Alexander-René Grahovac

Zip und Zap auf großer Fahrt


Скачать книгу

außerdem habe ich riesigen Hunger.“ Auch Zip verlor an Höhe, und sie landeten in der Nähe eines riesengroßen, hell erleuchteten Gewächshauses. An einem Wassergraben ganz in der Nähe stand ein großer, graublauer Fischreiher und beäugte die beiden argwöhnisch. Es war alles seltsam fremd und sie fühlten sich gar nicht wohl in ihren Federn.

      Zip und Zap suchten und fanden in einem Komposthaufen reichlich Würmer und Obstreste, obenauf lag sogar der Rest eines trockenen Brötchens. Als sie sich satt gegessen hatten, verkrochen sie sich in einem Strohballen und fielen alsbald in tiefen Schlaf, kaum, daß sie Zeit gehabt hätten, den Tag noch einmal vor sich zu sehen: Der schnelle Abschied vom heimatlichen Himmel, das Dahinjagen über die weite Landschaft. Die Scharen von Zugvögeln, die ihnen aus allen südlichen Himmelsrichtungen entgegenkamen. Die fremder werdende Landschaft und irgendwie das bange Gefühl, schon ganz schön weit weg zu sein von zu Hause. Doch der neue Morgen verscheuchte trübe Gedanken, ein riesiger, bunter Hahn machte einen Höllenlärm und Zip wühlte sich aus dem Stroh. Die Sonne stand schon über dem Horizont. Eine kleine, blaue holländische Ente watschelte zielstrebig durch das feuchte Gras, eine fette Schnecke im Schnabel. Zap hatte sich auch aus seinen Träumen verabschiedet: „Ich dachte, Enten sind Vegetarier?“ Das hatte die Ente gehört. „Niet immer, manchmal etten wi ouch ejn biskele Fleisch“, holländelte die Ente. „Und warum bist du blau???“ fragte Zap. Doch die Ente gab keine Antwort, watschelte zielstrebig ihres Weges.

      Zip und Zap flogen zum Komposthaufen und frühstückten ausgiebig. Die Märzsonne wärmte schon ordentlich. „Auf nach Süden, Zip!“ Die beiden schwangen sich in den klaren Morgen, die Sonne halbschräg im Rücken. In etwa 1000 Fuß fanden sie eine Südostströmung, und sie eilten mit dem Wind über die langsam hügeliger, waldiger werdende Landschaft.

      „Wie hatte Südhalbkugel gesagt?“ Zap erinnerte sich an jedes Wort, das der Albatros gesagt hatte. „Segeln mußt du, mein Junge, segeln, laß dich vom Wind tragen und schieben, das ist das ganze Geheimnis!!“ „Segeln, Zip, nicht flattern wie ein Schmetterling, segeln, das ist das ganze Geheimnis!“ Zap breitete seine mächtigen Schwingen aus und verlor prompt an Höhe. Er kam fast ins Trudeln, fing sich aber sofort wieder. „Segeln, segeln“, spatzte Zip nach. Aber nach einer Weile und einigem Probieren hatten sie die für Spatzen eigentlich nicht vorgesehene Segelstellung der Flügel im Griff und konnten wesentlich ruhiger, mit viel weniger Kraftaufwand Strecke machen. Darauf kam es ja an: Sie wollten nach Amerika, und es war noch ein weiter Weg, obwohl sie meinten, schon eine unendliche Strecke zurückgelegt zu haben. Der große Ozean war noch immer nicht in Sicht, vielleicht hatten sie sich ja auch verflogen? Am Abend landeten sie in einem kleinen Dorf, mitten auf dem staubigen Dorfplatz. Dort waren schon einige ihrer Artgenossen versammelt. Eine Gruppe stand ein wenig starr, unbeweglich erscheinend, zusammen. Sie hatten seltsame, schief auf den fedrigen Schädeln sitzende Mützen auf, so flache, dunkelblaue, wie soll man sagen, Baskenmützen? Einer hatte eine kleine silberne Kugel im Flügel, starrte auf ein paar weiter weg liegende Kugeln, holte plötzlich aus und warf die Silberkugel mit einem herzhaften: „Sacre bleu ..!“ Die Kaugummisilberpapierkugeln stoben auseinander und die Zuschauer freuten sich, der Werfer ärgerte sich offensichtlich: „Que sque tu fait?“ Zap verstand nicht: „Wir sind Zap und Zip und auf dem Weg nach Amerika!“

      „Aah, vous etes allemagnes“, französelzwitscherte einer der Spatzen. Ein anderer aus der Gruppe drängte sich heran: „Aah, bienvenue.“ Er streckte Zap die Flügelspitze entgegen: „Isch bin Marcel, wie aißt tu?“ „Ich bin Zap und das ist meine Freundin Zip, wir sind auf dem Weg nach Amerika.“

