Paul Barsch

Von Einem, der auszog.


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Mensch wolle sich lustig über uns machen, und schwieg daher.

      „Donnerwetter, Ihr seid doch Kunden?“ fragte er, auf unsere Bündel deutend.

      Ich wusste nicht, was er von und wollte.

      „Könnt Ihr die Schnuten nicht ufsperrn, wenn ein tafter Kunde mit Euch spricht?“ Seine Stimme klang schroff – und drohend erhob er die Haselgerte, die er in der Rechten hielt.

      Ich verfiel auf die Vermutung, dass der Mann von Sinnen sei. Damit er nicht wütend werde, fragte ich ihn bescheiden, was er von und wolle.

      „Die Losung will ich!“ schrie er.

      „Was denn für eine Losung?“

      „Na, do koof mir eener a Mäßel gebackene Pflaumen! Kennen diese Nashörner die Losung nicht! „Kenn“! ist die Losung „Kenn“! Verstandibus?“

      Ich sagte „ja“, obgleich mir seine Worte immer närrischer und rätselhafter vorkamen. Er begann zu lachen und meinte, mir unsere Dummheit könnten wir Häuser einrennen. Solche Nummern seien ihm noch nicht begegnet.

      Vor Fleischern besaß ich von frühauf eine mächtige Scheu; daher gewährte mir die Entdeckung, dass der Rock des Mannes mit Farbenschmutz behaftet war, eine Beruhigung. Der Mann war sicher kein Fleischer, er war ein Maler oder Lackierer.

      „Ihr kommt von Muttern, Ihr Ignatze“, sprach er und betrachtete uns wohlwollend. „Wie lange seid Ihr schon fort von derheeme?“

      Ich gab ihm Auskunft, und er entgegnete, dass wir ihm schon beim ersten Blick grasegrün vorgekommen seien. Schnell kam er wieder auf die Losung zu sprechen und gab uns darüber einige Aufklärungen. „Kunde“, erläuterte er uns, „ist die Losung, „Kenn“ die Gegenlosung. Wenn ich Euch also frage, ob Ihr Kunden seid, wie habt Ihr da zu antworten?“

      „Kenn!“ erwiderte ich rasch. Mir war klar geworden, dass das Wort der Handwerksburschensprache angehörte. War etwa der Mann selber ein Handwerksbursche?… Nein, er gehörte wohl nach Lissa, da er ja niedere Tuchschuhe trug. In solchen Schuhen kann doch kein Mensch im Winter wandern!

      „Gut gesagt!“ rief er. „Und wohin tippelt Ihr?“

      Auch dieses Wort war mir neu und unverständlich.

      „Wohin Ihr tippelt?“ wiederholt er heftig. „Ihr Affenpinscher wisst nicht einmal, was tippeln heißt! Das heißt laufen. Könnt Ihr laufen?“

      „O ja!“

      „Dann vorwärts, wenn Ihr mit wollt! Ich habe nicht Lust, hier bei Euch stehen zu bleiben!“

      Er sprach so herrisch, dass wir ihm gehorsam nachfolgten, obgleich ich zum Hinlaufen matt war und Franz an dem gleichen Übel litt. Zwar ging er schnell; doch kam er zu unserem Glück nicht allzu rasch vorwärts, da er kurze Schritte machte, mit den Beinen schlenkerte und bald auf der einen, bald auf der anderen Straßenseite war.

      „Schon drei Wochen tippelt Ihr?“ fragte er plötzlich.

      „Nein erst drei Tage.“

      Er blieb stehen, drückte die Hände in die Seiten und beugte sich vornüber. „Au, au! Ich kriege Leibschmerzen, wenn ich so was höre! Solche Milchgeburten! Mir wird schwach!“ Im Weitergehen behauptete er, ich hätte zuerst gesagt, wir tippelten schon drei Wochen, und beruhigte sich erst, nachdem ich zugegeben hatte, dass ich mich versprochen habe. „Da seid Ihr freilich noch nicht taften! Ihr sollt sehn, dass ich kein schlechter Kerl bin: ich werde Euer Schulmeister sein! Aber ufgepaßt, sonst setzt es verdammte Haue!“ Wieder erhob er drohend die Haselgerte und ließ sie durch die Luft sausen. „Ufgepatzt, Ihr gottverfluchten Hunde!“

      Franz sprang erschrocken beiseite; er glaubte, der Wüterich schlüge nach ihm. Dieser lacht gell und sagte dann höhnend: „Hast Du Angst, mein Engel? Komm an mein Herze! Haue gibt’s erst, wenn Ihr nichts lernt… Könnt Ihr schon dalfen? Das heißt so viel wie fechten?“

