Alexander-René Grahovac

Zip und Zap auf großer Fahrt


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einfach!“ Zap hatte ihm aufmerksam, atemlos zugehört und sich bereits in den entgegengesetzt wehenden Luftschichten über dem großen Meer den Kurs ändern sehen. Jetzt war er tatsächlich hier, jetzt mußte eine Entscheidung getroffen werden. „Komm, Zip, wir drehen um!“ zwitscherte er mit lauter Kommandostimme und schwenkte um 180 Grad. Zip folgte ihm kommentarlos. Sie stiegen mit dem Wind höher und höher, Faial war schon wieder ganz gut zu erkennen. Die Luft wurde dünner und plötzlich spürten sie den Gegenwind. „Uuuund: Umdrehen!!!“ Zap machte wieder eine 180 Grad Kurve. „Aber ich dachte, ich dachte, wir wollten zurück?“ fragte Zip. „Vertrau mir, Zip!“ Sie ließen sich von dem nunmehr vorhandenem Ostwind tragen und gelangten innerhalb zweier Stunden zur Insel Flores. Dort gab es auch ein Santa Cruz, Santa Cruusch. Sie landeten in einem Blumenfeld unweit des Morro Alto, ein wenig innerhalb der Insel, weil es gar nicht so einfach war, dem starken Ostwind zu entrinnen. Immer wieder hatte es sie hoch gedrückt und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als ein eleganter Sturzflug aus 3500 Metern Höhe. Die Rucksackriemen schnitten ihnen in die Federn, Zip hatte die Augen fest zugedrückt: „Sag mir Bescheid, wenn wir fast unten sind.“

      Der Boden näherte sich schnell und Zip und Zap streckten wieder die Flügel aus, stoppten den rasanten Sturzflug und schwangen elegant über dem Hortensienfeld nahe dem Zentralberg aus. Irgendwie hatten sie es hier mit Hortensien auf den Inseln. Nach einer kurzen Erholungspause flogen unsere beiden Spatzen weiter Richtung Westende der kleinen Insel und landeten punktgenau auf dem Marktplatz, der Grande Placa des Dorfes Faja Grande.

      Natürlich waren dort auch ein paar Spatzen, die sich in respektvoller Entfernung einiger großer, weißer Möwen unter den Tischen des einzigen Cafés des Ortes aufhielten. „Bom Dia“, sagte Zap. „Bom dia, patrice, doinde bwaasch?“

      „Hallo, mein Name ist Zap, weiß jemand, wo Joaqiun wohnt?“ Einige zuckten mit den Flügelschultern, aber einer, ein schon recht älterer Spatz sagte: „Was wollt ihr von Joaquin?“ „Ich habe einen Gruß von seinem Bruder und ein Geschenk für ihn.“ „Von seinem Bruder, von Joao?“ Der alte Spatz sagte: „Joaquin ist mein Schwager, dann kommt mal mit!“

      Er stieg für sein Alter überraschend schnell auf, Zip und Zap folgten ihm. Sie flogen über den kleinen Ort, der genauso aussah wie jeder andere Ort auf den Inseln der Azoren, die sie bislang besucht hatten. Bunt gestrichene Häuser mit großen Balkonen, darauf ältere Frauen mit haarigen Warzen auf den Wangen, schwarzen Kopftüchern und in den Gassen vor den Häusern an blauen Tischen sitzend, grauhaarige, Karten spielende, alte und Vino Verde dos Acores trinkende Männer.

      Sie flogen auf einen außerhalb liegenden Hof zu über einen Lorbeerwald hinweg. Es war eine wunderschöne Insel, viele Bäume, Felder von wild wachsenden Blumen, Lorbeerwälder, alles üppig grünend und blühend. Eine Duftmischung aus Ingwerblüten, Yams und Lorbeer stieg zu ihnen auf. Die Felder voller goldenem Getreide. Nach wenigen Minuten landeten sie auf dem Dach eines hellgrün gestrichenen Hauses, dem Haupthaus des Bauernhofes.

      Der alte Spatz, der sich inzwischen als Piedro vorgestellt hatte, klopfte kräftig gegen eine kleine, hölzerne Tür. „Oj, Kuniadusch, hier ist Piedrusch, Besuch für dich, mach auf!“ Statt des erwarteten Schwagers Joaquin steckte eine, wie offenbar auf den Islas dos Acores üblich, kräftige und vollbusige Spätzin mit dem unvermeidlichen schwarzen, unter dem Schnabel festgeknotetem Kopftuch den Schnabel zur Tür heraus. „Aaah, Piedrusch, bienvenudosch“, sie öffnete die Tür weit und bat die drei Spatzen herein. Piedro erklärte die Situation. „Joaquin muss gleich hier sein“, sagte die Spätzin, die sich zwischenzeitlich als Maria dos Calvos (sie sagte natürlich: Mariu dosch Calvusch oder Calvosch, so genau war das nicht zu verstehen) vorgestellt hatte. Nach wenigen Minuten kam der Cuniado, der Schwager, so heißen die rund ums Mittelmeer bis Portugal hinein und bis auf die Azoren (Schwager = Cuniado, in allen Variationen). Joaquin nahm kaum Notiz von unseren beiden Wanderhelden-Spatzen-Von-Der-Geest. Zip und Zap waren gerade eingehüpft in die wirklich phantastisch große Nestanlage. Es war ein großer, allerdings niedriger Plattboden über einer alten Scheune etwa fünf Quadratmeter groß mit einer Unmenge an Stroh und Heu gefüllt. Darin, darunter, dazwischen jede Menge Jungspatzen, Spatzen die ein Jahr alt waren, so wie Zip und Zap, einige ältere, gebrechlich wirkende Spatzen, die sich, die Hüften haltend, am Stock gingen, graufedrig und gebeugt.

