Alexander-René Grahovac

Zip und Zap auf großer Fahrt


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in seinem Rucksack, ein letzter Blick auch auf die ewig hungrig die Schnäbel der Nestdecke entgegenstreckende Brut.

      Ein stiller Tag und es waren mal gerade knapp 40 Kilometer bis zur Insel Sao Jorge, ein Klacks für unsere beiden Weltenbummler, zumal eine kleine Nordbrise sie auf ihren Schwingen gen Süden trug. Kaum waren sie über Santa Cruz aufgestiegen und hatten einige Hundert Meter an Höhe gewonnen, sahen sie im Sonnenglast bereits die blaugrün schimmernden Berge von Sao Jorge. Keine 20 Minuten Flug und sie landeten an der Nordküste der Insel. Sao Jorge, eine grüne, bergige Insel. Nach einer kurzen Verschnaufpause, die jäh von einer böse blickenden, dicken Möwe unterbrochen wurde, die ihren großen, gelben Schnabel, in dem das gubbelige Innere einer sich windenden Muschel hing, drohend in Richtung unserer beiden kleinen Reisenden erhob und ein klickerndes Meckern aus dem zugekniffenen Schnabel ertönen ließ, waren die beiden wieder in der Luft. Ein jäher Aufwind trug sie ganz schnell nach oben bis über den Krater des Pico de Esperanca, des Gipfels der Hoffnung, und dann in einem Abwind an die Südküste. Dort landeten sie, hoch überm Meer, auf den Klippen, für einen kurzen Imbiß. „Irgendwie nichts los hier, Zip, laß uns weiter nach Süden!“ „Okay“, sagte Zap und schwang sich in die Luft. Wieder übers Meer, aber nur sehr kurz, sie konnten schon die nächste Insel sehen, Faial, mal gerade eine halbe Flugstunde entfernt. Sie steuerten den schon von weitem zu sehenden Cabeco gordo, den Dicken Kopf an. Es dauerte keine 20 Minuten und sie landeten mit dem Wind, ungeschickt und sich überschlagend in einem riesigen Hortensienfeld. Blumen eben. Es gab weder Larven noch Würmer, keine Mücken und keine Libellen. Irgendein Schweinestall war auch nicht in der Nähe und Komposthaufen gab es schon gar nicht. Südhalbkugel hatte recht gehabt, es war etwas karg für Spatzen! Es war ein Tag wie nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht Froschfett und nicht Dampfkartoffel aus dem Schweinetrog. Es fiel ihnen auf, daß kaum andere Vögel in der Luft waren, irgendwie war es hier vogellos! Ab und zu eine einsame Möwe, keine Krähe, kein Rabe, Spatzen schon gar nicht, aber sicherlich auch kein Sperber! Es war ihnen etwas unheimlich zumute. Sie setzten sich unter einen der Hortensienbüsche, Zip packte etwas Proviant aus: „Jetzt sag mir mal, Zap, was das nun soll, ich dachte, wir wollten nach Amerika, und jetzt fliegen wir hier herum, ohne Ziel und Plan, so geht das nicht!“ Zip reckte energisch ihren zierlichen Schnabel in die Luft. Zap mochte nun gar nicht sein leises Unbehagen vor dem Ritt über den großen Teich, den wirklich großen Teich, zugeben. Seine kleinen, großen Zweifel. Sie könnten doch auch hier bleiben, in Santa Cruz vielleicht, eine Familie gründen und ein Nest bauen. Und irgendwann mal mit einer Westwetterlage wieder zurück fliegen?!

      Zip merkte wohl, das Zap schwere Gedanken wälzte: „Zap, was hast du denn, machst du dir Sorgen?“ „Ach, Zip, was heißt Sorgen, ich habe dich in diese Situation hineingebracht, vielleicht wäre es besser gewesen, wir wären auf der Geest geblieben?“ Zap stützte sich schwer auf seine Flügel und seufzte, den Schnabel fast in den Boden bohrend.

      „Meinst du nicht Zap, daß es dafür zu spät ist, und … wir haben doch bislang Glück gehabt.“ Sie legte Zap einen Flügel um die Schulter: „Komm, laß dich nicht hängen!“ Zap lehnte seinen Kopf gegen ihre Schulter und er faßte wieder Mut. „Hast Recht, Zip, laß uns weiterfliegen!“ Zip packte ihre Tasche und den von Zap verschmähten, nicht angerührten Heuschrecken-Oberschenkel-Innenkante-Salat und die kleine Flasche Vino Verde dos Acores wieder einpackend. Mühelos erhoben sie sich und flogen die kurze Strecke direkt in den Hafen von Horta, der großen Hauptstadt. Na ja, eigentlich das Hauptdorf. Im Hafen lagen etliche Boote, Fischerboote, Jachten, Segler eben. Atlantiküberquerer. Sie landeten auf der stainless steel reeling einer etwa 30 Meter großen Yacht. Es war schon langsam dämmrig geworden und im Cockpit saßen beim Feuerschein aus einem stainless steel (rostfreier Stahl, sauteuer) Holzofen ein paar Leute um einen stainless steel Grill beieinander. Ein braungebrannter, muskulöser, durchtrainierter Segler, offenbar der Skipper der Yacht schwadronierte: „Also, das war eine riesige See, bestimmt 30 Meter hoch, der Wind blies mit Windstärke 20 aus Nordwest, aber ich habe das Ruder herum- gerissen und es ging noch mal gut.“ Alle klatschten, besonders die beiden, ebenfalls braungebrannten, fürchterlich vollbusigen, jungen Blondinen oder sie sagten OOOOOOHHHH und AAAAAAAHHH. Der Skipper schenkte ein, und jeder gab seine kurze Geschichte zum Besten. Zip und Zap taten sich gütlich an all den Shrimpsfußresten, salzigen Kaviarkügelchen und dem heruntertropfenden Sekt und Wein, Krümeln, Fischresten, die von den Backen fielen. (Backen: seemännisch für Tisch; Banken: Stühle oder Bänke: daher hieß es auch früher auf den Großseglern: Backen und Banken. Da wurden die unter der Decke des Mannschaftsschlafraumes festgezurrten Tische und Bänke heruntergelassen zur Vorbereitung des Mittagsmahles, Frühstücks oder was sonst für eine Mahlzeit. Backschaft hieß: Geschirr aufbacken und wieder abbacken!)