      Ich gestand ihm, dass wir zu furchtsam zum Fechten seien, und hätte ihm gern auch gestanden, dass wir entsetzlichen Hunger litten; doch sparte ich mir die Worte, weil ich überzeugt war, dass er uns nicht helfen könne. In der Absicht, mit bei ihm ein wenig in Ansehen zu bringen, erzählte ich ihm, dass ich schon ein Hühnerei erfochten habe, und wie es mir dabei ergangen war. Er hörte nur mit halben Ohren hin und versicherte mehrere Male, wir wären die dümmsten Käfer, die ihm je begegnet. Überhaupt trug er kein Verlangen, unsere Vergangenheiten kennen zu lernen, obgleich ich ihm gern davon erzählt hätte. Er fragte nicht einmal, welchem Handwerk wir angehörten. Wenn ich von unseren Erlebnissen zu reden begann, ward er sogleich verdrießlich und fing zu spotten an. Dagegen sprach er viel von sich, und auf meine Fragen nach seinen Angelegenheiten gab er bereitwillig Auskunft, allerdings immer nur in prahlerischer Weise. Wie er ernsthaft erklärte, war er der gescheiteste Mensch in Europa. Er lasse sich, versicherte er, keinen Wind vormachen – „von keinem Menschen nich“; er wisse alles und könne alles.

      Seiner „Religion“ nach war „Wagenschmierer“, was im gewöhnlichen Leben Lackierer heißt. Er tippelte nur zu seinem Vergnügen. Wenn er wollte, könnte er erste Klasse bis Paris fahren und dort wie ein Graf leben; die Mittel wären vorhanden. Aber das Tippeln sei seine liebste Beschäftigung; daher tipple er. Wohl ein Dutzend Mal erklärte er nachdrücklich dass er aus Berlin stamme. In meiner Unwissenheit zeigte ich bei dieser Mitteilung kein Erstaunen; daher trat er vor mich hin, zwang mich zum Stillstehen, sah mich mit durchbohrenden Blicken grimmig an und wiederholte streng:

      „Ich bin ein echtes Berliner Kind, mit Spreewasser getooft! Verstehste, wat det heeßt?“

      Jetzt begriff ich, dass ich ein ehrfurchtsvolles Gesicht zu machen habe. Mit meiner Leistung muss er wohl zufrieden gewesen sein; dann er setzte hierauf seine Wanderung und seine Erzählung fort. In Breslau habe er „geschennigelt“ – auf Deutsch: gearbeitet; er habe jedoch seinem „Krauter“- auf Deutsch: Meister – den Krempel vor die Füße geworfen, da er, sobald er Sonnenschein sehe, alsbald das Jucken in die Beine bekomme. Von seinem sechzehnten Jahre an tipple er schon in der ganzen Geographie herum. Darum werde man ihm zugeben müssen, dass er mehr von der Welt verstehe als wir Grünschnäbel. - - Da er nicht immer in berlinischen Tone, sondern meistens in der Mundart unserer Dorfheimat redete, die uns geläufig war, vermutete ich, dass er lange Zeit in Schlesien gelebt habe. Seine Laune war unbeständig und unzuverlässig. Voll herzlicher Vertraulichkeit erzählte er, dass er eine Mutter habe, die in Berlin jeden Tag in die Kirche gehe und auf den Knien bete für ihren Jungen. Er könnte jedes Mal weinen, wenn er an die liebe, herzensgute, fromme Frau denke. Seine Worte waren ergreifend und mir ging das Herz über. Ich fühlte, dass er ein edler Mensch sei, den man lieb haben müsse, und war glücklich, ihn kenne gelernt zu haben. Dass ich auch an meine liebe, herzensgute, fromme Mutter dachte, war natürlich. Halblaut und mit weichen Gefühl sprach ich die Worte: „Meine betet auch für mich.“

      Da tat er ein paar Sprünge, als ob er fortlaufen wollte; er schüttelte sich, trippelte dabei im Zickzack und stieß endlich im Tone des Ärgers und der Erregung heraus:

      „Tunke! Das ganze Gebet is Tunke! Unsinn is es… O, Ihr Natzla vom Dorfe! Olle mitnander seid Ihr de timmsten Hergotsbrüder!… Ei a Himmel kummen welln se, - ei a Himmel kummen! -… O, Ihr tumme Luder!“

      Wieder schüttelte er sich, als ob er etwas Lästiges von sich abwehren wollte. Plötzlich wendete er sich um und sagte in veränderter Tonart – nicht zornig mehr, doch verweisend:

      „Du kannst doch nicht Deine Mutter mit meiner vergleichen! Du musst wissen, dass meine Mutter mit Gräfinnen verkehrt und mit der Kaiserin! Mit der Kaiserin is sie befreundet! Verstehste, Du Dämelack!“

      Sein Unmut verflog, und er redete wieder traulich von seiner Mutter, seiner Jugend, seiner Ruhelosigkeit. Trotz aller Vorsicht gelang es mir nicht, ihn bei guter Laune zu erhalten. Jede Bemerkung, die ich zu seinen Mitteilungen machte, galt ihm als albern; schwieg ich, so gefiel ihm das erst recht nicht, und dann sagte er, dass er altersschwach zu werden beginne, weil er mit einem Kalbe rede. Im Eifer des Erzählens entfuhr ihm die Mitteilung, dass sein Vater ein alter Breslauer Bürger sei und einmal beinahe Schiedsrichter geworden wäre.