Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Teil 2


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in den sie ihr ganzes Vertrauen setzen konnte: Zahlmeister Dunn – ausnahmsweise nicht mit den betrüblichen Konten des 33. Regiments befasst – stand ihr mit Rat und Tat zur Seite. Wenn es ihr nun noch gelingen würde, diesen nichtsnutzigen Adjutanten, Major Francis West, ins Geschirr zu spannen...

      »Francis, falls es Ihnen gelingt, dieses Sherryglas aus der Hand zu stellen«, sagte sie hinterlistig, »und statt dessen darüber nachzudenken, wie wir hundertzwanzig Flaschen Champagner kalt gestellt bekommen ... Denken Sie an England! Denken Sie an das 33. Regiment!« West verschluckte sich vor Lachen an dem Porto Fino, den er gerade erfolgreich aus den Vorratskisten seines Chefs entwendet hatte. »Miss Charlotte, wenn es um Champagner geht, verlassen Sie sich auf den alten Francis. Er steht gut gekühlt in eiskaltem Wasser und wartet nur darauf, durch durstige Soldatenkehlen zu fließen.«

      »Dieser kleine Halunke!« ging es Charlotte durch den Kopf. Stets drückte er sich, doch wenn man ihm irgendeine Aufgabe anvertraute, gab es niemals Probleme. Wie konnte ihr armer Arthur nur mit diesem Schlitzohr West arbeiten, ohne dabei die Geduld zu verlieren? »Francis, Sie sind schrecklich ungezogen«, sagte sie spitzbübisch. »Ich mache das heute zum ersten Mal, und statt mir Mut zuzusprechen, amüsieren Sie sich.«

      West nahm einen großen Schluck von dem exzellenten, sündhaft teuren Porto Fino, den sein Chef sich zuweilen gönnte. Dann setzte er sein gewinnendstes Lächeln auf. »Miss Charlotte, wenn es um das 33. Regiment geht, kennen mein Enthusiasmus und mein Eifer keine Grenzen.«

      »Sehr gut!« konstatierte Zahlmeister Dunn mit einem zufriedenen Blick auf das strahlend weiße Leinen, die Kristallgläser und das hübsche Porzellan auf dem Tisch. »Nachdem wir jetzt alles fertig haben und nur noch auf den alten Harris und unseren Chef warten müssen ...«, er griff zu einem Taschentuch und wischte Charlotte mit einer väterlichen Geste den Schweiß von der Stirn, »... wird die kleine Lady sich ausruhen und sich dann für den Abend feinmachen. Mary, schenke Miss Charlotte doch eine Tasse Tee ein und sorge dafür, dass sie sich ein paar Minuten hinlegt.«

      Sergeant Sewards junge Frau nickte dem alten Zahlmeister ergeben zu und packte dann energisch Wesleys Verlobte, um sie aus dem Zelt zu bugsieren.

      General Sir George Harris war ein warmherziger, gutmütiger und reger Mensch, dem jegliche Arroganz und Selbstgefälligkeit abgingen. Er hatte als junger Offizier ebenfalls sein Quantum an Erfahrungen mit spitzfindigen und kleinkrämerischen Vorgesetzten gesammelt und verstand aus diesem Grunde Oberst Wesleys Sorge und innere Unruhe. Nachdem er die Truppen des Nizam und die britischen Regimenter bei Arnee inspiziert und in voller Kampfbereitschaft vorgefunden hatte, vermied er es sorgfältig, seinen jungen Untergebenen zu ängstigen. Es hatte ihm gefallen, was er auf dem Exerzierplatz gesehen hatte. Das Diner, zu dem Oberst Wesley geladen hatte, sollte aus diesem Grunde lediglich ein familiäres Vergnügen und keine Manöverkritik werden. Gemütlich nahm der alte General seinen Platz zwischen Wesleys Verlobter und dem indischen General Meer Allum ein, während Arthur sich mit Ameisen im Magen und Angstschweiß auf der Stirn auf den Platz gegenüber von Lord Harris begab. Als Rückendeckung hatte er Elphinstone und Barclay dabei.

      »Nun«, begann der Oberkommandierende des Expeditionskorps, »ich muss zugeben, dass ich es nach diesem Tag fast bedaure, dass ich ein paar Herren mitgebracht habe« – er winkte den Generälen Floyd, Stuart und Baird fröhlich zu –, »die ein wenig länger auf den Dienstlisten unseres guten König Georg stehen als einige andere, die sich viel Mühe gemacht haben, hier alles in Gang zu bringen.« Dann wandte er sich direkt an Arthur. »Dennoch möchte ich sagen, dass ich für die meisterlichen Arrangements von Oberst Wesley und seinem Stab und für die hervorragende Disziplin hier in Arnee kaum die passenden Worte finde.«

      Während Harris sein Glas hob und die Generäle Floyd und Stuart es ihm gleichtaten, suchte Arthur ein Mauseloch, in dem er verschwinden konnte, denn auf seinen braunen Wangen hatte sich ein feuriges Rot ausgebreitet, das nicht vom Champagner, sondern der Verlegenheit über so viele gute Worte herrührte. Charlotte und die Herren Offiziere grinsten vergnügt. Der alte Harris hob seinen schweren Körper aus dem bequemen Stuhl.

