Alexander-René Grahovac

Zip und Zap auf großer Fahrt


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nur den Bauch, sondern auch die Taschen voll. Schließlich mußten sie für ihre Eltern sorgen, die bei dem Wetter kaum noch die Schnabelspitze aus dem Nest steckten. Aber es mußte schnell gehen, denn es war ein großer Andrang, allen voran die auch im tiefsten Winter fetten Tauben -oder plusterten sie sich nur auf? Zaunkönige, Wachteln, Grasmücken, Waldlaubsänger, kleine Schwarzkehlchen, ein großer Buntspecht, der sich vordrängelte, Türkentauben und sogar eine Wasseramsel, jede Menge Grünfinken, Kohlmeisen, eben die ganze nähere und fernere Verwandtschaft. Alle drängten sich, machten kurze Einflüge, rafften, was sie konnten, keiner paßte auf den anderen auf. Die typische winterliche Flügelbogengesellschaft. Hinter den Scheiben der Küchenfenster über der Garage sah man die neugierigen Blicke der beiden Menschen, die das Haus bewohnten. Und wenn Zip und Zap an den großen Fenstern des Wohnzimmers vorbeiflogen, sahen sie die schrecklichen Hunde und den gefährlichen Kater, die sich in schönster Einheit mit schon sicherlich heißem Fell vor dem bullernden Kaminfeuer räkelten. Meistens drehten sie noch eine Runde über Nachbarin Sabines Schweineauslauf, aber Bürsti und Borsti, die beiden fürchterlich verfressenen Hängebauchschweine, ließen so gut wie nie auch nur den Hauch eines Restes übrig. „Hoffentlich wird es bald Frühling“, zwitscherte Zap. „Ja“, antwortete Zip, „dann fliegen wir nach Amerika, das steht fest.“ „Bis morgen, Zip, gleiche Zeit?“ Sie flog eine steile Kurve, machte einen perfekten Immelmann kombiniert mit einer dreifachen Rolle, um Zap zu imponieren.

      Die Tage wurden länger, der böse, schneidend kalte Ostwind hatte nachgelassen und erste zaghafte Knospen zeigten sich an den großen, knorrigen Weiden längs des Baches und es war auch wieder mehr los in der Luft. Es wurde wärmer und Mutter Genofefa begann mit dem Frühjahrsputz: Stroh, trockenes Gras, Reste von Libellenflügelspitzen, Spinnweben, völlig trockene, steinharte Krümel aus Zaps Bett, Gustavs zerfaserte Zeitungsausschnitte, eine alte, leere Garnrolle, ein zerknabbertes Stück von Onkel Williams (Gott hab ihn selig) Gamaschen, alles flog hinunter in den Stall, der Gnadenbrotliese auf den Rücken. Gustav, der im Halbschlummer, die Flügel auf dem Bauch gefaltet, in seinem Strohsessel saß, wurde aus seiner Ruhe aufgeschreckt. „Nun aber mal flott, der Herr, das Nest muß renoviert werden, mach dich auf die Strümpfe, äh, Flügel, der Winter ist vorbei.“ Gustav fügte sich … „Jedes Jahr dasselbe Theater … dabei wollte ich doch gar keine Kinder mehr.“ Er stieß sich ein wenig flügellahm vom Fensterbrett. Es knackte und zwackte etwas in den winterlich schlaff gewordenen Flügeln und er machte einen Bogen direkt auf den dampfenden Misthaufen zu. In letzter Sekunde erst bekam er genügend Auftrieb und schoß ganz dicht über die Haufenspitze hinweg. „Oh, es geht ja noch“, dachte er erleichtert.

      An einem Freitagnachmittag im März trafen sich Zip und Zap am Teich. Die Märzsonne wärmte schon recht ordentlich. „Also, was meinst du nun, Zip, kommst du mit?“ Zap sah sie erwartungsvoll an. „Du meinst es ernst?“ Zip hatte auch schon die Unruhe im heimatlichen Nest am Kuhstall bemerkt, Mutter Lydia scheuchte sie den ganzen Tag, Vater Luigi kämmte sich immer wieder ausgiebig seine schwarzen Federlocken, die er mit Schweinefett einrieb, betrachtete sich im Spiegel, jaaaaa, er war noch immer ein stolzer, schöner, italienischer Spatz. Hin und wieder gab es Streit, dann zwitscherte und tschilpte Lydia in einem fort und Luigi bequemte sich, etwas Renovierungsmaterial fürs Nest zu besorgen.

      „Ach, wär’ ich nur in Italien geblieben, da wäre ich schon längst ein berühmter Tenor.“ Lydia schwang ihren kleinen Reisigbesen und scheuchte Luigi zur Tür hinaus: „Ja, ja Tenor, aber wahrscheinlich schon verhungert …“

      Lustlos flog Luigi durch die Gegend, er näherte sich einem Komposthaufen, unweit des Teiches mit dem Haus mit den Hunden. Oben auf dem Komposthaufen saß schon ein Artgenosse: „Moin“, sagte Luigi. „Moin“, brummzwitscherte der andere. Sie kramten ein wenig in dem Haufen, zogen hier einen Reisig heraus, dort einen Bastfaden aus dem längst verfaulten Tomatengestrüpp.

