschen Schrittes ging ich nach dem Seitenwege. Franz kam so langsam nach, dass ich umdrehen, ihn bei der Hand nehmen und fortzerren musste. Der Lackierer blieb zurück. Er schimpfte und fluchte in einem fort. Schon glaubten wir, ihm entronnen zu sein, da kam er uns wie ein Rasender nachgerannt. Wir liefen, so schnell wir konnten; doch der Boden war aufgeweicht und lehmig und der Lackierer hatte schnellere Füße als wir: In meiner Todesangst sprang ich auf ein Ackerfeld, watete tief durch den aufgeweichten Boden und gelangte auf einen Feldrain. Franz, der mir nachgekommen war, stürzte in der Nähe des Feldraines hin, blieb auf dem Bauche liegen und brach in ein weinendes Heulen aus.

      „Steh’ doch auf!“ schrie ich und wollte ihn empor reißen. „Er kommt ja schon!… Er bringt uns um!… Wir müssen uns wehren!“

      Franz wollte aber nicht ausstehen. Immer tiefer wühlte er sich in den nassen Ackerboden und schien in wahnsinniger Angst darauf zu warten, dass er totgeschlagen werde. Diese erbärmliche Feigheit bracht mich in so wilden Zorn, dass ich die klare Besinnung verlor. Wütend stampfte ich mit dem Stiefel auf den unzuverlässigen Gefährten; dann schlug ich ihn mit dem Stocke, schlug mit aller Kraft, Hieb auf Hieb, und während er sich hilflos und grässlich schreiend im Schmutze wand und der Lackierer nun auf dem Feldraine auf mich losgestürzt kam, fuhr ein Jubelgefühl der Kraft in meine Glieder; eine luftige Taumelwut überkam mich; alles war mir gleichgültig geworden – Tod und Leben, Himmel und Hölle. Ich bebte in rasender Streitlust, in Vernichtungsfreude. Die Haselgerte des Todfeindes traf mich; sie brannte mir auf dem Kopfe, im ganzen Gesichte. Dunkel wurde mir vor den Augen; doch verließ mich die starke Kraft nicht. Blindlings und in Todeslust wehrte ich mich mit meinem Stecken; Riesenstärke verspürte ich in mir; ich drehte mich wie im Wirbel und schwenkte den Stock über dem Kopfe und fühlte, wie der Stock sein Ziel traf; ich sah, wie der Lackierer taumelte, wie ihm die Gerte entfiel, wie er mit vornüber gebeugtem Körper auf mich losfuhr; ich fühlte seine Hand an meinem Halse – er packte mich an der Brust; den Stecken ließ ich fallen und hieb dem Feinde mit der Faust ins Gesicht, riss ihn am Ohre und kratzte ihn. Da ließ er mich los, presste beide Hände an die Augen und taumelte zurück. Kein Wort sprach er, keinen Laut gab er von sich. Einer seiner Schuhe lag zu meinen Füßen; die Mütze hatte der Wind ins Feld getrieben. Ich stampfte den Schuh in den Ackerschlamm und eilte auf den Weg, von dort nach der Landstraße.

      Franz hatte sich aufgerafft und kam mir nun nach. Mein Mut war verflogen; die seltsame Kraft hatte mich verlassen und ich fürchtete die Rache des Lackierers. Alle meine Sinne waren auf schnelle Flucht gerichtet; zugleich aber beseelte mich der trotzige Wille, den feigen Freund seinem Schicksal zu überlassen. Schwer gestraft sollt er werden für seine Feigheit.

      Auch diese Racheglut währte nur wenige Minuten. Bald wich sie dem Mitleid und meinem bangen Empfinden, dass ich einen Wanderkameraden nicht entbehren könne. Denn der Gedanke an das Alleinsein schreckte mich, und da ich den Lackierer nicht mehr sah, vorläufig also sicher vor ihm war, überwand ich schnell den spärlichen Rest von Rachetrotz und wartete auf Franz… Er sah schlimmer aus als ein Ziegelmacher, der das ganze Jahr hindurch seine Kleider nicht wechselt. Auch sein Gesicht war gänzlich mit Erde beschmutzt. Er hatte viel geweint; das sah ich an den Streifen, die sich feucht über seine Wangen zogen. Die Tränen rannen noch immer, er schluchzte und wimmerte, ließ aber kein Wort des Vorwurfs vernehmen.

      „Du musst Dich waschen!“ sprach ich. „Jetzt aber noch nicht; zunächst müssen wir sorgen, dass uns der Lackierer nicht kriegt.“ Nun strebten wir, so schnell es ging, zurück auf der Straße; dabei sah ich mich oft nach dem Lackierer um. Da ich ihn nicht erblickte, wandelte mich die Furcht an, dass ich ihn vielleicht gefährlich verletzt habe. Es schien mir, als sähe ich ihn am Feldrain liegen und qualvolle Schmerzen erdulden. Ob ich ihm ein Auge ausgestoßen?… Oder ob er von meiner Faust tödlich getroffen worden?… Wenn er gar stürbe… Und wenn es herauskäme, dass er den Tod durch mich empfangen?… Wenn der Gendarm mich festnähme?… Wenn ich dem Scharfrichter überliefert würde?… O, meine liebe Mutter!… Und was würde der Vormund sagen?… Doch, der Gendarm konnte ja nicht wisse, wer den Lackierer umgebracht! Und wenn er’s erführe – nun, so war ja Franz mein Zeuge! Franz konnte mit gutem Gewissen sagen, dass ich mich nur gewehrt habe… Manchmal wurde meine von Furcht verfinsterte Seele durch lodernde Siegesfreude erhellt. Ich, der schwächliche, verschüchterte Junge, hatte einen Menschen besiegt, der im Vergleich mit mir ein Riese war. In meinem Siegerstolz kam ich mir vor wie ein richtiger König David. Dann wieder war mir, als müsse ich laut weinen, weil doch er, der Ärmste, den ich vielleicht zu Krüppel geschlagen mein Erretter und Wohltäter gewesen.

