Paul Barsch

Von Einem, der auszog.


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zornig. „Das sein ja elende, krüppelige Hungerleider!“

      Ich verteidigte die Bewohner der Gegend und wies auf mein Hühnerei hin. Meines Erfolges durfte ich mich leider nicht allzu sehr rühmen, weil Johann, der ohnehin seine gute Laune verloren hatte, gar leicht hätte ungemütlich werden können. Hinter der Ortschaft erwogen wir die Frage, was mit dem Ei geschehen solle. Johann war geneigt, es auszutrinken; er meinte, dass er zufällig Appetit auf ein rohes Ei habe. Ich lehnte seinen Wunsch empört ab und schlug vor, das Ei hart zu kochen und in drei gleiche Teile zu zerlegen. Fein gehaktes Ei, auf Brot gestreut, schmeckte vorzüglich, und wir könnten uns auf solche Weise das feinste Mittagessen herrichten. Der gute Wert dieses Ratschlages fand Anerkennung, und so kamen wir überein, trockenes Gras, Papier, Stroh und Reisig zu sammeln, Feuer anzuzünden und unseren kostbaren Schatz in einem Scherben zu kochen. Ein Feuer brachten wir mit einiger Mühe zustande; an Wasser war auch kein Mangel, doch ein Topfscherben nicht zu finden. Ich hielt das Ei mit der Hand über das Feuer, in der Meinung, das Dotter müsse durch die Einwirkung der Hitze hart werden. Johann brachte und dabei durch allerlei spöttische Bemerkungen und Späße zum Lachen; besonders dadurch, dass er Franzens Mütze mit Schneewasser füllte und sie als Kochgeschirr empfahl. Seinen Wunsch, das Ei selbst über Feuer zu halten, damit ich mir nicht zu dem verbrannten Munde noch die Finger verbrenne, lehnte ich ab, da er es sonst wahrscheinlich ausgetrunken hätte. Da knackte plötzlich die Schale, und das flüssige Gelb rann in die Asche… Ein dreifacher Wehruf…

      Johann fand zuerst die Fassung wieder. Er drückt das Feuer aus und suchte zu retten, was zu retten ging, in dem er die Asche wegblies und das Dotter so gut als möglich aufleckte.

      „Hätt’ ich’s nur bald genommen und ausgesoffen!“ rief er ärgerlich.

      Franz und ich grämten uns den ganzen Tag über den schweren Verlust.

      Das Dörfchen, dessen Gasthaus uns am zweiten Abend unserer Wanderung Quartier gab, hieß Schweinebraten. Der Name kam uns sonderbar und komisch vor, und wir fragten die Magd, die uns in der Kammer ein Strohlager bereitete, ob sie täglich Schweinebraten zu essen bekomme.

      „Alle Tage is nich Kermes“, erwiderte sie und lachte.

      Auf eine Frage, die ich stellte, gab sie den Bescheid, das Dörfchen führe ihres Wissens diesen Namen, weil einst der Alte Fritz darin eine Portion Schweinebraten gegessen habe. Sie selber müsse mit Kartoffeln und Buttermilch zufrieden sein; den Schweinebraten könne sie sich, wenn sie wolle, dazu denken. Einen Scherz derber Art, den sich Johann mit ihr erlaubte, erwiderte sie durch Grobheiten. Sie nannte Johann einen Rotzlöffel und sagte, er sei ihr noch zu grün „für fitte Faxen“. Da Johann fortfuhr, sie auf hässliche Art zu necken, ließ sie von der halbfertigen Arbeit ab. „Macht Euch Euer Lausepocht alleene zurechte!“ schrie sie wütend und ging fort.

