Paul Barsch

Von Einem, der auszog.


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anderer Ton, ein anderer Rahmen; und dennoch wirkte es so lockend und vertraulich, so frieden- und wonneverheißend auf mein verlangendes Gemüt, wie jene gemalte Insel der Glückseligkeit aus meinen Knabenjahren… Ich glaubte die Sonne schon lange versunken; doch war sie nur verhüllt gewesen vom Abendgewölk. Jetzt zerriss sie die dichten Schleier, trat in rot flammender Herrlichkeit hervor und wollte noch einmal das schöne Tal beschauen. Da ergoss sich über die finsteren Höhen ein breiter Lichtstreif und verklärte auch die Türme und höchsten Dächer. Das war wunderherrlich zu schauen, währte jedoch nur kurze Zeit, da die Sonne müde in ihr goldenes Bett versank. Die Waldhöhen traten jetzt finster, wie schwarzer Gewitterhimmel, hervor, und auch das Tal hatte den bunten Glanz verloren; mir im Gemüt aber lebte lieb und licht die Gewissheit, dass dort unten gute Menschen wohnen.

      Das erste Gebäude, an dem wir vorbeigingen, war ein großes Gasthaus mit dem Namen „Deutscher Kaiser“. Dann führte die Straße über einen geräumigen, sandigen und von Häuser umgebenen Platz, auf dem vielleicht die Märkte abgehalten wurden; sie geleitet uns in eine lange, gekrümmte Gasse. Auf einem schmalen Bürgersteige gingen wir an niederen Häusern entlang. Die Schilder an den Türen waren unscheinbar und altmodisch, die Türen niedrig und die Fenster klein. Die Bewohner hatten bereits Feierabend gemacht; in schlichter Arbeitstracht standen sie mit verschränkten Armen an den Häusern oder in den Haustüren und plauderten. Unsere Grüße erwiderten sie mit lauter Stimme. Einige Male vernahm ich, dass sie sich lustig über uns machten, und zwar spotteten sie über unsere krumm gelaufenen Stiefel. Ich ging nun mitten auf der Straße und grüßte nicht mehr, denn ich glaubte, das Erwidern meiner Grüße sei nur Hohn. Ich senkte die Augen nieder und wollte nichts mehr sehen von der Stadt und den Menschen. In mein Gemüt war Finsternis gekommen; das heitere Vertrauen zu den Menschen im stillen Tale war dahin; ich hielt mich für überzeugt, dass sie noch rauer, herzloser und kälter seien, als die Menschen draußen in der Ebene. O, dass ich so arm war – so arm und unwissend und unbeholfen! Wenn doch der Tod käme! Ich konnte nicht bestehen in der Fremde! Ich wusste nicht, wie ich den Kampf um mein Leben führen sollte!

      Wir gelangten in eine enge Gasse; dort stand an einem kleinen Hause in großen Buchstaben zu lesen: „Herberge zur Heimat“. Franz fühlt sich freudig berührt; er wollte, dass wir in der Herberge übernachten, weil wir da wieder einmal Gelegenheit hätten, in einem Federbett zu schlafen. Unser Geld reiche ja aus. Ich sträubte mich gegen den Vorschlag und hätte es vorgezogen, noch bis in das nächste Dorf zu marschieren; so groß war mein Widerwille gegen die Stadt und ihre Bewohner. Franz aber besiegte mich durch Tränen. Weinend beteuerte er, dass er gar zu müde sei und nicht weiter laufen könne. So willigte ich zögern ein, dass er hineingehe und sich nach den Preisen der Betten erkundige.

      Während Franz in der Herberge weilte, kam des Weges ein Mann, der eine Säge, einen Hobel, einen Hammer und einen Stechbeutel trug. Auch ohne diese Kennzeichen hätte ich einen Tischler in ihm erkannt; seine schiefen Beine, seine ungleichen Schultern und die mit Leim und Holzstaub geblümte Schürze verrieten ihn. Ehrfurchtsvoll zog ich die Mütze zum Gruß, da er offenbar ein Meister war. Er blieb stehen, musterte mich und fragte:

      „Tischler?“

      „Ja!“

      „Papiere?“

      „Ja!“

      Ich zog mein Gesellenzeugnis aus der Tasche und überreichte es ihm. Ohne es zu entfalten, fragte e weiter:

      „Haben Sie Lust, zu arbeiten?“

      „Ja – wenn Sie so freundlich sein wollten…„

      „Da kommen Sie mit! Vielleicht werden wir fertig miteinander.“

      Ich begleitete ihn in seine Werkstatt. Sie befand sich in der engen Gasse, der Herberge gegenüber. Der Meister zündete eine Lampe an und las das Zeugnis.

      „Wie gesagt: wenn Sie wollen, so bleiben Sie da!“

      Ich war so überrascht und beglückt, dass ich kein Wort hervorbrachte.

      „Sie wollen wohl nicht?“ fragte er schroff. „Mir ist’s egal! Leute gibt’s jetzt massenweise.“

      „O ja, ich will!“ sprach ich erschrocken.