      »Gentlemen, ich möchte mein Glas auf den Kommandeur unseres 33. Regiments erheben und ihm für seine Arbeit danken. Selbstverständlich wird der Nizam von Hyderabad, repräsentiert durch General Meer Allum, nicht auf seinen bewährten militärischen Berater verzichten müssen.«

      Arthur versank immer tiefer in seinem Stuhl. Vor Verlegenheit und Freude wurde ihm so heiß, dass er sich am liebsten in den nächsten Fluss gestürzt hätte. Er bemerkte nicht einmal, wie die Miene von Sir Davie Baird immer finsterer und bösartiger wurde. »Oberst Wesley, gestatten Sie mir, auf einen erfolgreichen Feldzug gegen Mysore zu trinken und Ihnen und Ihrem Stab viel Glück zu wünschen. Ich habe den Marschbefehl des Generalgouverneurs vor zwei Tagen erhalten. Am 29. Januar geht es los. Gott schütze England und König Georg!« Alle Offiziere erhoben sich und stimmten in Sir Georges Trinkspruch ein. Arthur konnte sich nur mit Mühe auf seinen butterweichen Knien halten. Das Champagnerglas zitterte in seinen Händen. Er hätte nie geglaubt, dass es so weit kommen würde. De facto hatte man ihm das Kommando über eine Armee von 13 000 Mann anvertraut, obwohl er gerade erst achtundzwanzig Jahre alt war und noch viel zu jung, um über wirkliche militärische Erfahrung zu verfügen.

      Als Wesley gemeinsam mit den anderen sein Glas leerte, schwor er sich, Lord Clive und General Harris nicht zu enttäuschen. Seringapatam und Tippu sollten nur kommen! Die schlimmen Tage des Flandernfeldzugs lagen weit zurück, und zwischen den Düften des Orients und den weichen Armen der kleinen Charlotte hatte Wesley alle Schrecken und Ängste vergessen, die er an einem nebligen Novembertag auf den Schanzen von Boxtel durchlitten hatte.

      Kapitel 2 Erste Gefechte

      Die Armee bestimmte, wann Major John Shee aufwachte und wann er sich schlafen legte. Oberst Wesley bestimmte, ob der Major sich besaufen oder seinen natürlichen Trieben in den Armen einer der »bibbies« von Lakshmi nachgeben durfte. Doch – o Wunder – inzwischen war es Major Shee selbst, der darüber entscheiden konnte, wer in seinen Kompanien des 33. Regiments nach welcher Pfeife tanzen musste. Seit dem geschichtsträchtigen Abend in Arnee, an dem der alte Schwachkopf Harris dem staubigen Buchhalter Wesley die Truppen des Nizam in den Rachen warf, hatte Shee Ruhe vor seinem Kommandeur. Und Oberstleutnant Sir John Sherbrooke war viel zu sehr mit dem Regiment beschäftigt, als dass er sich großartig um Shee und die Kompanien hätte kümmern können. Sir John hatte Shee sogar die Schützen anvertraut – was Wesley, dieser bornierte Buchhalter, sicher nie getan hätte. Wesley hätte seinen kleinen Freund West damit beglückt ... Aber West spielte ja inzwischen den Laufburschen für Atty, wenn er nicht gerade mit der Brillenschlange Tee trank oder diesem fetten indischen Bock Meer Allum in den Hintern kroch.

      Major Shee blickte vom Rücken seines Pferdes zufrieden in die weite Ebene des Karnataka. Es war schön, Soldat zu sein, wenn ein Krieg bevorstand, Preisgelder lockten und Brandy und geile »bibbies«, die für jedermann erschwinglich waren. Nur zu schade, dass die verdammte Brillenschlange seines verdammten Obersten sich die kleine Seward unter den Nagel gerissen hatte. Schon seit der Überfahrt aus England hatte Shee immer wieder einen Blick auf ihren hübschen Hintern geworfen. Zahlmeister Dunn, dieser bigotte alte Trottel, musste ihn bei Wesley verpetzt haben: Zuerst war Sergeant Seward aus seiner Kompanie verschwunden und in die unendlichen Höhen der Regimentsbuchhaltung entsandt worden, und dann hatte die Brillenschlange Mary entdeckt und ihr ihre Gunst geschenkt.

      Doch Shee war sicher, dass der Krieg ihm Gelegenheit bieten würde, sich ungestraft mit der Kleinen zu amüsieren. Vorerst jedoch musste er mit Lakshmi und ihren Mädchen vorliebnehmen. Immerhin hatte er inzwischen genug Geld in der Tasche, um sich seinen kleinen Zeitvertreib leisten zu können, und sein verdammter Kommandeur war weit weg und Sir John Sherbrooke zu beschäftigt, um ihm Aufmerksamkeit zu widmen. Es war eine feine Sache, wenn nur ein Brite sich um den Haufen stinkender »brinjarries« kümmerte – und der war strohdumm und blind und bemerkte nicht einmal, wie Shee sich still und heimlich die Taschen füllte, weil er entdeckt hatte, dass nicht nur die Soldaten König Georgs an Getreide, Pulver und Munition interessiert waren.

      Harris’ Teilstreitmacht erreichte Amboor am 18. Februar 1799 und schloss sich dort mit der Hyderabad-Armee