Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Teil 2


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Oberst seine junge Verlobte. Ihm lag der Geruch genauso schwer im Magen wie Charlotte, doch als Berufssoldat durfte er so etwas natürlich nicht zugeben.

      Charlotte betrachtete den roten Rock an ihrer Seite nachdenklich und antwortete mit einer Gegenfrage. »Und du? Bereust du es nicht, dass du bei den Soldaten geblieben bist?«

      Wesley hob die Augen zum Himmel. »Wenn ich das nur wüsste!« In diesem Augenblick sprengte ein Reiter auf Wesley zu. Es war ein Sepoy-Offizier aus dem Stab General Meer Allums. »Wesley-Sahib! Harris-Sahib hat endlich den Befehl zum Einschwenken erteilt. Die Hauptarmee hat die große Straße von Bangalore nach Seringapatam sicher erreicht.«

      Arthur entschuldigte sich bei Charlotte und stieß Eochaid die Sporen in die Flanken. Das Tier hatte lange unruhig unter seinem Reiter getänzelt und galoppierte nun die Marschkolonnen entlang. Meer Allums Offizier auf seinem »Kathiawari« konnte kaum mit dem goldfarbenen Hengst mithalten. Als Arthur Eochaid vor Meer Allum zügelte, hatten sich seine Gedanken über die Toten von Sedaseer und Charlottes sonderbare Frage bereits verflüchtigt. Er war wieder ganz und gar in diesem großen Spiel gefangen, das Krieg hieß.

      Am 21. März hatte General Harris Cankanelli erreicht. Am 26. März war die Hauptarmee aus dem unwegsamen Dschungel ins flache Land vorgestoßen und konnte bereits die großen Getreidespeicher von Malavelly am Horizont erkennen. Sechs oder sieben Meilen trennten die Teilheere noch. Zufrieden bemerkte der Oberkommandierende die lange Reihe ordentlich errichteter Zelte, die davon kündeten, dass Meer Allums Hyderabad-Armee pünktlich zum vereinbarten Treffpunkt gekommen war.

      Arthur Wesley und Connor McLeod beobachteten von einem Hügel aus besorgt die schweren Zugelefanten des Sultans. Noch befanden die Tiere und Geschütze sich am anderen Ufer des Cauvery, doch es würde nicht mehr lange dauern, dann würde Tippus Armee den Fluss an den drei großen, flachen Furten durchqueren. Ein Sowar trabte den Hügel hinauf. »Oberst-Sahib, eine Meldung von Oberstleutnant Sherbrooke!«

      Arthur öffnete den Umschlag. Mit zusammengekniffenen Lippen las er die Meldung. Sherbrooke und die leichten Kompanien des 33. Regiments befanden sich gut versteckt im Dschungel entlang des Cauvery. Sie hatten die Aufgabe, Tippus Truppen zu beobachten und Alarm zu schlagen, sobald der erste Elefant seine gewaltigen Füße ins seichte Wasser setzte. »Bei Sirsoli haben die Aufklärer fast 10000 Reiter des Sultan gezählt ... vierunddreißig riesige Feldgeschütze entlang des Cauvery ... 14000 Fußsoldaten, ein Teil davon Europäer. Verdammt, Connor, das wird knapp. Wir haben 21000 Mann und vierzig Geschütze, aber nur dreitausend Mann Kavallerie. Die anderen sind noch zwischen Harris und der Hyderabad-Armee, und ich kann sie auch nicht zurückpfeifen, weil Baird und die Schotten sonst Probleme bekommen.«

      Connor McLeod drehte sich im Sattel um, holte sein Fernrohr hervor und starrte auf die riesige Staubwolke in Richtung Cankanelli. »Harris ist noch fast einen Tagesmarsch entfernt. Es dürften sieben oder acht Meilen sein.«

      »Sechs!« verbesserte Wesley den Freund. »Aber das hilft uns nicht weiter. Harris hat den ganzen Tross dabei, und selbst wenn er den Männern befiehlt, schneller zu marschieren ... Du kannst mitten im Feindesland nicht einfach Munition, Proviant und Viehherden unbewacht zurücklassen.« Mit einer heftigen Bewegung stieß der Offizier sein eigenes Fernrohr zusammen und warf es in die Satteltasche. »Was soll’s. Wir wollten unseren Krieg, jetzt haben wir ihn.« Er spornte Diomed zu einem halsbrecherischen Tempo an und galoppierte den Aussichtshügel hinunter in Richtung Feldlager des Nizam. Meer Allum erwartete den britischen Offizier bereits aufgeregt. Seine Offiziere hatten ihm eine Kopie von Sherbrookes Meldung vom Cauvery gebracht; während Arthur auf dem Hügel ausgeharrt hatte, war er durch den Dschungel bis fast an den Fluss geritten. Meer Allum war ein guter, tapferer Soldat. Er konnte es kaum noch erwarten, mit den Männern des Sultans die Waffen zu kreuzen.

      »Nun, Wesley-Sahib! Ich habe Sherbrookes Meldung bereits gelesen.« erklärte der General ausgelassen und zeigte dabei fröhlich auf einen Feldstuhl in seinem Zelt.

