Paul Barsch

Von Einem, der auszog.


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      Er brachte den Satz nicht zu Ende. Die Jungfer schrie etwas von Frechheit und die Tür flog zu. „Hier kriegen wir nichts!“ sprach ich beklommen und wollte mich entfernen. „Esel, biste verrückt“? faucht er mich an und ballte drohen die Faust. „Eine solche Winde willste liegen lassen? Du bist der rechte Jakob!“

      Er klopfte an die Tür. Keine Antwort. Er klopfte wieder – klopfte in einem fort, so lange, dass mir in meiner Angst die Zeit wie eine bange Ewigkeit erschien. Er klopfte, bis endlich die Jungfer die Tür aufriss.

      „Wenn Sie nicht auf der Stelle fortgehen, lass ich die Hunde losbinden!“ rief sie kreischend. Die Tür schloss sich mit lautem Schlag, und wieder war es beängstigend still in dem großen Prachtgebäude… Der Schulmeister stutzte unschlüssig und tat einen Schritt nach der Haustür zu; doch besann er sich schnell, trat zurück an die weiße Tür und klopfte wieder. Dabei zeigt er sich so ruhig und gelassen, dass mich das Entsetzen packte und ich an seiner Vernunft zu zweifeln begann. Er klopfte fortwähren, Wohl zehn Minuten lang und länger, während ich, auf ein Unglück gefasst, fluchtbereit am Ausgange stand. Gern wäre ich davongerannt; doch fürchtete ich den schweren Zorn des bösartigen Menschen.

      Das Schreckliche trat ein. Als er einige Male mit der Faust an die Tür gehauen hatte, ging sie zum dritten Mal auf, und diesmal sprang das Weibliche Geschöpf in weißer Küchenschürze wie eine Furie heraus und rannte wild an uns vorbei. „Herr Leutnant, schnell, bitte, schnell! Helfen Sie mir doch! Zwei freche Bummler sind da und geben keine Ruhe!“

      Der Unhold, mein Fechtschulmeister, las in meiner Seele. Bevor mir der starke Schrecken Zeit ließ zum Entspringen, fühlte ich eine feste Hand im Nacken, die mich am Kragen hielt. „Hier bleiben, oder der Satan holt Dich!“

      Schon kam der Herr Leutnant mit zornglühendem Gesicht herbei gerannt. Die Köchin berichtete ihm keifend und schimpfend von unserer großen Frechheit. Ich ergab mich bebend in mein Schicksal und empfahl meine arme Seele dem heiligen Geist und meinem Schutzengel. Der Schulmeister zog seine Mütze, stellte sich in die Haustür und empfing den Herrn Leutnant mit einer tiefen Verbeugung. Dieser wagte nicht, nahe heranzukommen. Er schnaufte uns an, nannte uns unverschämtes Lumpengesindel und schrie nach den Knechten. Ich zupfte voll Todesangst den Schulmeister am Ärmel, um ihn zum Entfliehen zu bewegen; allein er versetzte mir einen Stoß, verneigte sich abermals und bat den Herrn Leutnant um eine Reiseunterstützung.

      Da kein Knecht kam, befahl der Leutnant der Köchin, eine peitsch zu holen. Am Gartenzaun erschien das schöne Fräulein, mit dem er gespielt hatte, und fragte, was geschehen sei.

      „Entschuldigen Sie mich, Fräulein Isolde, ich habe hier etwas zu tu!“ rief er und richtete sich hoch auf, als gelte es einen Kampf auf Leben und Tod, und als wollte er der Dame einen Beweis seiner großen Tapferkeit liefern. So gefährlich sah er aus, dass ich gar nicht anders konnte, als mit kühnem Sprunge die Freiheit suchen. Am Schulmeister vorbei und am Herrn Leutnant vorüber entfloh ich aus dem Garten in den Hof und gewann von dort aus glücklich die Straße. Keiner war so flink, mich festzuhalten. Im Davonlaufen sah ich, dass die Köchin mit einer großen Peitsche über den Hof gelaufen kam und ein Mann ihr nachfolgte. Ich lief eine Strecke weit auf der Dorfstraße fort und stellte mich dann hinter einen Baum, der am Wege wuchs. Lange hatte ich nicht zu warten auf den Schulmeister.

      „So ’ne miese Winde is mir in meinem menschlichen Dasein noch nich begegnet!“ hörte ich ihn schon von weiten schimpfen. Als er mich erblickte, kam er grimmig auf mich zu, schlug mit der Faust nach mir und schalt mich einen miserablen Feigling, der die gesamte Kundenehre besudelt habe. In jäher Empörung über diese schimpfliche Behandlung griff ich nach einem Steine; doch bevor ich ihn dem Schulmeister ins Gesicht schleudern konnte, bekam ich einen Fußtritt, dass ich in den Dorfgraben glitt, in dem sich eine schlammige Wassermasse befand. „Ersauf Kanickel!“ schrie er und trippelte weiter, die Straße hinab.

      Doch ich ersoff nicht. Ein Stiefel nur hatte Wasser geschöpft. Bewegte ich den Fuß, dann gab es im Stiefel ein unangenehmes Quappen und Quirlen. Aus Furcht, der Leutnant könne uns die Knechte nachsenden und uns einsperren lassen, nahm ich mir nicht Zeit, den Stiefel auszuziehen und den flüssigen Inhalt heraus sickern zu lassen; hinkend suchte ich mich schnell in Sicherheit zu bringen.