      Gustav, das war nämlich der andere Spatz, hatte sich hingesetzt und seufzzwitscherte. „Sorgen?“ fragte Luigi. „Was heißt Sorgen, Weiber eben“, antwortete Gustav. „Hab mich mal wieder rumkriegen lassen, jedes Jahr dasselbe!“ Luigi nickte bedächtig: „Ja, kenne ich, wir erwarten auch schon wieder Nachwuchs.“ Luigi holte unter seinem Flügel eine Flasche Spatzenbräu hervor: „Mögen Sie ‘nen Schluck?“ „Aber gerne“, sagte Gustav und tat einen tiefen Schluck, er wischte sich den Schnabel ab. „Aah, das tut gut!“ Sie unterhielten sich eine Weile, während sie das eine oder andere brauchbare Baumaterial aus dem Kompost zogen. Ab und zu war auch ein fetter Wurm dazwischen, der dann genüßlich verspeist wurde. Das Spatzenbräu machte hungrig. Die Flasche wurde zusehends leerer. „Mein Name ist Luigi, am liebsten würde ich auswandern.“ Luigi trank einen tiefen Schluck. „Ich heiße Gustav, am liebsten käme ich mit, aber mein Sohn wandert ja schon aus nach Amerika …“ „Ja, was für ein Zufall, meine Tochter auch …“

      Nun kamen sie ins Erzwitschern und Erzählen. Was sie für tolle Kerle waren. Luigi erzählte lang und breit seinen Flug von der Toskana bis auf die Geest, wo er dann endlich, endlich seine große Liebe gefunden hatte. Gustav zwitscherte von seinem grauenvollen Flug an die Nordsee: „Mein Sohn ist da völlig aus der Art geschlagen, daß der so einen Hang in die Ferne hat …?!“ „Trinken wir drauf“, sagte Luigi und zog noch eine Flasche Spatzenbräu aus der Flügeltasche. „Trinken wir auf unsere mutigen Kinder!“ „Und auf unsere tollen Frauen“, ergänzte Gustav. Sie klagten sich ihr Leid, die ewige Brüterei, der Frühjahrs-putz, die ständigen Versorgungsflüge …!

      Luigi stimmte eine schmachtende Arie an und Gustav sang aus vollem Herzen mit. Flügel in Flügel schunkelten sie auf der Spitze des Komposthaufens, argwöhnisch beäugt von zwei großen Raben. „Diese Spatzen, kein Benehmen!“ raabte der eine Rabe. Am späten Nachmittag, die vierte Flasche Spatzenbräu war auch geleert, flogen unsere beiden gestandenen Spatzenmannsbilder, etwas wackelig und schwankend, sich gegenseitig umflügelnd und stützend, mühsam sich nur vom Komposthaufen lösend und gerade mal so eben Kurs haltend in ihre Heimatnester. „Besuch mich mal“, rief Gustav. „Mache ich, Luigi … bis bald.“ Luigi verwechselte seine Flügel und machte einen Überschlag in der Luft, fing sich jedoch und flog in langen Schleifen und Schlenkern in den Sonnenuntergang seinem Nest zu, „que bella cosa una jornata a sole …“ schmetternd. Genofefa würdigte Gustav keines Blickes und Luigi wagte sich erst gar nicht in Lydias Nähe. Er verschwand gleich in seiner Koje im Nest in der Hecke an der Kuh-stallwand und verschlief, den Kopf unter einen Flügel gekuschelt, den Rest des Tages und die ganze Nacht.

      Der Aufbruch, der Abschied und immer nach Westen

      Mutter Genofefa umflügelte Zap: „Mach’s gut mein Kleiner und komm gesund zurück.“ Gustav legte ihm eine Flügelspitze auf die Schulter: „Ich bin stolz auf dich, Zap.“ Genofefa legte Zap kurz einen Flügel unter den Schnabel: „Und wasch dir nach dem Essen immer die Flügelspitzen, hörst du!“ Der Abschied war unspektakulär, es war eben bei Spatzens nichts Besonderes, wenn die junge Brut sich irgendwann auf den Weg machte. Nicht, daß man herzlos und desinteressiert war, aber der Frühling stand vor der Tür, Nachwuchs wurde erwartet, es war so viel zu tun und so war man bei Luigis und bei Gustavs froh, daß es endlich soweit war. Luigi hatte seine Tochter um einiges zärtlicher umflügelt. Lydia war etwas kürzer angebunden: „Flieg nur, meine kleine Schwalbe, flieg nur.“ „MAMA, ICH BIN KEINE SCHWALBE!!!!“ Lydia schwitzte, sie war schon seit dem frühen Morgen wieder mit dem großen Frühjahrsnestputz beschäftigt …! Was Luigi fürchterlich auf die Nerven ging …!

      Zap hüpfte zur Tür, stieß sich ab und flog in einer großen Schleife zum Teich. Dort wartete Zip schon ungeduldig: „Wo bleibst du denn, ich warte schon so lange.“ Zap setzte sich erst gar nicht auf den Birkenzweig. „Und auf geht’s!“ Sie stiegen auf, immer höher und höher, das Dorf war schon ganz klein geworden und sie spürten, wie der Ostwind sie erfasste und so jagten sie durch die Luft Richtung Westen. Bald schon veränderte sich die Landschaft, es wurde immer flacher, die Dörfer lagen weiter auseinander, die dichten Wälder wichen großen Äckern. Sie flogen fast Flügel an Flügel. Gegen Nachmittag überquerten sie einen großen Fluß, der aus dem Süden kam und sich nach