      Arthur schüttelte den Kopf und grinste. »Dann, mein ehrenwerter

      Freund, werden wir sie angreifen. Eure Zustimmung vorausgesetzt natürlich.«

      Meer Allum schlug Wesley herzhaft auf die Schulter. »Das gefällt mir, Wesley-Sahib! Kein Zögern mehr und kein Taktieren, keine faulen Ausreden und lauen Verhandlungen mit dem Tiger. Warten wir auf Harris?«

      »Wozu, Mylord? Der Befehl ist eindeutig. Die Hyderabad-Armee sichert den Vormarsch von Hauptheer und Tross.«

      Der junge Offizier hatte allerdings vergessen, dass die Armee aus Mysore über eine doppelt so starke Kavallerie verfügte wie er selbst. Er hatte von seinem Hügel aus die Gegend betrachtet: Sie war für einen Angriff bestens geeignet. Während er mit Connor McLeod diskutierte, hatte sich vor seinem inneren Auge bereits ein Angriffsplan gebildet. Mit seinen achtundzwanzig Jahren war Arthur noch viel zu sorglos und unbekümmert, um sich von einer feindlichen Armee einschüchtern zu lassen. Er wollte endlich kämpfen. Nicht dass Wesley seinem Bruder, dem Generalgouverneur in Kalkutta, oder sich selbst irgendetwas beweisen musste, aber die Gelegenheit war einfach zu günstig...

      Charlotte Hall war kreidebleich, als sie die Schärpe um Arthurs Hüften legte und das Schwertgehänge schloss. Sie hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Zum ersten Mal seit Wochen war sie in dem großen Zelt alleine gewesen. Keine Schulter, an die sie sich hätte lehnen können, um einzuschlafen; keine beruhigenden Worte, wenn sie trotz ihrer Abenteuerlust doch ein bisschen Angst vor der eigenen Courage bekam; keine zärtliche Berührung und die Nähe seines lebendigen, warmen Körpers, bevor sie die Augen schloss, um sich von einem langen und anstrengenden Tag auszuruhen.

      Arthur hatte die Nacht mit den Offizieren des Stabes und Meer Allum zugebracht. Sie hatten an ihrem Plan gefeilt, Einheiten in Stellung gebracht, Geschütze bewegt, Palisadenzäune errichten lassen. Als er Charlotte zum Abschied umarmte und sich ihre Lippen zu einem innigen Kuss trafen, schaute sie in die Augen ihres Verlobten. Sie waren anders als sonst – kalt und berechnend. Sie erinnerten Charlotte an den Blick des großen bengalischen Königstigers, dem sie vor langer Zeit gemeinsam in den Sunderbans begegnet waren. Alles schien nur noch Jagdtrieb und Mordlust. Irgendwie fehlte seinen Augen an diesem kühlen Märzmorgen die Menschlichkeit.

      Mary Seward hatte die ganze Nacht geweint und Rob bittere Vorwürfe gemacht, weil er damals in Schottland den Trommeln des Anwerbungssergeanten gefolgt war, statt sich brav in sein Schicksal zu fügen und wie seine Väter und Vorväter Schafe zu züchten. Irgendwann war Rob die Heulerei auf die Nerven gegangen, und er hatte sich zu seinen Kumpels verzogen, um die Nacht friedlich an einem Lagerfeuer zu verbringen, Karten zu spielen und nicht an den nächsten Tag und den Kampf zu denken, der sie erwartete. Als Rob schließlich um fünf Uhr früh seinen Tornister und sein Gewehr aus dem Zelt holte, hatte Mary so getan, als würde sie tief und fest schlafen, und hatte sich nicht gerührt. Seine Worte klangen ihr jetzt noch in den Ohren. »Albernes Weibervolk!« hatte er geschimpft und war in der aufgehenden Sonne des indischen Morgens verschwunden. Mary hatte sich um sechs Uhr früh schließlich aus ihrer Decke geschält und war wie ein geprügelter Hund zum Zelt von Oberst Wesley und Madam Hall geschlichen. Erst als sie Charlottes rotgeweinte Augen sah, fasste die junge Frau von Sergeant Seward sich wieder.

      »Ist das eigentlich immer so, wenn die Männer in den Krieg ziehen?« fragte Charlotte verschämt ihr Mädchen. Sie flüsterte, denn irgendwie hatte sie Angst, Arthur könne sie hören und würde sie zurück nach Kalkutta schicken, weil er keine Lust hatte, seine Zeit mit einer Heulsuse zu vergeuden. Charlotte war überzeugt, dass Mary einen reicheren Erfahrungsschatz als Soldatenfrau besaß als sie selbst.

      Mary Seward blickte verlegen zu Boden. »Weiß nicht, Ma’am! Ist das erste Mal, dass mein Rob in den Kampf zieht. Wir sind noch nicht lange bei den Soldaten.«

      Ein dumpfes Dröhnen ließ das Zelt erzittern, und Mary warf sich hilfesuchend in Charlottes Arme. Tränen rannen ihr über die Wangen. »Wenn sie mir meinen Rob totschießen, was soll ich dann bloß machen? Wie soll ich dann bloß zurück nach Hause kommen?« schluchzte sie.

      »Pssst, Mary! Was soll denn das?«

      »Sie schlagen sich gegenseitig tot!« rief die Kleine verzweifelt. »Und Johnny hat mir gesagt, man würde sich nicht um uns kümmern,