Alexander-René Grahovac

Zip und Zap auf großer Fahrt


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konnte sich vor Entsetzen nicht rühren und stand da mit ausgebreiteten Flügeln. Esmeralda reichte es jetzt und sie flog etwas auf, haute dem Jungmöwerich ihren kräftigen Flügel an den Hals, worauf dieser erschrocken Zap fallen ließ und sich Esmeralda zuwandte. Esmeraldas strengster Blick genügte und alles war vorbei. „Tja, tut mir leid, Leute, aber manche Möwen, besonders die jungen Bengels, sind nun mal so, die meinen das aber nicht so …!“ Was ein Trost für Zap, der sich seinen geschundenen Rücken rieb. „Du wirst zwar gefressen und vorher gefoltert, aber die meinen das nicht so …!“

      Nachdem sich Zip und Zap artig für das tolle Frühstück und für die Rettung vor den Jungsturmmöwenjungs bedankt hatten und Esmeralda sie ein wenig unbeholfen umflügelt hatte, stürzten sie sich, begleitet von hundertfachem Lachen, Schimpfen, Fluchen von der hohen Klippe in den jungen Tag hinein. „SPATZEN, glaubt man’s denn?“ Esmeralda schüttelte ihren schokoladenbraunen Kopf. „Buena Viaje“, rief sie ihnen nach, „buena Viaje, wir sehen uns!“ Sie freute sich schon auf ihre nächste große Reise Wenn sie nur endlich die lästige Brutzeit hinter sich hätte …!

      Stunde um Stunde flogen sie an der felsigen Küste entlang, immer nach Westen. Manchmal landeten sie auf den Klippen, um sich etwas auszuruhen oder nach einem kleinen Imbiß zu suchen, wohlbedacht, nicht in der Nähe von Möwennestern zu landen. Obwohl Esmeralda sie nett behandelt hatte, und auch die anderen Nestmöwen sie nur durch schrilles Lachen, Fluchen und Schimpfen erschreckt hatten, war ihnen nicht wohl in ihren Federn gewesen und sie waren froh, der Möwenkolonie entronnen zu sein.

      Gegen Mittag war der Hunger so groß, sie mußten jetzt irgendetwas zu essen finden und so landeten sie in einer großen Stadt, Gijon, einem Hafen. Die eisernen Vorräte anzugreifen, brachten sie nicht übers Herz. Nahe der Stadt fanden sie einen großen Getreidesilo und viele, viele, unendlich viele Getreidekörner, an denen sie sich gütlich taten. Und es waren fast so viele Spatzen wie Getreidekörner da. Sie stopften sich jetzt auch ihre Reiserucksäcke voll. Von Gijon aus ging es bis in den späten Abend längs der Küste nach Westen. Plötzlich erfaßte sie ein starker Nordwind, der sie in Nullkommanichts bis nach Santiago de Compostela schob. Dort landeten sie in der untergehenden Sonne auf dem Kirchenvorplatz und fanden einen windgeschützten Unterschlupf im Dachgebälk der Kathedrale hoch über dem Kirchenplatz.

      Nach einer kühlen, lauten Nacht - ganze Scharen von Spatzen palaverten und feierten die ganze Nacht lautstark bis in die frühen Morgenstunden - wachten die beiden schon früh auf. Ein dicker, alter Spatz hatte sich vor ihnen aufgebaut: „Oje, de donde ustedes? Ich hab’ euch hier noch nie gesehen?“ „Wir sind Zip und Zap, von der Geest, de Allemagna.“ „Aah, freut mich, ihr seid doch bestimmt hungrig, kommt mit. Ich bin übrigens Josè, mir gehört die Kathedrale.“ Er stürzte sich von dem Dachbalken und hielt Kurs auf ein Restaurant. Sie landeten zwischen den auf dem Bürgersteig stehenden Tischen und Stühlen. Es gab reichlich Brotkrümel, die die Gäste vom vorherigen Abend übrig gelassen hatten. Andere Spatzen gesellten sich dazu und wenig später war der Boden leergefegt. Zip und Zap erzählten von ihrer Reise und ihrem fernen Ziel. Sie ernteten allenthalben anerkennendes Zwitschern. Mit großem Hallo wurden sie verabschiedet: „Buena Viaje“, zwitscherte und tschilpte es, „Buena Viaje, Amigos, y Saludos.“ Sie flogen nach Westen in den hellen Tag hinein, rasteten kurz bei Brion, flogen über die karger werdende galizische Landschaft. Zu Mittag aßen sie in Mazaricos, einem kleinen, ruhigen Städtchen, wo sie sich vom Fensterbrett eines bunt gestrichenen Hauses eine ordentliche Portion noch dampfender Kartoffeln holten. Eine Frau mit einem schwarzen Kopftuch schlug mit einem hölzernen Kochlöffel nach ihnen.

