Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Teil 2


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aufgetaucht ist. Er hat genug Geld, um unzählige >hirrcarrahs< aus dem Karnataka für sich arbeiten zu lassen. Doch der Mann verlässt sich nicht nur auf bezahlte Berufsspione. Ich habe gehört, dass er außer den >hirrcarrahs< noch über weitere, unabhängige Agentennetze verfügt. Es geht das Gerücht, dass Ihr die Schlange in Mysore direkt am Busen liegen habt. Ihr solltet Euch bei den Kaufleuten und Pferdehändlern umtun, die regelmäßig in Seringapatam erscheinen.« Dhoondia Wao übersetzte für Cappellini. Lakshmis Augen waren gierig auf den Franzosen gerichtet.

      »Interessant, Madame, aber noch nicht den Inhalt meines Beutels wert. Ich kann mir auch ohne Eure liebenswürdige Hilfe denken, dass er sich der >hirrcarrahs< bedient. Das tut schließlich jeder in diesem Land. Und was Kaufleute und Pferdehändler betrifft ...« Cappellini machte Anstalten, sich umzudrehen und davonzugehen. Auf Dhoondia Waos Miene spiegelte sich Entsetzen. Wenn der Franzose dem Sultan berichtete, dass seine Spione in Fort St. George nichts taugten, konnte er bestenfalls damit rechnen, die Abendmahlzeit für die Tiger des Sultans abzugeben.

      Lakshmi reagierte schneller als der »Pathan«. »Was wollt Ihr noch wissen?« rief sie Cappellini in passablem Französisch nach.

      »Gebt mir Namen, Madame, und ich gebe Euch reichlich Gold.« Der Franzose verbarg sein triumphierendes Grinsen in der Abenddämmerung. Seine Stimme klang unbeteiligt.

      »Ein Offizier aus dem Stab von General Harris, der zu meinen guten Kunden gehört, hat erzählt, dass Oberst Wesley sich eines afghanischen Pferdehändlers bedient. Er kannte den Namen nicht, doch er erzählte mir, dass dieser Afghane ein Kontor in Seringapatam betreibt und einmal im Jahr nach Mysore kommt.«

      »Es gibt zwei Paschtune, die ihre Herden ins Reich Tippus treiben«, flüsterte Dhoondia Wao Cappellini zu. »Wir knöpfen uns die Residenten vor. Dann erfahren wir, wer der Spitzel ist!«

      Der Franzose nickte zustimmend. Dann wandte er sich an Lakshmi. »Was noch? Denkt nach! Ich habe das Gold, das Ihr begehrt.«

      Die Frau wischte sich mit einer fahrigen Bewegung den Schweiß von der Stirn. »Er schnüffelt selbst in der Gegend herum. Dieser britische Oberst spricht die Landessprachen, und ein junger >pardesi< begleitet ihn. Wenn Ihr ihn hört, glaubt Ihr, ein Inder steht vor Euch. Er hat keinen Akzent und kennt alle Sitten und Bräuche. Ich weiß nicht, wer er ist, und es gibt auch keine Gerüchte über ihn, aber ich will mich gern erkundigen ... Vergesst nicht, Oberst, diese Briten wissen ihre Zungen zu hüten, selbst dann, wenn sie im Arm einer dunkelhäutigen Schönheit ihre Selbstbeherrschung verlieren.«

      »Gut!« Cappellini schnürte den Beutel Gold los und zählte ein paar Münzen in Lakshmis geöffnete Hand. »Das hier ist für den Anfang und die Afghanen. Wenn die Armee abmarschiert, erwarte ich von Euch, dass Ihr mit Euren Huren den Rotröcken folgt. Sobald Ihr etwas wisst, informiert Ihr Oberst Wao. Solltet Ihr versuchen, wegen dieser hübschen, glänzenden Münzen ein doppeltes Spiel zu treiben ... Indien ist nicht groß genug, als dass Ihr Euch vor mir verstecken könntet. Habt Ihr verstanden?«

      Lakshmis Hand schloss sich fest um die Münzen. Trotzig blickte sie Cappellini in die Augen. Dann aber nickte sie.

      Dhoondia Wao bedeutete seiner Agentin, zu verschwinden. Dann schlugen er und Oberst Cappellini wieder den Weg nach Mysore ein.

      Die offensichtlichste Schwachstelle der britischen Truppen in Indien war ihr Transport- und Versorgungssystem. Der Grund dafür war, dass in England meist die Marine für die Lösung solcher Probleme herangezogen wurde und man sich nur wenig mit Ochsenkarren und ähnlichen Hilfsmitteln auskannte. Dank Montstuart Elphinstones phantastischer Kenntnis des Landes und seiner unglaublichen Ressourcen war die Transportfrage für General Harris’ Expeditionskorps gegen Mysore jedoch mehr als zufriedenstellend gelöst worden. Er hatte »brinjarries« angeworben, eine Art indischer Zigeuner, die keiner Kaste und Religionsgemeinschaft angehörten und ihren Lebensunterhalt als Vieh- und Getreidehändler verdienten. Ein bemerkenswerter Tross – alle Händler hatten ein Patent von Lord Clive erhalten und waren autorisiert, an die Truppe zu verkaufen – würde der Armee folgen, ohne dass die Offiziere und der Stab sich um die Versorgung kümmern mussten. Die »brinjarries« hatten im Gegenzug für ihre Patente und eine feste Preisabsprache zugesagt, eigenständig alles heranzuschaffen, was Harris’ Rotröcke und Sepoys benötigten. Lediglich ein Offizier wurde als Trossmeister abgestellt und sollte den geregelten Ablauf dieser neuen Beziehungen überwachen.

