Paul Barsch

Von Einem, der auszog.


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in die Fleischkammer stecken, das geht nicht anders! Denken Sie doch, die Schande, wenn ihr Schwiegersohn so verhungert aussieht!! Sehen Sie und holen Sie uns ein gutes Stück Schinken oder Speck, damit wir wieder zu Kräften kommen!… Potz, Dunnerkeil, is das ’n hübsches, strammes Mädel!“

      Mir wurde während dieses Geplappers zum ersten Male völlig klar, dass ich wirklich ein dämlicher, dummer, unbeholfener Mensch war. Wenn ich doch auch so klug gewesen wäre, wie der Schulmeister, und auch so klug hätte reden können! Ach, dann brauchte ich sicher nicht zu hungern in der Welt! Am erstaunlichsten waren die Lügen, die er hervorsprudelte, ohne schamrot zu werden. Dass er der Frau vorgelogen hatte, ich besäße eine böse Stiefmutter, verdross mich, weil es mich wie eine Beleidigung meiner Mutter berührte. Ich erinnerte mich, dass die Mutter mir beim Abschied gesagt hatte, in der Welt gebe es viele schlechte Menschen. Vielleicht war das ein schlechter Mensch?… Er hatte die Bauersfrau offenbar verblüfft durch sein Gerede. Sie schien im Zweifel zu sein, ob sie schimpfen oder lachen, ob sie uns fortjagen oder freundlich behandeln solle. Leise redete sie mit ihrer Tochter, die sich verschämt hinter der Mutter verborgen hielt und nur manchmal flink hervorlugte… Der Schulmeister merkte, dass seine Worte noch nicht genügend eingewirkt hatten auf die zähen Natur der Bäuerin; daher plapperte er weiter, fragte nach dem Ausfall der vorjährigen Ernte und dem gegenwärtigen Preise der Butter. Ohne auf eine Antwort zu warten, erzählte er, was die Butter in Berlin, was sie in Hamburg und in Breslau koste. Dann rühmte er wieder die Schönheit des Mädchens.

      „Nun, hören Sie, schöne Frau!“ fuhr er unermüdlich fort. „Sie werden doch nich so sein wollen, wie die andern Frauen hier im Dorfe! Den Geiz dieser Weiber wollen wir in der ganzen Welt verkünden. Nicht wahr, Dicker? Auf ein hübsches Stück Speck kommt es doch bei einer so reichen, hübschen, jungen Frau nich an, überhaupt, wenn sie seine so wunderhübsche Tochter hat. Sein Sie dem lieben Gott dankbar dafür und haben Sie Erbarmen mit ein paar ganz armen Schluckern! Er wird’s Ihnen neunundneunzig Mal vergelten. Wir wollen auch beten, dass Ihre Schweine bis zum Herbste recht fett werden.“

      Jetzt wurde der starre Mund der schweigsamen Frau durch ein gewährendes Lächeln bewegt; langsam wendete sie sich zu ihrer Tochter und flüsterte ihr etwas zu. Das Mädchen hüpfte davon und verschwand.

      „Nein, im Ernst“, nahm der Schulmeister wieder das Wort, „das Mädel is wirklich eine Pracht! Die würde mancher Graf heiraten, wenn er wüsste, dass sie lebte. Wenn die in Berlin wäre und pikfeine Kleider trüge, da blieben die Menschen vor Erstaunen stehen und sähen ihr auf der Straße nach. Die muss einen reichen Mann kriegen, bei dem sie nicht arbeiten darf. Zehn Dienstmädel und eine Kammerzofe muss sie haben! Passen Sie uf, es kommt noch so weit!“

      Er redete immerfort; die Frau jedoch schwieg. Nach einigen Minuten kehrte das Mädchen zurück und hielt ein große Stück Speck in der Hand. Mich ergriff das Entzücken und ein gieriges Verlangen. Aber ein Unglück geschah. Die Frau sah den Speck, riss ihn dem Mädchen unwirsch aus der Hand und wollte in das Haus eilen. Da – in diesem bösen Augenblick vollbrachter der Schulmeister ein großartiges Heldenstück. Mit einem Sprunge war er am Gatter, griff nach der Frau und bekam eines ihrer Schürzenbänder zu fassen. Der Knoten der Schürze löste sich; einen Zornschrei ausstoßend, wandte sich die Frau um, und nun ergriff der Schulmeister ihre Hand. Die Bäuerin schrie und drohte; die Hunde, die sich inzwischen beruhigt hatten, fuhren auf den Schulmeister los; dieser aber rang über das Gatter hinweg mit der Frau und bestürmte sie mit Bitten und Vorwürfen.

      „Wollen Sie in die Hölle kommen?“ rief er mit unheimlicher Betonung. „Wollen Sie Ihre Tochter zum Geiz erziehen? Das Mäderl ist ein Engel ohne Flügel… Geben Sie her das Zeug! Es ist nicht zuviel! Sie kennen unsern Hunger nich. So - - wir danken recht schön! Sie sind eine gute Frau!… Weg, ihr verdammten Hunde, ich schlag’ euch tot!“

      Er hatte das Stück Speck, das eine halbe Spanne lang war, erobert und schlug jetzt mit der Haselgerte auf die Hunde los. Ob er der Frau den Speck entrissen, oder sie ihn freiwillig losgelassen hatte, blieb mir verborgen. Ich glaubte, das Geschäft sei nun erledigt, und da die Bäuerin tüchtig schimpfte, beeilte ich mich, die Straße zu gewinnen. Ein Zuruf des Schulmeisters zwang mich zur Umkehr.