      An Schläge war ich gewöhnt. In den Schuljahren waren mir an jedem Tage meine Prügel beschert worden, und während der Lehrzeit arbeiteten in unserer Werkstadt fast immer Gesellen, die mit Ohrfeigen nicht sparten. Dennoch hatte mich die durch den Lackierer erlittene Misshandlung dermaßen gekränkt und in Wut versetzt, dass ich in den ersten Minuten fähig gewesen wäre, ihn aus Rache totzuschlagen. Als ich den Graben bereits verlassen hatte und nassen Fußes flüchtete, war ich noch immer willens, dem verhassten Menschen mit einem Steine den Hinterkopf zu zerschmettern, Dann empfand ich, dass es feig sei, einen Menschen von hinten anzufallen, und ich schämte mich meines feigen Rachegedankens. Nach und nach gestand ich mir auch zu, dass ich wenig tapfer gewesen sei, und dachte milder über den Schulmeister. Sein Gesicht war mit Blut gefleckt gewesen: wahrscheinlich hatte er mit dem Leutnant einen harten Kampf zu bestehen gehabt. Er besaß Mut, ich nicht; er hatte mich im Zorn über meine Feigheit geschlagen, und ich hatte die Schläge verdient. Als die Köchin die Peitsche gebracht, hätte ich den Schulmeister nicht in der Not verlassen sollen, schon aus Dankbarkeit dafür, dass er mich im Fechten unterweisen wollte… Am Ende des Dorfes sah ich ihn bei Franz stehen; beide schienen auf mich zu warten. Ich getraute mich nicht zu ihnen heran und war daher sehr froh, als mit der Schulmeister zurief:

      „Immer dalli, dalli!“

      Mit Schimpfreden empfing er mich und erzählte Franz, wie erbärmlich ich mich betragen habe. Wenn er statt eines Hasenfußes eine taftene Kunden bei sich gehabt hätte. Lägen jetzt die Knochen des Leutnants auf dem Misthaufen! „Haut mich der Hund in die Fisasche! Aber einen Schubs hat die Kanaille von mir gekriegt, dass sie fünf Schritte weit an den Zaun flog!“

      Er tastete mit den Fingern nach der Wunde im Gesicht und ich sah, dass sich ein blutiger Striemen über seine linke Wange bis hinauf nach der Stirn zog. Das Auge war rot und verschollen. Dann gab er mir den Befehl, in das Kaff zurück zu gehen und in der nächsten Winde Pfeffer und Salz zu dalfen.

      Der Auftrag war mir willkommen. Ich konnte ihn als eine kleine Buße betrachten und zugleich ein Beispiel meines Mutes liefern. Mit dem Wasser im Stiefel wankte ich in das nächste Haus und bat um Pfeffer und Salz. „Wir haben ein Stück Speck gekriegt“, erzählte ich offenherzig, „und haben kein Geld auf Pfeffer und Salz.“

      „Salz können Sie kriegen; Pfeffer haben wir selber nicht:“ Schließlich entdeckt aber die Frau, die das sagte, dass auch noch einige Körnchen Pfeffer im Hause waren, und zu meiner hellen Freude konnte meine Bitte erfüllt werden. Siegesfroh lief ich nun zu den Gefährten.

      Auf einem Steinhaufen wurde gegessen. Der Schulmeister zerschnitt mit seinem Messer den Speck in drei gleiche Teile und zog Brot aus seinem Rockfutter.

      Währen meine Lehrzeit hatte ich mir oft eingebildet, dass ich Hunger leiden müsse; den wirklichen Hunger aber hatte ich nur zum ersten Male kennen gelernt. Die Sonne war bereits im Sinken; wir waren meilenweit gelaufen und hatten noch nicht gefrühstückt und auch sonst nichts währen der langen Zeit genossen. Gierig biss ich in das Brot, gierig in den Speck und dachte dabei, dass mir noch kein Essen so gut gescheckt habe, wie dieses. Franz macht beim Kauen ein andächtiges Gesicht, als verrichte er ein hochernstes Geschäft, und schlang die Speise so schnell hinab, dass die Pupillen seiner großen Augen beängstigend hervorquollen. Der Schulmeister schimpfte noch immerzu auf mich; doch zürnte ich ihm nicht mehr, da ich mir der Dankbarkeit, die ich ihm schuldete, tief bewusst war.

      Auch den Käse verteilte er gleichmäßig, und als das Essen vorbei war, versetzte er uns in Erstaunen und Verlegenheit, indem er von dem erfochtenen Gelde nur den dritten Teil für sich behielt und die andern beiden Teile uns gab. Ein Pfennig, der beim Teilen übrig geblieben war, wurde verlos. Wir baten ihn, wenigstens zwei Teile des Geldes für sich zu behalten; doch da wurde er schlimmer Laune und erklärte, dass er ein ganz miserabler Kunde wäre, wenn er nicht ehrlich teilen wollte. Die Reichen seien Gauner und Spitzbuben; der Kunde müsse ehrlich sein. Wenn wir ehrliche Kerle wären, würden wir ihm nicht den Rat geben, unehrlich zu teilen.