      Ich war betroffen von der Dreistigkeit Johanns. Und ich erstaunte noch mehr über eine Unterhaltung, die sich zwischen ihm und Franz entspann und nach meinem Empfinden maßlos gemein war. Solche Reden hatten sie noch nie geführt, und sie kamen mir nun plötzlich vor wie Menschen, mit denen man zum ersten Male beisammen ist. Johann war ja in Liebesdingen schon gut erfahren; dass aber Franz – der dumme Franz! - Jetzt das Hauptwort führte und den älteren Gefährten in garstigen Ausdrücken und Erzählungen übertrumpfte, kam mir fast unbegreiflich vor. Ihre Unterhaltung war mir widerwärtig und anziehen zugleich. Das Weib galt mir als das sonderbarste aller dunklen Geheimnisse. Wenn meine Seele sich mit diesem Geheimnis beschäftigen wollte, erschauerte sie in Andacht, Verehrung und inniger Sehnsucht; zuweilen aber drang in diese heilige Feier der Misston eines schmutzigen Empfindens. Alsdann erschien mir das Weib als etwas Unreines, Schandhaftes, und ich freute mich, dass ich ein Junge geworden war. Wäre ich ein Mädchen geworden, hätt’ ich mich ja schämen und vor den Menschen verbergen müssen. Ganz unerklärlich war es mir, dass eine Frau ein Land regieren konnte. Bei diesem seltsam verwirrten Gemütsverhältnis war es natürlich, dass ich den Mann als ein Wesen betrachten musste, das hoch über dem Weibe stand; doch hinderte mich dieser Glaube nicht, schönen Frauen und Mädchen in Gedanken untertan zu sein und mein ganzes Leben heimlich ihrem Dienste zu weihen. Schon als kleiner Knabe trug ich ein sehnsüchtiges Begehren nach milder Frauenliebe und Frauengüte im Herzen. In der Zeit vom elften bis zum dreizehnten Jahre lebte ich nämlich neben dem wirklichen Leben, das hart und trostlos war, ein herrliches, märchenbuntes Traumleben. Wenn ich unter der Zucht meines gestrengen Vaters unablässig schwer arbeiten musste, nie über Müdigkeit klagen durfte und schon bei geringen Vergehen oder Versehen harte Schläge zu befürchten hatte, dachte ich gern an unser schönes Schlossfräulein, das oft an unserem Hause vorbei ritt. Ich ersann die allerprächtigste Geschichte, in der ich durch kühne Taten zu Ruhm und Reichtum gelangte und einen Schimmel zum Reiten besaß. Das Schlossfräulein war meine Herzliebste; wir ritten miteinander über die Felder, in den Wald und durch das Dorf. Vor dem Wirtshause stiegen wir ab und ließen uns solches Bier bringen, wie es die Offiziere zu trinken pflegten, wenn Soldaten bei uns im Quartier lagen. Den Leuten, die uns bewundernd zusahen, geben wir Geld, damit auch sie das gute Bier zu kosten bekämen. Bei jenen Kapiteln meiner Geschichte, in denen mich die Menschen bewunderten und rühmend von mir redeten, verweilte ich am liebsten und am längsten. Jeden Tag spann ich den Roman weiter; jeden Tag befand ich mich an der Seite der vornehmen Liebsten, zu der ich in Wirklichkeit kaum aufzublicken wagte, und jeder Tag brachte neue Freunden, neue Abenteuer und neue Küsse. Doch so innig ich mit ihr vertraut war, und so willig und freudig sie alle meine Wünsche erfüllte – wir blieben die keuschesten Kinder. Eine Grenze bestand, über die sich meine sonst unerschrockene Phantasie nicht hinauswagte, obzwar von drüben her im leisen Dämmerlichte der Ahnung ein paradiesischer Garten winkte.

      Während ich der seltsamen Unterhaltung meiner beiden Freude lauschte, ging mir Schillers Buch durch den Sinn. Wie rein, wie edel, wie erhaben waren alle die Frauen und Mädchen, von denen ich dort gelesen! Auf das durch Schiller verklärte Gemüt wirkten die gemeinen Worte noch widerlicher. Da sie trotzdem ein Glutbegehren nach Frauenhuld in mir erzeugten, wandten sich meine Gedanken der beleidigten Magd zu. Weil sie im Zorn über einen hässlichen Ausdruck davongerannt war, verwandelte sie sich in meinen träumerischen Betrachtungen zum Sinnbilde der Reinheit; ich folgte ihr nach in ihre Kammer, redete sie ehrerbietig an, küsste sie auf die Stirn und auf den Mund, sagte ihr, dass sie mir so viel gelte, wie eine Prinzessin, und dass ich treu an ihrem Bette wachen wolle, trug ihr Gedichte von Schiller vor und phantasierte mich, ohne es zu wissen, lieblich in Schlaf.

      In Breslau.

      Die Rocktragen hochgeschlagen, die Hände in die Taschen versenkt, die Stecken zwischen Arm und Leib geklemmt, die Köpfe tief na vorn geneigt und die Augen halb zugekniffen – so strebten wir dem nassen Sturm entgegen. Die Augen waren feucht und die Wangen; ich wusste nicht, ob das von Schneeregen kam, oder ob ich weinte.

      Der Sturm heulte vor Wut, weil er uns nicht hinwerfen konnte, und weil auch die Straßenbäume zu fest standen. Doch freuten wir uns nicht unserer Kraft.

      Durch Dörfer marschierten wir, und Menschen sahen zu den Fenstern heraus. Keiner von allen diesen Menschen lud uns ein, in eine Stube zu kommen, uns zu wärmen, auszuruhen und zu stärken.

      Johann ging voraus; er ging so schnell, dass wir ihm kaum folgen konnten. Franz wimmerte und klagte sich an, weil er nicht zu Hause geblieben. Am Abend auf der Streu war er so klug und großsprecherisch gewesen, wie ein viel erfahrener, furchtloser Mann, und nun zeigte er sich verzagt, wie ein kleines Kind. Ich bat Johann, nicht so schnell zu laufen; das war aber ein Grund für ihn, noch schneller auszuschreiten, und da ich nicht zurückbleiben wollte, ging mir fast der Atem aus. Johann sagte, er sei durch und durch nass geworden und müsse sich nun im Laufschritt erwärmen. So liefen wir von Ort zu Ort – immer weiter. Und wir hatten noch nicht gefrühstückt.

      Unser Bund war nahe daran, der Auflösung zu verfallen; nur durch meine Besonnenheit ward er gerettet. Obgleich ich keuchend nach Atem rang, erzählte ich eine Geschichte von einem Manne, der auf schlaue Weise Krähen fing, und Johann gern solche Tiergeschichten hörte, zwang ich ihn, ohne dass er meine Absicht erriet, langsamer zu gehen. Allmählich brachte ich ihn soweit, dass er meinen Vorschlag, uns irgendwo zum Frühstück hinzusetzten, lebhaft billigte. Als Franz vom Frühstück hörte,