      Horta, der Yachthafen für die Atlantiküberquerer. Da gab es Boote aus Holz, einfache, kleine Boote für gute, harte, für Entbehrungen bereite Seeleute, Einhandsegler. Ein, zwei Aussteiger mit Kind und Kegel an Bord. Die Partnersegler („Suche Partner für Atlantiküberquerung, keine Heirat beabsichtigt“… und nach fünf Tagen auf See oder schon vor der Abreise in Viana do Castelo waren sie schon schwer verliebt …“), die man an der aufgehängten Wäsche und an der Fußmatte an der Gangway erkennen konnte und dann eben die großen Luxusyachten (die nur bei gutem Wetter segelten). Auf einer solchen waren Zip und Zap gerade gelandet. Der Einhandsegler meistens unrasiert, verhärmt, aber glücklich in Horta wider alle Erwartung angekommen zu sein. Die Paarsegler waren ruhiger, gelassener, sie hatten schon immer gewußt, daß sie irgendwo, wo auch immer, irgendwie, irgendwann trotz oder gerade wegen äußerst bescheidener navigatorischer Kenntnisse ankommen würden. Die Partnersegler waren schon sowieso immer da und kochten auf ihren Spiritusbrennern die unvermeidliche Seglersuppe - also bloß nichts mit Fisch, man wollte es sich ja mit seinen Freunden im Wasser nicht verderben …! Die großen Yachten eben, die kamen immer an, waren eigentlich schon immer da und hatten reichlich Sekt und vollbusige Damen nebst Kaviar an Bord! Wovon auch hin und wieder etliche Perlen, wie oben schon beschrieben auf das Mahagonideck fielen. „Ziemlich salzig!“ sagte Zip, „und es schmeckt nach Fisch.“

      Unsere beiden Spatzen blieben die Nacht über auf der Yacht. Der Trubel legte sich und der Skipper mit seinen Blondinen verklappte sich ins Innere des Bootes, pardon, der Yacht. Zip und Zap legten sich in einem eingerollten Segel zur Ruhe, die kleinen Bäuche voller salziger Kaviarkugeln, Weißbrotkrümeln, Lachsstreifen und weiß der Deubel wat noch allens. Auf jeden Fall keine profanen, im Grunde eigentlich auch für Spatzen, ekligen, glibberigen Regenwürmer. Nein, hier war alles vom Feinsten gewesen!

      Die Sonne ging strahlend über dem Hafen von Horta auf, die bunten Häuser glänzten im Licht und unsere beiden Wanderspatzen reckten und streckten sich. Zip nahm versehentlich ein Bad in einem der nunmehr verwaisten, immer noch halbvollen Sektschalen. Wie durchaus und absolut üblich und sogar erforderlich bei einem Spatzenbad, nahm sie auch einige Schlucke des Badewassers: „Pfui, uähhh, das ist ja ekelhaft!“

      Wie hatte Joao gesagt? „Also von Faial aus müßt ihr Nordwest halten, da wird auch immer ein guter Wind wehen, knapp 200 km bis zur Insel Flores. Lachhaft für einen Azorenspatz! Und dort müßt ihr unbedingt meinen Bruder Joaquin besuchen, der wird sich freuen, und richtet ihm einen herzlichen Gruß aus, und, äh, gebt ihm diese Flasche Vino verdo dos Acores.“

      Zip und Zap erhoben sich von dem Mahagonideck der Yacht, die Rücksäcke wohlgefüllt mit Resten der Party. Zap hatte seinen Sack wohl ein wenig zu voll gepackt und so einige Mühe, Auftrieb zu bekommen. Aber nach einer Weile ging es. Sie strebten in schnellem Fluge dem Kap Faial zu, der Westspitze der Insel. Unter sich die gebirgige Landschaft, die Sonne schon von vorne war es ihnen dennoch ein Leichtes über die ruhige See Westnordwest, ein Viertel West zu steuern. Sie waren schon über 2500 Meter hoch und konnten bereits die westlichsten Inseln der Azoren sehen. Absolut beste Fernsicht! Der aufkommende Westwind machte ihnen allerdings mehr und mehr zu schaffen. Zip merkte schnell, was los war: „He, Zap, was machen wir? Ich kann kaum noch und wir kommen nicht mehr vorwärts!“

      „Nur die Ruhe, Zip, wir machen das schon!“ Zap schlug schwer mit seinen Flügeln. „Wir müssen Höhe gewinnen.“ Er erinnerte sich an Südhalbkugels Worte: „Wenn du mal partout nicht vorwärtskommst, dann geh einfach höher. Aaaaaber“, Südhalbkugel hatte seinen rechten Flügel erhoben, „aber mach das nicht gegen den Wind, dreh einfach um und reite