      „Er kommt – er kommt!“

      Franz schrie diese Worte im Tone des ärgsten Entsetzens und rannte flüchtend an mir vorbei. Er kam wirklich – der Lackierer. Noch war er weit hinter uns; leicht hätte ich mit Franz entfliehen können; aber die Füße wurden mir plötzlich so schwer, dass ich nicht zu rennen vermochte. Ob der Schrecken und die Angst mich gelähmt hatten – ob ich glaubte, dass ein Entlaufen zwecklos wäre, da wir dem schnellfüßigen Feinde kaum entkommen konnten – ob es mir schimpflich vorkam, die Flucht zu ergreifen – – ich weiß es nicht. Kraftlos fühlte ich mich und machtlos; mit Grauen sah ich, wie der wütende Feind auf mich zugelaufen kam, wie sein schwarzer Blick voll tödlichen Hasses starr auf mich gerichtet war, wie seine Faust sich drohen erhob; ich wusste, dass er mich elend oder gar tot schlagen würde – dennoch blieb ich gelassen. Rasch betete ich einen Spruch und rief dem fliehenden Freunde die Bitte zu, mir beizustehen… Mein Blick fiel auf einen Haufen klein geklopfter Steine, die zur Ausbesserung des Weges dalagen und sogleich erklang in mir eine Stimme: „Wehr Dich mit Steinen! Es geht auf Tod und Leben!“

      Von einem Schulgefährten, dem Sohn eines Dominialschäfers, hatte ich gelernt, mit Steinen leicht das Ziel zu treffen. Im Vertrauen auf dieses Können stellte ich mich an den Steinhafen und hob einige Steine auf. Alle Willenskraft bot ich auf, um mich mit kalter Entschlossenheit zu wappnen. Der Lackierer hatte das Aufheben der Steine bemerkt; nun hemmte er seinen wilden Ansturm und versah sich gleichfalls mit Steinen.

      „Mach’ Dein Testament, Du Hund!“ erscholl es auf seinem Munde.

      Ich zielte und warf – zielte und warf wieder. Ein Stein, den der Lackierer geschleudert hatte, traf mich am Schienbein. Aber ich fand nicht Zeit, auf den Schmerz zu achten, da der Gegner abermals auf mich zugestürzt kam. Mit fieberhafter Schnelligkeit und voll Todesfurcht schleuderte ich Stein auf Stein, und so gelang es mir, ihn zum Zurückweichen zu bringen. Jetzt endlich gewann Franz den Mut, heranzukommen und mir beizustehen, Mein Erfolg hatte ihn dreist gemacht. – – Der Kampf nahm ein Ende, und der Lackierer begnügte sich schließlich, uns zu drohen. Wir drohten ebenfalls, und ich forderte ihn mit prahlerischen Worten auf, heranzukommen. Mein stiller Wunsch war aber, dass er uns fernbleiben möge. Mit Freuden sahen wir, dass sich einige Lastwagen näherten. Anfänglich war ich in Angst, weil der Lackierer – von den Wagen gedeckt – leicht an uns heran hätte kommen können; er blieb aber zurück, und so konnten wir im Schutze der Fuhrwerke weiter marschieren.

      „Ihr führt wohl Krieg?“ fragte einer der Kutscher.

      „Ja! Der dort will uns prügeln. Nehmen Sie uns doch ein Stück mit!“

      Ein Kutscher gestattete uns, aufzusteigen, und so waren wir einstweilen geborgen. Wir fuhren ungefähr eine halbe Meile weit; dann langten wir auf dem Dominium der Fuhrleute an. Im Dorfe verließen wir die Straße, um den Verfolger von seiner Fährte abzubringen, und wanderten auf einem schmalen Fahrwege weiter. Unterwegs redeten wir von unserem glorreichen Siege, und ich verlangte fortwährend von Franz, dass er sich über meine Tapferkeit erstaunt zeige.

      „Nicht wahr, so ’was hättest Du mir nicht zugetraut?… Was sagst Du dazu?… Wenn er wieder an mich herangekommen wäre – mausetot hätt’ ich ihn geschlagen! Mir sieht’s keiner an, was ich für einer bin. Wenn ich Soldat werde, und es kommt ein Krieg, so sollst Du was erleben!... Hast Du gesehen, was für Angst er zuletzt vor mir hatte?“…

      So prahlte ich eine lange Weile mit meinem Heldentum, und Franz hörte geduldig zu. Dabei litt ich den ganzen