Alexander-René Grahovac

Zip und Zap auf großer Fahrt


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es fast unmöglich, aus dem Nest zu kommen. „Papa“, fragte Zip, „ist das immer so im Winter?“

      „Ja, meine Kleine, das kann schon sein, aber keine Sorge, es wird ja bald wieder Frühling!“ Und Luigi erinnerte sich an die milden Winter in der Toskana, kein Schnee, kein Eis, keine quengelnde Brut …!

      Im Januar fing Onkel William an zu husten, es war eiskalt geworden im Stall, im Nest. Er, der die Weite, die unendliche Größe des amerikanischen Kontinents gewohnt war, hatte einfach kurz entschlossen einen langen Flug über die Geest gemacht. Er war nichts mehr gewohnt, fing unterwegs an zu schwitzen und erkältete sich fürchterlich. Der Schweiß lief ihm den Schnabel hinunter. Am Abend nach seinem Ausflug, der ihn auch über den Teich mit der Terrasse und dem Haus und den gefährlichen Hunden - von denen allerdings nichts zu sehen oder zu hören war- geführt hatte, bekam er Fieber. Lydia machte ihm warme Beinwickel aus Libellenlarvenhaut und Schweinekot. Aber es nützte alles nichts, das Fieber wollte und wollte nicht weichen. „Zap“, sagte er eines Abends, „Zap!!“ Der Wind pfiff eisig durch alle Ritzen und Löcher in den Stall hinein. Bauer Bodenstab hatte den Pferden und Schweinen Decken umgelegt ..! „Zap, komm mal her!“ Seine Stimme war nicht mehr so kraftvoll, irgendwie klein und verwehend. „Zap, du bist ein guter, starker Spatz, so, wie ich es einmal war. Ich schaffe es nicht mehr zurück...“ Zap legte ihm einen Flügel auf den gebeugten Rücken. „Onkel William, du wirst schon wieder gesund, du kommst doch aus Amerika …“

      Onkel William bekam einen Hustenanfall, er schüttelte sich, dicke Schweißtropfen flogen aus seinem Gefieder: „Unterbrich mich nicht, Zap, hör zu: Du bist ein guter Kerl, ein rechter Spatz, so wie’s sein soll. Ich möchte, daß du im Frühjahr nach Amerika fliegst und dort mein Erbe antrittst. Immer nach Westen, nicht lockerlassen, es gibt viele Gefahren, aber du wirst es schaffen, immer nach Westen über Frankreich an die Atlantikküste und dort eine Ostwetterlage abwarten und dann nichts wie rüber zu den Azoren. Hier ist meine Adresse: Knorreiche, Malibu, SEA SHORE DRIVE 115, California, das obere Nest. Da findest du alles, was ich dir erzählt habe. Und in der Kiste hinten im Garten ist eine riesige Menge an Maiskörnern … und da war noch was, irgendwas habe ich vergessen … die Tauben, Thea und Theodor …“ Seine Stimme wurde schwächer und er fing an zu schnaufen, er legte Zap den Flügel um die Schultern. Genofefa, seine Schwester, kam herbei mit einem Stückchen Eis, um seine Stirn und seinen Schnabel zu kühlen.

      Onkel William starb in den Armen seiner Schwester, Vater Gustav nahm seinen Sohn in die Flügel: „So ist das Leben, Zap. Onkel William hatte ein erfülltes Leben, ehren wir sein Andenken! Er war ein richtiger, ehrlicher norddeutscher Spatz.“

      Südhalbkugel

      Etliche Tage später, sie hatten Onkel William aus dem Nest geschafft und dem Frost übergeben, gegen Nachmittag, erscholl ein lautes Klopfen an der Brettertür zum Stall: „He, wohnt hier William?“ Eine laute, furchterregende Stimme. Keiner traute sich zur Luke, Genofefa nahm Zap unter die Flügel, Gustav tastete sich langsam zur Tür, spähte durch einen Spalt und erschrak: Ein riesiger Vogel hockte dort auf dem Sims, sich gekonnt ausbalancierend im Sturmwind:

      „Wer bist du, zum Sperber, was willst du hier?“ Gustav zitterte ein wenig, weniger vor Angst, vielmehr aus Schwäche, es hatte schon tagelang nur wenig zu essen gegeben!

      „Wenn du Gustav bist, mach schon auf, ich habe ein Paket für euch!“

      Gustav lugte wieder durch den Spalt: Tatsächlich, der gewaltige Vogel trug eine große Tasche auf den Rücken geschnallt. Gustav flog etwas auf und zog mit dem Schnabel den Riegel vom Tor.

      Der große Vogel stand drohend, schwarz-weiß mit gelb-rosa Schnabel und weißem Kopfgefieder, im Tor: „ Bist Du Gustav? Wo ist William?“

      „William ist verstorben, vor zwei Wochen schon, wer bist du, was willst du?“

      Gustav richtete sich zu voller Größe auf, den Schnabel angriffslustig vorgewölbt. (Man, spatz, stelle sich vor: Ein kleiner, verfrorener Spatz plustert sich auf, um einem riesigen, voluminösen Albatros zu sagen: He, paß auf oder was willst du, Spatz bedroht Albatros …!) Na ja, ganz so war es ja nicht ...!