      Sie flogen über die weite Bucht bis direkt nach Kap Finisterre, landeten auf den hohen Klippen und sahen das erste Mal den richtigen Ozean vor sich. Welch ein Bild für unsere kleinen Spatzen:

      Gewaltige Brecher schlugen an den Fuß des Kaps, die Gischt schäumte fast bis zu ihnen hinauf. Aus Westen rollten lange Dünungsberge heran, steilten sich im flacher werdenden Wasser auf und brachen sich an dem steinigen Strand. Angekommen nach einer langen Reise über den Ozean als Überrest eines Sturmes, der die See in tagelangem Peitschen und Stürmen höher und höher aufgetürmt hatte. Unweit des Kaps fuhren Schiffe nach Norden und Süden. Kap Finisterre, ein markanter Navigationspunkt, schon Lord Nelson hatte seine Flotte auf der Reise nach Trafalgar hier vorbeigeführt. Kap Finster, wie es von den Seeleuten genannt wurde, war gefährlich, man durfte ihm nicht zu nahe kommen. Legionen von Segelschiffen waren hier gescheitert, besonders, wenn der Sturm aus Westen blies. In der heutigen Zeit war das Kap dann nicht mehr ganz so schlimm für die Schiffe mit ihren großen, starken Maschinen. Dennoch hielten sie sich meist in respektvoller Entfernung.

      Der Wind hier oben auf der Klippe wehte stark, Zip und Zap konnten sich kaum auf ihren kleinen, gelben Füßen halten und sie mußten ständig mit den Flügeln balancieren, um nicht einfach umzukippen und davongeweht zu werden. Und es war ein starker Westwind, der ihnen schon auf dem Weg von Brion zur Küste zu schaffen gemacht hatte und stetig stärker geworden war. „Das wird heute nichts, Zip!“

      Nach einigen Tagen hatte sich der Wind gelegt, ein Hochdruckgebiet breitete sich aus und brachte endlich den erforderlichen Ostwind. Sie hatten sich ein wenig mit einer Sturmmöwe angefreundet, die es von der fernen, fernen Ostsee hierher verschlagen hatte und die nicht so recht mit den einheimischen Möwen klarkam, hausten ihrer doch Tausende und Abertausende in den Klippen von Kap Finsterre. „Leute, nun müsst ihr aber los“, sagte die Möwe, nachdem sich Zip und Zap fast eine Woche lang unter ihrem Schutz auf den Klippen aufgehalten hatten, unterbrochen von kurzen Flügen ins Inland auf der immer erfolgreichen Suche nach etwas Eßbarem, spanische Frühlingswürmer, ein paar vergessene Weizenkörner, jede Menge Weißbrotkrümel von den Tischen der vielen kleinen Cafés in den Dörfern rings um das Kap.

      „Den Wind ausnutzen und geht so hoch wie möglich!“ Zip und Zap machten sich startklar, überprüften noch einmal ihre Ausrüstung, zogen die Schnallen ihrer Rücksäcke nach und auf ging’s. Der Ostwind griff unter ihre Flügel und sie stiegen höher und höher. Das Kap verschwand im Licht der aufgehenden Sonne. War da gestern Abend ein Zögern, ein wenig Angst in Zips Stimme gewesen? „Zap, sollen wir wirklich? Wer weiß, was uns erwartet?“ „Ach, Zip, hör auf, das haben wir doch schon hundertmal besprochen. Wir ziehen das jetzt eben durch!“ Zap war nach wie vor zuversichtlich, besonders nach dem gelungenen Flug über die südliche Biskaya. „Hab nur keine Angst, Zip, wir schaffen das schon, wir sind Spatzen, wir haben vor nichts Angst!“ – und nach einer Pause: „Und wie würden wir wohl dastehen, wenn wir auf die Geest zurückkehren? Amerika? Haben wir leider nicht geschafft, wir hatten Angst. Nee, Zip da wartet ein wunderbares Abenteuer auf uns!“

      Der große Teich und eine Azore

      Sie flogen Stunde um Stunde vor dem Wind, mit dem Wind, die Sonne wanderte langsam nach Süden. Rundherum um sie war nur Blau. Der blaue Ozean, die blaue Luft und mitten drin die weiß-gelbe Sonne. Der Ostwind hatte sie hoch und höher getragen. Es gab keinen Horizont mehr. Wie hatte Südhalbkugel gesagt? „Du kannst dich gar nicht verirren, Zap, astronomische Navigation ist ganz einfach: Also, wenn du im Frühling auf der Nordhalbkugel nach Westen fliegst, dann kulminiert die Sonne im Süden, ist doch klar? Das heißt“, fügte er hinzu, „die Sonne kulminiert immer im Süden, das gilt aber nur für die Nordhalbkugel..!.“ „Ja“, hatte Zap geantwortet, „das ist klar!“ „Das bedeutet also …“ Der Albatros hatte sich nachdenklich mit der linken Flügelspitze am Kopf gekratzt, während er den kleinen Zap in seinem rechten Flügel hielt. „Das bedeutet also, wenn die Sonne morgens im Osten aufgeht, was sie ja immer macht, mußt du sie dir im Rücken halten bis so gegen 9 Uhr, so ein bißchen schräg im Rücken hinter der linken Flügelspitze bis mittags, um Mittag steht die Sonne dann genau im Süden und du mußt eben so fliegen, dass du langsam immer mehr auf sie zuhältst. Und am Abend, wenn sie untergeht, muß sie genau vor dir stehen, und so bist du dann, mehr oder weniger genau, nach Westen geflogen. Mit so einigen kleinen Schlenkern um die Kurslinie. Genauso hat Kolumbus das gemacht und meine Vorväter sowieso schon vor Abertausendjahren.“ Zap erinnerte sich an jedes Wort und er änderte den Kurs entsprechend dem Stand der Sonne. „Was machen wir eigentlich, wenn die Sonne mal nicht scheint?“ fragte Zip. Gute Frage und Zap antwortete erst gar nicht. Es war kälter