      Die dabeistehenden Spatzen lachzwitscherten. Die anderen Spatzen hüpften heran und stellten sich vor. Es wurde gefragt wohin, woher, warum. Schließlich nahm Marcel Zip in den Flügel und sagte: „Kommt, wir ge’ehn essen, isch ladde oisch ajn!“ Die Schar hob ab, es staubte ein wenig, Zip und Zap flogen hinterher. Es ging vom Dorfplatz in eine dunkle Gasse. Auf einer erleuchteten Terrasse saßen einige Menschen vor ihren Tellern, Brotkörbe auf den Tischen, jede Menge Krümel. Zap landete auf einem der Tische und wollte sich gerade einen dicken Brotkrümel greifen, als der zum Teller und zum Brotkorb zugehörige Mensch mit einem Messer nach ihm schlug. Haarscharf daneben, Zap machte einen Senkrechtstart. „Mach das nie wieder, das könnte dein Tod sein!“ sagte Marcel. „Die Menschen mögen uns hier nicht besonders.“ Zap war erschrocken. Schließlich flogen sie zum Hinterausgang des Restaurants, dort, wo der Müll lagerte. In Körben und Kisten lagen die herrlichsten Abfälle, leere Weinflaschen aus denen süßer Wein sickerte, Brotreste, frisches Baguette. Zip und Zap aßen und tranken sich satt. Der ungewohnte Rotwein machte sie erst lustig, dann sehr lustig, etwas unbeholfen, Zip fing an zu torkeln, umflügelte Marcel und den dicken Spatz Bijou, der sich als besonders guter Tänzer und Hüpfer entpuppte. Es war ein schöner Abend und am Ende meinte Zap, daß er schon ganz gut französisch könne. Es war spät geworden. Zip und Zap hatten ihren Plan, nach Amerika zu reisen des Langen und Breiten erklärt und wurden allgemein für ihren Mut bewundert. „Für uns ist das nichts, wir bleiben lieber hier“, sagte Marcel. „Au revoir et bonne chance“, er winkte mit seiner kleinen Baskenmütze. Zip und Zap waren allein in der dunklen Gasse an den französischen Mülltonnen, sie verkrochen sich, müde und trunken, staubig von der Reise, aber doch satt und zufrieden, unter einem Rosenbusch und schliefen ihren kleinen Spatzenrausch aus.

      Es wurde still und die Straßenlaternen gingen aus. Zap träumte vom großen Ozean, den sie morgen endlich sehen würden. Zip schnarchte mit offenem Schnabel.

      Die beiden wurden jäh aus ihren Träumen gerissen, ein wütendes Knurren weckte sie. Ein großer, schwarzer Hund stand direkt über ihnen, die drohende Schnauze mit großen, gelben Zähnen, die nasse Nase nur wenige Zentimeter von ihren Köpfen entfernt. Unsere beiden Spatzen hüpften schnellstens aus dem Gebüsch in den schon hellen Tag und erhoben sich in die Luft. Bloß weg hier. Zap konnte kaum die Richtung, geschweige denn die Höhe halten. Ihm war speiübel und er mußte sich, noch in der Luft, übergeben. Zip, die eben schräg hinter ihm flog, bekam den ganzen Segen ab und es ging ihr kaum besser. Nach ein paar Minuten hatten sie das freie Feld erreicht und landeten an einem kleinen Bachlauf. Das Wasser sprudelte munter über die Steine und Zip und Zap nahmen erst mal ein ausgiebiges Bad, tranken sich satt und langsam, ganz langsam verwehte der Rotweinschleier aus ihren kleinen Köpfen. Sie erhoben sich in den strahlenden Tag und nahmen Kurs nach Südwesten, flogen Stunde um Stunde, ließen sich von dem günstigen Wind schieben, landeten, wann immer sie Hunger verspürten. Jedoch vermieden sie staubige Dorfplätze und auch die Städte, die sich unter ihnen wie Spatzenspielzeuge zeigten.

      Je weiter sie nach Süden kamen, desto frühlingswärmer wurde es, auch die Nächte waren schon lau und der kalte Winter daheim auf der Geest war vollends vergessen. Es gab überall reichlich zu essen, gut genährte Würmer, die aus der frisch umgebrochenen Scholle hervorkrochen, unvorsichtigerweise ins Sonnenlicht blinzelten und dann flugs, sozusagen im Fluge, für Zip und Zap ein schnelles Frühstück oder auch ein Mittagessen wurden.

      Und dann kam der große Tag. Unsere beiden Auswanderer hatten in einem Heuschober übernachtet. Sie waren herzlich von einer dort wohnenden Spatzenfamilie aufgenommen worden. Nach einem ausgiebigen Mahl aus den letzten Wintervorräten hatten es sich Zip und Zap im Heu gemütlich gemacht.

      „Oh non, jetzt ischt es nischt mehr weijt bis su die Meer“, hatte Jean-Pierre, der dicke Spatzenvater mit dem weinroten Schnabel, gesagt. „Einfach nur immer nach Westen, ein paar Stunden nur, könnt ihr gar nicht verfehlen!“ Seine Frau Florance und die sechs Jungspatzen, die schon früh im Jahr zur Welt gekommen waren und gerade dem Sabber- und Windelalter entwachsen waren, hörten Vater Jeans Erzählungen gespannt zu. „Oh ja, isch war schon oft an die Meer …“ Seine Frau unterbrach ihn: „Ja, ja, das ist aber schon lange, ganz lange her …“ „Und nun ins Bett, die jungen Leute müssen morgen früh raus, wenn sie es schaffen wollen bis zu die Meer!“ Jean trank den letzten Rest seines vin rouge.

      Zip und Zap erwachten früh, klaubten sich aus dem Heu und fanden zu ihrer Überraschung die gesamte Familie bereits am reich gedeckten Frühstückstisch vor. Es gab frische Brötchenkrümel, eine Schüssel mit sich windenden Regenwürmern, stark riechende Camembertrinden und ein paar Tropfen Ziegenmilch.

      „Macht’s gut, ihr zwei, et bon chance!“ „Vielen Dank für alles, vielen Dank“,