      „Lümmel, haste keene Bildung?“ schrie er mich an. „Rennt fort, ohne sich zu bedanken! Gleich machst Du einen hübschen Knicks!“

      Er nahm mich hinten an den Haaren und drückte meinen Kopf vornüber. „So siehst Du, gehört sich’s! Und jetzt bitte hübsch, dass wir noch ein wenig Käse kriegen! Ein paar kleine Kuhkäse! Ich esse sie für mein Leben gern. Man kriegt sie nirgends so gut, wie in dieser Gegend. In Berlin schon gar nicht!… Ach, Sie sind ja eine so reiche Frau, dass es Ihnen gar nicht darauf ankommt! Wenn Sie wüssten, wie Sie uns glücklich damit machen! Bitte, bitte, bitte!“ Dabei klatschte er mit den Händen wie ein bittendes Kind und wehrte mit den Füßen die Hunde ab, die sich jetzt nicht mehr beruhigen wollten. – Die Frau sah ängstlich und verstört aus; sie schien sich zu fürchten vor dem Schulmeister. „Bleib do!“ befahl sie dem Mädchen und ging in das Innere des Hauses. Bald kam sie wieder und reichte schweigend eine neue Gabe über das Gatter: Käse, der in Papier gehüllt war.

      Der Schulmeister dankte und lobte wieder die Schönheit des Mädchens. In süßlich-zärtlichen Tone sprach er „Ach, diese lieben Guckäugel! Wenn meine Mutter ihren Sohn verlieren sollte, so ist dieses hübsche Mädel schuld daran. Ich sterbe vor Liebe – vor lauter Liebe! Aber vor meinem Tode möcht’ ich noch einmal frische Butter essen. Ach, Lenchen oder Mariechen oder Ännchen oder Kathrinchen oder Klärchen oder wie Sie heißen: bitten Sie doch Ihre liebe Mama, dass sie uns ein Stückel Butter gibt! Als künftiger Schwiegersohn…„

      Er brach seine Rede ab, weil die Frau das Mädchen beiseite riss und die Haustür zuschlug. Ich hörte, dass ein Riegel vorgeschoben wurde, und dass die Frau heftig schalt.

      „Fertig!“ sagte der Schulmeister – und wir gingen davon.

      „Das war eene dufte Winde. Nicht grade zum Besten; aber immerhin dufte… Haste gesehn, wie’s gemacht wird? Aber wenn Du wieder drei Meilen hinter mir bleibst und die Leute bloß so anglotzt, wie Frosch, kriegste Ohrfeigen! Immer den Rachen ufreißen und ein helles Wort mitreden! - - - Renne doch, Du Gamel! Vor mich hin gehörst Du, nich hinter mich!“

      Wieder erhielt ich einen Stoß, dass ich ins Stolpern kam.

      „Ich bin im Dalles, Du bist in Kluft. Auf die Kaffern machts einen besseren Eindruck, wenn sie zuerst einen Kerl sehn, der in Kluft ist!“

      Wir waren schon wieder in einem Hofe. Diesmal trat uns ein Bauer entgegen. Er zog eine wollene Börse aus der Tasche und gab jedem von uns schweigend und bedächtig einen Zweipfennig. Wir dankten und gingen weiter.

      „Mit solcher Sorte is nichts anzufangen“, belehrte mich der Schulmeister. „Man muss es den Leuten gleich an der Landkarte ansehn, was mit ihnen los is.“

      Nachdem wir noch einige Bauernhöfe besucht und überall Kupfermünzen empfangen hatten, gelangten wir auf einen herrschaftlichen Gutshof. Vor dem Schlosse befand sich ein großer Garten, und auf einem Sandplatze dieses Gartens spielte ein Husarenleutnant mit feinen Fräulein ein Ballspiel. Ehrerbietig zog ich den Hut, doch dankte mir niemand. Der Schulmeister kniff mich in den Arm und raunte mir zu: „Lauf – oder der Deixel holt Dich! Was gehen Dich die Affen an!“ Auf einem breiten Kieswege liefen wir dem Schlosse zu. Beim Eintritt sagte der Schulmeister: „Jetzt fest druf! Wir müssen die Köchin erwischen!“ Wir traten in einen breiten Flur, der mit bunten Steinplatten ausgelegt war. Aufmerksam musterte der Schulmeister die vielen Türen, schritt dann auf eine zu und pochte. Er pochte stärker und stärker; doch wurde kein Laut von innen her vernehmbar. „Na, denn nicht!“ brummte er. „Ausgestorben kann doch das Nest nich sein!“ Er huschte nach einer anderen Tür und klopfte dort erst leise, dann heftiger und immer heftiger. Schließlich donnerte er mit der Faust an. Da – plötzlich ging die Tür auf, an die er zuerst gepocht hatte, ein weiblicher Kopf kam zu Vorschein und fragte keck und unwirsch, was wir im Schloss zu suchen hätten. Ich, der ich in der Nähe jener Tür stand, brachte erschrocken und stotternd unser Anliegen vor.

      „Hier gibt’s nichts! Es ist niemand zu Hause!“ gab das weibliche Wesen zur Antwort.