      General Harris war mit Wesleys Idee und Elphinstones Umsetzung des Planes so zufrieden, dass er sich für einen Abend Anfang Januar 1799 im Hauptquartier der Armee des Nizam bei Arnee angekündigt hatte. Neben dem »brinjarry«-Tross, über den ihm sein Adjutant, Oberstleutnant Barry Close von der Ostindischen Kompanie, wahre Wunderdinge berichtet hatte, wollte er auch die militärische Organisation seines Ersatzmannes für den verstorbenen Henry Harvey Ashton in Augenschein nehmen. Obwohl Arthur sich als Nachrichtendienstoffizier schon seit langem bewährt hatte und die Achtung aller besaß, fragte Lord Harris sich dennoch, wie ein so junger Mann, dessen einzige Erfahrung mit dem Krieg der unglückselige Flandernfeldzug gewesen war, plötzlich mit elftausend einheimischen und fast zweitausend britischen Soldaten zu Rande kam. An sich mochte er diesen jungen Offizier und vertraute auf dessen gesunden Menschenverstand. Doch schien es ihm vernünftiger, die ganze Sache persönlich in Augenschein zu nehmen.

      Wenngleich Oberst Wesley und sein kleiner Stab nach außen hin vorgaben, die Ruhe selbst zu sein und sogar General Meer Allum erfolgreich ihre kleine Komödie vorspielten, musste Arthur sich im Stillen eingestehen, dass General Harris’ freundschaftlicher Besuch ihm wie ein Stein im Magen lag. Natürlich hatten sie alle ihr Bestes gegeben und waren überzeugt, dass ihr Teil des Expeditionskorps perfekt war. Doch würden sie vor dem kritischen Auge eines Mannes bestehen können, der mehr als fünfundzwanzig Dienstjahre auf dem Buckel und sich seinen Ruf im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg erkämpft hatte, bei Bunker Hill, als sie alle noch in den Windeln lagen?

      »Sir, wenn ich Sie darum bitte, die Männer noch einmal auf den Exerzierplatz zu holen und scharf schießen zu lassen, dann liegt es nicht daran, dass ich Sie in dieser Hitze quälen will«, sagte er aufgeregt zu seinem Freund Connor McLeod.

      Der Schotte hob die Augen gen Himmel und schüttelte verzweifelt den Kopf. »Gütiger Himmel, Wesley! Harris will uns nicht fressen. Der Alte inspiziert bloß die Armee des Nizam – und das war’s dann schon.«

      Der Kommandeur des 33. Regiments warf einen kurzen Blick über die Schulter. Als er feststellte, dass er und McLeod von niemandem belauscht wurden, packte er den Hochländer am Arm und zischte ihm zu: »Connor, in Gottes Namen, lasse das Vierundsiebzigste antanzen und schießen, und wenn es nur um meinen Seelenfrieden geht. Willst du etwa, dass Harris uns eine alte Kröte wie St. Leger aufs Auge drückt, nur weil er meint, wir könnten mit dieser Geschichte nicht alleine fertig werden?«

      Noch bevor McLeod etwas erwidern konnte, hatte Wesley die Zügel von Eochaid gepackt und war in den Sattel gesprungen, ohne die Steigbügel zu benutzen. Er hatte bei den Einheiten der Madras-Artillerie ein paar Geschütze ausgemacht, die ihm nicht gefielen. Eine Staubwolke hüllte den Schotten ein, als sein Freund vom 33. Infanterieregiment über den Exerzierplatz stob, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her. Grinsend beobachtete McLeod, wie ein Hauptmann der Ostindischen Kompanie immer kleiner wurde, als sein irischer Kamerad wie der Erzengel Gabriel mit seinem Racheschwert über ihn herfiel. Natürlich war es eine große Ehre, dass dreizehntausend Mann mit insgesamt vierzig großen Feldgeschützen einem achtundzwanzigjährigen Offizier anvertraut worden waren, den sie alle schätzten und achteten. Doch dass Wesley glaubte, der alte Harris wolle ihn auffressen, falls er am Huf eines Gauls auch nur einen Strohhalm entdeckte, grenzte an Verfolgungswahn.

      Während ihr Verlobter seine Soldaten und Sepoys drillte, als würde die Ehre Englands davon abhängen, ließ Charlotte alles ruhiger angehen. Natürlich war es schwierig, Harris und seinen riesigen Stab zu bewirten und in einem Zelt, dessen Fläche gerade mal die Ausmaße der Bibliothek ihres Vaters in Kalkutta besaß, fünfzig hungrige Gäste zu empfangen, doch man durfte das alles nicht so eng sehen. Charlotte hatte ein paar Soldatenfrauen aus dem 33. Regiment eingespannt, ihr zur Hand zu gehen. Arthurs indischer Diener Vingetty war für den großen Abend mit Harris zum »Maître des Ceremonies« ernannt worden; er schlug sich leidlich