Paul Barsch

Von Einem, der auszog.


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aus dem Grunde, weil sich in meinem Heimatsdorfe auch ein verlassenes Haus befand, dessen Bewohner einst durch ein Gespenst vertrieben worden. Ich erzählte diese Begebenheit, als wir im Stahl auf der Streu lagen, kam jedoch nicht weit, da meine Kameraden schon nach wenigen Minuten schnarchten. Mein Ärger über diese grobe Missachtung einer spannenden Gespenstergeschichte war nur von kurze Dauer; auch meine Seele kam bald durch Schlaf zum Schweigen. Traumlos, wunschlos verharrte ich, wie tot, bis zum andern Morgen.

      Junge Fechter.

      Am andern Morgen wurden wir zeitig geweckt durch das Geräusch, das der Pferdeknecht beim Füttern und Putzen der Pferde verursachte. Wir standen auf, wuschen an der Pumpe im Hofe unsere Gesichter und waren schnell fertig. Die Luft ging kalt und mich fror; das goldene Morgenrot aber entzündete in meinem Gemüt das Feuer einer goldenen Zuversicht.

      Doch bald empfing das morgenfrohe Herz eine betrübende Lehre – die Lehre, dass ein Handwerksbursch sich seinen Stecken aus der Hecke schneiden, aber keinen zierlichen Spazierstock mit auf die Reise nehmen soll. Mein kunstvoll gearbeitetes Stöckchen, das ich mit Hilfe eines mir befreundeten Bildhauerlehrlings aus verschiedenartigen seltenen Hölzern gefertigt hatte, war zur Nachtzeit in fremden Besitz übergegangen. Wahrscheinlich hatte der Pferdeknecht Gefallen daran gefunden. Ich erinnerte mich, dass er am Abend den Stock begehrlich betrachtet hatte. Vergebens suchte und fragte ich nach dem hübschen Kunstwerke, das mir lieb und teuer war, und als ich meinen Verdacht äußerte, wurde der Mensch entsetzlich grob. Er nannte uns „dreckiges Bettelpack“, pfiff nach den Hunden und drohte, uns die Kläffer auf den Hals zu hetzen. Da keine Aussicht vorhanden schien, den Stock wieder zu erlangen, gingen wir fort, ohne uns mit dem Kerl in einen Kampf eingelassen zu haben. Meine Morgenfreude war erloschen.

      Nach mehrstündigem Wandern erstand ich in einem Wirtshaus ein reichliches Frühstück aus Brot, Butter und Salz. Mir war nämlich die Kriegskasse anvertraut worden, weil ich die tiefste Hosentasche besaß. Hinter dem Dorfe suchten wir am Wegrande ein Halbwegs trockenes Plätzchen, frühstückten und ließen uns von der Frühsonne bescheinen. Johann meinte, es sei eine Schande, dass wir uns Brot kauften. Wir seien gar keine richtigen Handwerksburschen. Franz und ich geben ihm Recht, und aus dieser Erkenntnis heraus beschlossen wir, in der nächsten Ortschaft zu fechten.

      Stolz und siegesgewiss, wie kühne Helden, marschierten wir alsbald auf das bedrohte Dorf los. Mit roten Ziegeldächern, weißen Mauern, schwarzen Scheuntoren und einem hohen Kirchturm sah es unserer Ankunft entgegen. Da die Häuser massiv gebaut waren, nahmen wir an, dass sie von wohlhabenden Menschen bewohnt seien, und dass wir auf reiche Beute zu rechnen hätten. Am Eingange des Dorfes spielte eine Schar Kinder um einen schon halb zerschmolzenen Schneemann; auch Erwachsenen begegneten wir, doch schenkten sie uns keine Beachtung. Nur ein zottiger Hund, dem ein Knüppel um den Hals gebunden war, schien zu ahnen, was dem Dorfe bevorstand; mit rasender Wut bellte er auf uns ein.

      „Jetzt fechte, Julius! Du musst anfangen!“

      „Warum denn ich? Gehen wir doch alle zusammen in ein Haus!“

      „Du bist wohl verrückt? Hast Du schon gesehen, dass drei Handwerksburschen auf einmal in ein Haus fechten gehen?“

      „So geh Du zuerst!“

      „Der Jüngste fängt an! Mach’ keene Faxen und schieb los!“

      Johann stieß mich auf ein Gehöft zu. Ich sträubte mich und bat, das Fechten bis zum nächsten Dorfe aufzuschieben, da jetzt, am frühen Vormittag, noch kein Mensch einen Handwerksburschen erwarte. Aber er blieb unerbittlich, wurde rau, schimpfte und drohte. Es sei schon acht oder gar neun; ich sollt nicht so blödsinnig sein und sagen, zu Fechten wäre es zu früh. Wenn ich nicht wollte, verlange er den auf ihn fallenden dritten Teil des Geldes und gehe allein weiter – ohne uns. Mit solchen Schlappschwänzen, wie wir, mache ihm das Wandern keinen Spaß.

