Alexander-René Grahovac

Zip und Zap auf großer Fahrt


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dem nötigen Rückenwind natürlich. Der faulste Spatz? Mit stolzgeschwellter Brust flog Zap voran. Doch dauerte es noch, bis sie endlich auf Graciosa landeten. Der aufkommende Westwind machte ihnen arg zu schaffen. Graciosa, eine der kleinsten und nördlichsten Inseln der Azoren, mehr hügelig als gebirgig.

      Sie landeten elegant mitten auf der Plaza von Santa Cruz, der Hauptstadt - eigentlich dem Hauptdorf - der Insel. Wie nicht anders zu erwarten, fanden sie sich sogleich in einem ganzen Pulk von Spatzen, Stadtspatzen allerdings, wieder. „Maisch ficasch musch maisch, moito bem, bamosch ou Bao Baopappaschtapp“, sagte ein unglaublich dicker Spatz zu ihnen. Oder es klang zumindest so - Zip und Zap verstanden nichts, rein gar nichts! Egal, sie waren froh, endlich wieder festen, steinernen Boden unter ihren kleinen Spatzenfüßen zu haben.

      Es war ein Zwitschern und Tschilpen, ein Schieben und Drücken, ein sich Umarmen, ein Lärmen und einfach eine große Freude, wieder unter ihresgleichen zu sein, wenngleich es durch die Bank Stadtspatzen waren und so dauerte es auch nicht lange, bis sie auffielen.

      „Hej, de donde basch?“ zwitscherte sie eine unglaublich dicke Spätzin an. (Die waren hier alle ordentlich beleibt.) Sie trug eng um den Kopf ein schwarzes Tuch, welches unter dem Schnabel festgeknotet war. „Was seid ihr denn für welche?“ „Wir sind Zip und Zap aus Deutschland und wir sind auf dem Weg nach Amerika!“

      „Oh, dann habt ihr ja noch ein Stück Wegs vor euch, mein Name ist übrigens Maria da Luz Gomez, ich bin hier die Chefin. Herzlich willkommen in Santa Cruz!“ Eigentlich sagte sie: „BIENVENUDOSCH EN SANTA CRUSCH.“ Aber das ist eben einer der unglaublichen Vorteile des Spatzseins, spatz (man) versteht fast alle Sprachen, nicht immer auf Anhieb und spatz muß schon mal nachfragen und genauer hinhören … aber! Und sie ergriff Zaps Flügelspitze und schüttelte sie kräftig. „Ihr habt doch sicher Hunger!“ Sie drängte einige Spatzen beiseite, die sich um einen Pizzarest stritten. „Hier, erst mal eine kleine Stärkung für euch.“ Respektvoll machten die anderen Spatzen Platz.

      Zip und Zap genossen den festen Boden unter ihren filigranen Füßen. Zip konnte gar nicht genug Staubbäder nehmen. Maria da Luz Gomez lud die beiden zu sich nach Hause ein: „Vamusch, kommt mit zu mir, da habt ihr einen schönen Platz zum Schlafen.“ Maria da Luz flog erstaunlich wendig und behende für ihre doch äußerst üppige Taille, Figur. Zip und Zap folgten ihr. Sie überflogen den schönen, malerischen Ort, eng aneinander gedrängte, kleine Häuser in bunten Farben bemalt, mit Tonziegeldächern und großen Balkons auf der Südseite. Überall hing Wäsche auf den kreuz und quer gespannten Leinen. Auf den Brüstungen der Balkons lehnten meist schwarz gekleidete Frauen, die ihre Haare unter ebenfalls schwarzen Kopftüchern verborgen hatten und schwatzten miteinander. Auf den Straßen vor den bunten Häusern saßen alte Männer, zu zweit, zu dritt, manche spielten Karten, rauchten, tranken aus dickwandigen, blauen Tassen starken Kaffee oder hauptsächlich Vino Verde dos Acores aus kleinen Gläsern und hingen ihrer verflogenen Jugend nach. Maria landete elegant auf einem Erker eines dunkelblau gestrichenen Hauses. Durch eine Lücke zwischen zwei verschobenen Dachziegeln kletterten sie in das überraschend geräumige Nest: Sieben junge Spatzen hockten darin und rissen hungrig ihre Schnäbel auf. Zip und Zap wunderten sich, daß Maria da Luz Gomez so ganz ohne Leckerlies für ihre lärmende Brut heimgeflogen war. Maria bemerkte Zips kritischen Blick: „Oh, keine Sorge, heute ist mein Mann dran, Joao, er müßte eigentlich gleich wiederkommen.“

      Kaum hatte sie das gesagt, als mit schwerem Poltern ein mit einem prallen Rucksack beladener kräftiger Spatz das Nest betrat. „Boa tarde“, keuchte er ganz außer Atem. „Boa tarde, queridusch“ (sollte QUERIDO, Geliebter heißen), antwortete Maria da Luz und half ihrem Mann, den schweren Rucksack abzunehmen. Erst jetzt sah er die beiden Besucher. Maria stellte sie vor. „Schipp und Schapp, Alemaosch, auf der Reise nach Amerika“ (Zip und Zap, Allemagnes).