      „Oije“, zwitscherte Maria fröhlich, wohlbeleibt ihren mächtigen Bauch schwenkend, „Bienvenudosch, das ist meine Familie: Opa Jorge, Oma Maria.“ (Maria, wie auch sonst) Oma, die ein schwarzes Kopftuch um Kopf und Schnabel trug, Opa, der sich auf einen knorrigen Stock aus Vino-Verde-dos- Acores-Weinholz stützte. Und die ganzen Enkel, Urenkel und Ururenkel … und wahrscheinlich noch ein paar heimlich eingenistete Fremdspatzen! (Wahrscheinlich waren auch noch ein paar junge Kuckucke darunter …!) Jedenfalls Großfamilie pur, sozusagen in Reinkultur. Zap überreichte die Flasche Vino Verde dos Acores und bestellte Joaos Grüße.

      Joaquin, der sich gerade seiner schweren Futterlast entledigt hatte, wischte sich mit der Flügelspitze den Schweiß von der Stirn. „Bienvenudosch, Patrices.“ Willkommen, Landsleute. Zip und vor allem Zap erklärte, was sie vor hatten, über den Atlantik und wie das wohl gehen sollte und warum. Joaquin prostete ihnen zu: „Recht so, recht so, Jungspatzen.“ Er musste etwas brüllen, da seine Brut und die alten Spatzen und die sonstigen Mitbewohner einen Höllenlärm machten, während sie sich über das von Joaquin mitgebrachte Futter stürzten. Ja, hier funktionierte noch die generationenübergreifende Versorgungsgesellschaft, der Generationenvertrag!

      Kurz und gut, Zip und Zap wurden herzlich aufgenommen. Sie mußten erzählen von ihrer Heimat, von ihrer langen Reise, ihren Erlebnissen unterwegs. So vergingen die Tage, sie machten lange Flüge über die Insel, erkundeten jede Ecke, jeden Baum, jeden Abfalleimer. Einige Nahbegegnungen mit großen Möwen und vereinzelten Raben, die sie böse anknurrten, vermiesten ihnen aber den Aufenthalt auf Flores nicht. In dem großen Spatzennest wurde fast jeden Abend gefeiert, es kamen eine Menge Leute zu Besuch und beileibe nicht nur Spatzen. So auch eine magere, alte Rohrdommel, die eigentlich aus der Provence stammte, die aber versehentlich in jungen Jahren nach einer ausgelassenen Feier in einem Küstennest an der französischen Atlantikküste auf einem vorbeifahrenden Schiff gelandet war, welches stracks Richtung Amerika fuhr. Eines Tages dann kam das Schiff dicht an einer Azore vorbei, so daß Madeleine, die Rohrdommel, nach langen Tagen des Fastens und Darbens zwischen riesigen Containern auf eisernem, schwankendem Deck sich ein Herz faßte und der nahen Insel zustrebte. Schon eine Leistung, wo man doch weiß, daß Rohrdommeln Wenig- und Tiefflieger sind!

      Seitdem hatte sie auch nicht nur eine Schnabelspitze Richtung Meer geneigt, geschweige denn einen ihrer dünnen, gelben Füße an den Strand gesetzt. Sie fühlte sich wohl unter den Einheimischen, wurde akzeptiert und sehnte sich nicht im Entferntesten nach ihrer Heimat zurück. Sie hatte ihr Auskommen als Gouvernante und Spatzenlehrerin. Die lange Fastenzeit auf dem Schiff hatte ihr eine perfekte Figur beschert, die sie sich dann bis in die späten Jahre bewahrt hatte. Aber sie sah eben doch aus wie eine alte Jungfer, eine Gouvernante eben, allerdings mit französischem Dialekt …!

      Auch ein paar Grasmücken und Jungsturmmöven kamen zu den abendlichen Festen. Es war eine bunte Gesellschaft und zu fortgeschrittener Stunde sangen alle traurige Lieder und Zip und Zap versuchten mitzuzwitschern.

      Nach langen Tagen zeichnete sich endlich eine Ostwetterlage ab, das Azorenhoch hatte sich stabilisiert und sorgte für reichlich Luftströmung.

      Es war schon weit im April, eigentlich schon Mai, es war warm geworden und unsere beiden Spatzen hatte das Fernweh wieder gepackt. Besonders aber Zap, er drängte auf die Abreise, vielleicht auch, weil einer der Jungspatzen sich auffällig oft in Zips Nähe aufhielt und sie sogar schon einige Male zu einem Ausflug überredet hatte.

      So kam der Tag des Aufbruchs. Eine große Schar der Bewohner und Gäste aus dem Plattboden über der Scheune begleitete unsere beiden Abenteuerspatzen. Auch die Rohrdommel, die schon ein wenig wackelig auf den Flügeln war. Opa Jorge und Oma Maria allerdings winkten lediglich vom Landebrett zum Abschied, Opa schwenkte seinen Vino Verde dos Acores Weinstockholzknüppel. Alle anderen begleiteten Zip und Zap zum Nordwestkap der Insel Flores. Sogar zwei der kleinen Sturmmöwen, die oft und gerne zu Gast auf dem Partyboden bei Maria und Joaquin waren, begleiteten sie. Jeder wollte unbedingt