      Bei Streitigkeiten zwischen Johann und mir nahm Franz immer die Partei meines Gegners, weil dieser der Stärkere war. So zeigte er mir auch jetzt eine feindliche Miene, obgleich er ebenfalls gescholten wurde. An Johannes Gunst war ihm viel gelegen; an der meinigen weniger. Wenn Johann den Vorschlag gemacht hätte, mich zu verstoßen, wäre Franz ohne Zaudern dazu bereit gewesen. Ich war mir der ständigen Gefahr bewusst, in der ich mich befand, und um die Eintracht zu erhalten, überwand ich oft meinen trotzigen Unmut, gab nach und befestigte durch gütliches Zureden immer aufs Neue das gelockerte Verhältnis. Sie waren ja doch beide, wenn sie sich in guter Laune befanden, recht gute Menschen, und wenn sie auch unterwegs nichts vom Dichten wissen wollten so gab’s doch immer recht unterhaltende Plaudereien. Des Friedens wegen ließ ich auch diesmal locker und zeige mich bereit, im nächsten Bauerhase zu fechten.

      Doch – ich brach mein Versprechen. Vor dem nächsten Bauerhause entdeckte ich nämlich, dass der Düngerhafen im Hofe recht klein war. „Die haben zu wenig Vieh, - die geben nichts!“

      Johann entgegnete schroff, der Düngerhaufen wäre nicht maßgebend; doch er gestattet schweigend, dass ich ein anderes Gehöft wählte. Ohne ein passendes Gehöft für mich gefunden zu haben, erreichten wir das Ende des Dorfes. Um Johanns Zorn zu beschwichtigen, leistete ich den Schwur, in dem jetzt folgenden Dorfe ganz bestimmt zu fechten, gleichviel, ob dort die Düngerhaufen groß oder klein seien. Eine halbe Stunde später war der Zeitpunkt gekommen; mein Gelöbnis musste ich nun einlösen.

      „Wenn Du jetzt wieder nicht magst, so kannst Du heimgehen zu Mutter!“ spottete und drohte Johann.

      „Lasst mich zufrieden! Ich werde schon mögen!“

      Herzhaft schritt ich voraus, fest entschlossen, mein Wort zu halten. Dem großmäuligen Freunde wollt ich zeigen, was ich leisten konnte. Ich gelangte aber tief in das Dorf, ohne ein Haus zu finden, das mir für meinen Zweck geeignet erschienen wäre. An jedem Gehöft schreckte mich irgendetwas ab. Hier war es ein Hund, dort eine Person, die im Hofe weilt und wenig freundlich aussah; dann wieder erinnerte mich ein Haus durch seine Bauart an einen geizigen Bauer in meiner Heimat, und beim Betrachten anderer Häuser und Höfe gewann ich den Eindruck, dass die Bewohner arm seien. An einem großen Bauerngute ging ich vorbei, weil es Ähnlichkeit mit dem Gute meines Vormunds hatte… Der künstlich entfachte Mut war verlodert; aber da ich unmöglich wortbrüchig werden konnte, blieb ich schließlich vor einem Hoftore stehen, in der ernstlichen Absicht, einzudringen. Nachdem ich einige Male leise den Spruch hergesagt hatte „Ein armer reisender Handwerksbursche bittet um eine Unterstützung!“ biss ich die Zähne zusammen, klinkte das Tor auf und drang forsch hinein in den Hof.

      Im Hausflur stand eine Frau am Butterfass. Ich war so verwirrt und aufgeregt, dass mir der Fechtspruch nicht einfiel. Doch sie erriet, was ich wollte, deutete nach einer Tür und sagte, ich solle hineingehen. Die Tür stand halb offen, und ich trat der Weisung gehorchend, in die Stube. Am Bettrand saß, nur spärlich bekleidet, eine andere Frau und tränkte ein Kind an der Brust. Sie sah so blass und so gütig aus, dass ich plötzlich ein inniges Bertrauen zu ihr empfand. Meine Scheu wich, und ich trat auf sie zu und wollte sie anreden; doch sie stieß einen gellen Hilfeschrei aus. Die Frau vom Butterfass und andere weibliche Personen kamen herbeigestürzt; heftig erschrocken wich ich zurück und wollte davonlaufen; im Hausflur aber zupfte mich die Frau vom Butterfass am Ärmel und hieß mich warten. Wenige Augenblicke später drückte sie mir ein Hühnerei in die Hand. Aus der Stube erscholl die klagende Stimme der Bäuerin: „Das Bettelpack wird alle Tage frecher!… Eim Bette werd ma überfalln. Der Schandarm kümmert sich gar nimme nich drum! Au heute ab gibs nischte nimme bei uns!“ - - Und sie hatte so mild und so schön wie die Himmeslmutter ausgesehen mit ihrem Kinde am weißen Busen!… Schnell rannte ich zum Hofe hinaus.

      Das Ei tröstete mich. Triumphierend hielt ich es den Freunden entgegen. Sie freuten sich mit mir, und Johann sagte belobigend: „Na siehste!“

      Franz meinte sinnend, wenn wir alle Tage Eier kriegten, würden wir ganz gut leben können in der Fremde. Ich ermahnte jetzt die Freunde, ihre Pflicht zu tun, da ich die meinige getan habe. Ermuntert durch meinen Erfolg, begingen auch sie ihre erste Fechtertat. Jeder begab sich in ein Gehöft. Aber beide kehrten mit leerer Hand zurück, Johann schimpfend, Franz traurig. „Es kommen zu viele!“ hatte Johann zur Antwort erhalten, und Franz war abgewiesen