      Maria packte die Tasche aus, allerlei Köstlichkeiten, die sie sogleich an die hungrigen Mäuler verteilte: Fliegen, Mückenlarven, ein paar Zip und Zap unbekannte Körner, etliche noch zappelnde Kaulquappen, einen großen flügelvoll Glibber oder Froschguppel, kleine Krabbenfüße, ein paar braune Bohnen, Kuchenreste, Brotrinden, zwei dicke, fette, sich windende Würmer, die Mutter Maria da Luz Gomez sogleich in sieben fast gleiche Stücke teilte und sofort an die Jungspatzenbande verfütterte, die sie, ohne zu kauen, herunterschlangen. Es dauerte keine drei Minuten und der Inhalt der großen Tasche war verfüttert. Joao hatte sich den Schweiß von Stirn und Schnabel gewischt, seine Frau hatte ihm einen großen Fingerhut Vino Verde gebracht. Jetzt erst hatte Joao Zeit, den Besuch näher zu betrachten. „So, nach Amerika wollt ihr, nur zu, nur zu. Ich wollte als junger Mann auch mal nach Amerika, habe es aber nie geschafft.“

      Er nahm seine dicke Maria in den Flügel, mit dem anderen prostete er unseren beiden Abenteurern zu: „Aber ihr habt ja gar nichts zu trinken!“ Maria hüpfte zu ihrem großen, flügelgeschnitzten Vorratsschrank, holte eine Flasche Vino Verde dos Acores hervor sowie drei Fingerhüte mit filigran gearbeiteten Henkeln und schenkte ein. „Saludosch und bienvenudosch.“ Später tischte Maria etwas Wurstpelle, marinierte Mückenlarven und zwei große, getrocknete Hummeln und eine fette, in Fischsaft eingelegte Heuschrecke auf, dazu gab es reichlich Brotkrümel und -in Mengen - den besagten Vino Verde dos Acores. Es wurde ein schöner, lustiger Abend. Joao erzählte von seinen Flügen über die Inseln, von seiner Arbeit als Vorsitzender des örtlichen Spatzenvereins und von den jährlich zwei- bis dreimal fünf bis sieben Nachwuchsspatzen, die er und Maria, sich täglich ablösend, bestens versorgten. Zip und Zap erzählten von ihrer langen Reise von der Geest bis nach Santa Cruz. „Nun“, sagte Joao, „die Strecke zum Festland zu meiner Familie nach Lissabon und zurück habe ich schon ein paar Mal gemacht, das ist nicht das Ding, aber weiter nach Westen, oh, oh, da müßt ihr euch aber anstrengen!“ Zip und Zap bekamen einen kuscheligen Schlafplatz in dem großen Vier-Zimmer-Nest zugewiesen und schliefen auch alsbald ein. Eine ruhige Nacht, nur unterbrochen von Joaos polterigen Einflügen und dem hungrigen Getschilpe seines Nachwuchses. Tatsächlich mussten Tag und Nacht Versorgungsflüge unternommen werden. Was für ein Job!

      Island-Hopping 1 - also Insel-Hüpfen

      Zip und Zap waren schon etliche Tage, wenn nicht gar schon zwei Wochen bei Joao und Maria da Luz Gomez und ihrer lärmenden Brut. Sie hatten schon ein klein wenig schlechtes Gewissen, weil sie dem reizenden Paar auf der Tasche lagen - obwohl man das kaum einem diebischen, frechen Spatzen zutrauen mag -, aber: Auch Spatzen haben ihren Stolz! Und außerdem wurden ihnen die abendlichen Vino-Verde-dos-Acores-Gelage langsam zuviel. An einem Montagmorgen verabschiedeten sie sich. Sie wollten einfach die Umgebung erkunden und einen Tagestrip nach Süden unternehmen. Maria umflügelte Zip: „Paß auf dich auf und kommt auf dem Rückweg wieder vorbei.“ Joao war wieder auf Futterbeschaffungstour und ließ herzlich grüßen. Zip und Zap winkten der schon wieder mit weit geöffneten Schnäbeln im Jungennest hockenden Brut zu und schoben sich durch die Lücke zwischen den beiden Ziegeln. Ein strahlender Morgen, laue Luft, blauer Himmel und up and away. Richtung Westen. Sie wollten gerade abheben, als Joao, schwer beladen, einflog:

      „He, Leute, wo wollt ihr hin? Ich habe uns einen wunderbaren Verde mitgebracht …“ „Nein, danke“, sagte Zap, „wir wollen einen Ausflug machen, nach Süden, so wie du gesagt hast!“ Joao hatte es ihnen genau erklärt: „Also abheben von Santa Cruz (er hatte natürlich SCHANTA CRUSZCH gesagt) und direkt nach Süden, wenn ihr morgens fliegt, also die Sonne links, wenn ihr mittags fliegt, die Sonne voraus.“

      „Joao“, sagte Zap, „ Joao, vielen Dank für alles, aber wir müssen los, wir kommen auch nicht zurück, vielleicht auf der Rückreise von Amerika, aber jetzt wollen wir wirklich los!“

      „Na gut“, Joao umflügelte Zap, „aber ihr müßt mir einen Gefallen tun: Hier ist eine Flasche Vino Verde dos Acores (vin..verd dosch aschoresch), die bringt ihr meinem Bruder Joaquin, der wohnt auf der Insel Flores (er sagte Floresch) ganz nahe bei dem Dorf Faja Grande (er sagte Faisch Graau). Der wird sich freuen. Und ihr müßt ja ohnehin noch irgendwo Rast machen, bevor ihr über den großen, den schrecklich großen Teich fliegt … Ihr seid wirklich mutige Spatzen!“ Sie umarmten, pardon, umflügelten Maria und Joao und bedankten sich für die liebevolle Aufnahme. Maria da Luz Gomez