      „Hey, langsam, Mann, ich bringe euch nur etwas im Auftrage von William.“

      Er schlüpfte durch das Tor setzte sich auf den Balken und legte seine riesige Ledertasche ab. „Hier, für euch, eigentlich für William, der arme Kerl, wie ist er denn gestorben?“

      Er leerte die große Tasche aus. Daraus fielen gelbe Maiskolben, Speckschwarten, Hamburgerreste, getrocknete Weintrauben, Rosinen, ein Kilo Weizenkörner, ein Spatzenquentchen Gerstenkörner, Selleriescheiben, Bärentraubenblätter, Vogelbeeren, getrocknete Riesenkirschen, kalifornische Walnüsse, Heuschreckenköpfe und -füße, 20 Chilischoten, ein ordentlicher Batzen Elchfett, zwei Kugeln Schmalz, ein großer Sack kalifornische Sonnenblumenkerne und auch ein oder zwei Spatzenbatzen Kürbiskerne und und und ...!

      Was für ein Segen für Familie Spatz, die - trotz der Schweinefutterdiebstähle -schon sehr darbte, denn der freie Zugang zum Stall war von Bauer Alwin mit dicken Tüchern verhängt, um die Tiere in seinem Stall vor der Kälte zu schützen. „Mein Name ist ‚Südhalbkugel’ und ich dürfte eigentlich gar nicht hier sein, aber ich hatte William versprochen, das Paket vorbeizubringen auf meiner Reise zum Südpol.“ Er wischte sich mit einem kräftigen Flügelschlag den Schweiß von der Stirn. „Es war ‘ne harte Reise, selbst für einen Albatros, aber nun bin ich ja hier.“ Genofefa hatte derweil ein paar Kuchenkrümel aus ihrer eisernen Reserve hervorgeholt. „Bitte“, sagte sie, „bitte nehmen Sie etwas zur Stärkung.“ Höflich nahm Südhalbkugel die kleinen Kuchenkrümel aus Genofefas Flügel. „Danke, das tut gut“, er räusperte sich, „aber haben Sie nicht ‘nen Hering oder ‘ne Makrele? Am besten wär’ natürlich ’ne Schüssel voller Tintenschnecken!“

      Mutter Genofefa räumte ihre Speisekammer vollends leer, um dem Gast etwas zu bieten. Die in Froschfett eingehüllten Fliegenlarven mundeten besonders, Vater Gustav holte schweren Herzens eine seiner beinahe letzten Flaschen Spatzenbräu hervor und bald war der Gast, der in unerwarteter Weise so viele Schätze gebracht hatte, kurz davor einzunicken. Das Dämmerlicht, die langsam trotz der verhängten Decke von den Stalltieren aufsteigende Wärme, der tagelange Flug durch die eisigen Lüfte, das ungewohnte Spatzenbräu taten ein Übriges und Südhalbkugel war tief und fest eingeschlafen. Ohne diese aufsteigende Wärme hätten sie diesen Winter auch wohl kaum überlebt. Sie betteten Südhalbkugel deswegen auch auf dem großen, breiten Mittelbalken, wo es am wärmsten war. Zap bekam endlich seinen vor Staunen aufgerissenen Schnabel wieder zu. Morgen würde er ihn alles fragen: über den Atlantik und Onkel William und die weite Welt und besonders über die Südhalbkugel. Wie man ein so riesiges Paket über solch eine Distanz (wovon er allerdings nur eine leise Ahnung hatte) schleppen konnte.

      Sie saßen um den Frühstückstisch, Genofefa hatte aus den Bärentraubenblättern und einigen Maiskörnern sowie ein paar flugs von Gustav geklauten Dampfkartoffelstücken aus dem Schweinetrog ein kräftiges Frühstück gezaubert. Er hatte sich dabei die linke Vorflügelklappe etwas verstaucht, denn durch die abgehängten, schweren Tücher und Planen war es gar nicht mehr so einfach, in den Stall zu kommen, aber sie mußten ihrem Gast ja etwas bieten! Der Albatros reckte sich, streckte sich: „Aaah, wo bin ich?“ Beinahe wäre er von dem breiten Balken gestolpert. „Ah jaa, Familie Spatz, Job erledigt, was duftet hier?“

      Er schwang sich auf das Podest und stand, seine Flügel wohlig ausstreckend, vor dem winzigen Nest der Familie Spatz. Seine Flügel reichten fast von einer Wand zur anderen. Das waren mehr als drei Meter! Er klapperte etwas mit seinem großen, hakenförmigen Schnabel. Zap war schon lange auf und hatte heimlich den riesengroßen Albatros betrachtet, der friedlich wie eines der Lämmchen von Bauer Alwin schlief, und der offensichtlich die Wärme des Stalles genoß. Was für ein Vogel, schwarze Füße, also ein Diomeda nigripes, mit Schwimmhäuten! Mußte der ein guter Schwimmer sein! Der hätte keine Angst vor einem popeligen Koi! Und diese Flügel; selbst beigeklappt sahen sie beeindruckend aus. Onkel William mußte schon ein toller Kerl gewesen sein, wenn er so einen Albatros zum Freund hatte, der ihm über Tausende von Meilen ein Freßpaket