      „Das ist was anderes!... Da ist Ihre Hobelbank! Wenn Sie nicht in der Herberge schlafen wollen, können Sie bald dableiben. Sie haben doch kein Ungeziefer?“

      „Nein!“

      „Das bitt ich mir auch aus! Das Bett will ich mir nicht versauen lassen. Es steht auf dem Boden.“

      Wohl verletzte mich die Grobheit des Mannes und flößte mir Furcht vor ihm ein; doch über alle meine düsteren Gefühle und über mein Bangen siegte die jubelvolle Tatsache, dass ich Arbeitsgeselle geworden. Nun war ich nicht mehr ohne Obdach, ohne Heimat, brauchte nicht mehr mein Brot zu erbetteln und mich schmachvoll beschimpfen zu lassen, konnte jetzt Nacht für Nacht in einem Bette schlafen. Im Herzen tat ich den heiligen Schwur, alle Kraft aufzubieten, um das Vertrauen zu rechtfertigen, das der Meister in mich gesetzt. Aber Franz – der arme Franz! Was wird er sagen?... Ich teilte dem Meister mit, dass auf der Straße mein Reisegefährte auf mich warte, und bat um eine halbe Stunde Urlaub.

      „Machen Sie, was Sie Lust haben!“ erwiderte er mürrisch. „Für heut haben wir Feierabend. Aber wenn Sie hier schlafen wollen: um neun Uhr wird die Klappe zugemacht.“

      Mit dem Versprechen, rechtzeitig zurückzukehren, eilte ich hinaus. Franz stand auf der Straße und sucht mich mit ängstlichen Blicken. Er kam mir entgegen uns sagte, dass die Preise in der Herberge gar nicht hoch seien. Ich unterbrach ihn mit der Mitteilung, dass ich nicht in der Herberge, sondern im Hause meines Meisters schlafen werde. „Ich habe Arbeit gekriegt.“ Er hielt meine Worte für Scherz; doch als ich ihm mein Erlebnis erzählte, prägte sich Schrecken in seinem Gesicht aus, und als ich sagte, er müsse nun allein wandern, begannen wieder Tränen über seine Wangen zu rinnen… Franz war trostlos. Alles gute Zureden war unnütz; alle Versprechungen blieben wirkungslos. Er weinte so laut, dass Menschen herbeikamen und bei uns stehen blieben. Eine Frau sah mich giftig und drohend an und richtete an Franz die Frage, ob ich ihm etwas weggenommen hätte. Er erklärte heulend, seine Füße täten ihm weh, worauf die Frau verlegen zurückwich. Mit stockender Stimme bat er mich, ihm die Arbeitsstelle zu überlassen. Ich hätte gesunde Beine und könnte laufen; er aber komme nicht mit seinen kranken Füßen weiter.

      Um den neugierigen Menschen zu entrinnen, zog ich mich in das Haus des Meisters zurück. Franz folgte mir, und auf der düsteren Treppe wiederholte er dringend seine Bitte. Ich fühlte, dass ich ihm helfen müsse, und forderte ihn auf, mit mir zum Meister zu gehen. Er trocknete die Augen; mir aber wurde bitter weh zu Sinn. Alle die Himmel, die sich mir nach langer Leidenszeit nun erschließen wollten, sah ich wie Traumgebilde zerrinnen. Den Meister trafen wir noch in der Werkstatt. Mit unsicherer, bebender Stimme bat ich ihn, meinen Kollegen als Gesellen anzunehmen und mir den Abschied zu geben.

      „Sie sind wohl zu faul zur Arbeit?“ fragte er.

      „Nein, Herr Meister! Aber mein Kollege…“

      „Sie brauchen ’s bloß zu sagen, dann kriegen Sie Ihren Zettel gleich zurück! Ich habe Ihnen angenommen und nicht den andern! Entweder Sie bleiben oder Sie gehen! Mir kann’s egal sein!“

      Er drehte uns den Rücken zu, und Franz benützte diese Gelegenheit zur Flucht. Ich ging ihm nach und holte ihn erst auf der Straße ein. Die Lust zur Arbeit war ihm vergangen. Er verlangte, dass ich weiter mit ihm wandere, und fühlt sich sogar stark genug, mit mir das nächste Dorf zu erreichen. Mein Entschluss aber war, bei dem Meister zu bleiben. Ich führte also den Freund in die Herberge, bestellte Suppe, Butterbrot, Käse, zwei Schnäpse und erklärte ihm währen des Abendessens, dass das Scheiden einen Notwendigkeit geworden sei. Anfänglich war kein vernünftiges Wort mit ihm zu reden; er hielt es für unmöglich, dass ich ihn verlassen könnte. Erst als er die warme Suppe genossen und den Schnaps getrunken hatte, gewann er ein wenig frische Lebenskraft… Seit dem Tage unseres Ausmarsches hatte ich keinen Schnaps getrunken. Als Arbeitsgeselle glaubte ich ein wenig nobel auftreten zu müssen; daher trieb ich solche Verschwendung.

      „Morgen früh“, sprach ich, „bitt ich