Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Teil 2


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Grenzen. Der Nizam setzte alles daran, Mornington-Sahib zu zeigen, was für ein guter Verbündeter er war. Wenn sie mit Tippu abgerechnet hatten, würde er auf sein Recht pochen und als Gegenleistung für seine Militärhilfe königliche Regimenter fordern – und einen Kriegszug gegen Scindia und Holkar!

      General Meer Allum – der Premierminister des Nizam und einer seiner zahllosen unehelichen Söhne – war glücklich mit seinem britischen Obersten. Wesley sprach seine Sprache; er besaß Taktgefühl und Diplomatie und drängte sich nie in den Vordergrund. Und Wesley kam mit allen klar, auch mit Generalmajor Baird. Und der war ein Problem, seit er drei Jahre in den Kerkern von Hyder Ali zugebracht hatte.

      Baird befehligte jene drei europäischen Bataillone, die die rechte Flanke der Armee des Nizam bildeten. Tag für Tag versuchte er, sich in Meer Allums Angelegenheiten einzumischen. Meer Allum konnte diesen Kerl nicht ausstehen. Ihm kam schon die Galle hoch, wenn Baird ihm näher war als fünfzig Meter. Der Inder dankte General Harris und den Göttern, dass zwischen ihm und diesem schottischen Teufel Baird der junge Wesley stand. Arthur war ein feiner Soldat. Arthur liebte Indien und hatte keine Vorbehalte gegen die Einheimischen.

      Der Vormarsch gegen Mysore begann am 21. Februar 1799 von Amboor aus. Das Tal war breit und flach wie eine Suppenschüssel. Die britischen Truppen marschierten in Kolonne an der rechten Flanke. Die Soldaten des Nizam bewegten sich in gleicher Formation auf der linken Seite. Zwischen den beiden Teilstreitkräften floss gemächlich ein Strom von mehr als 50000 Zivilisten: Kaufleute, Huren, Familienangehörige britischer und Sepoy-Soldaten ... und mittendrin, zahlreicher noch als die menschliche Flut, fast 100000 Ochsen, Tausende von Maultieren, unzählige Elefanten, Pferde und Kamele.

      Bei seinem Vorstoß durch den Baramahal glich das Expeditionskorps mehr einem Wandervolk als einer Armee. Das Fortkommen war beschwerlich und beschränkte sich jeden Tag auf spärliche zehn Meilen. Doch so langsam alles auf den ersten Blick auch schien, so unaufhaltsam walzte General Harris’ Armee in Richtung der Grenzen von Mysore. Der Oberbefehlshaber hatte aus den Fehlern von Lord Cornwallis gelernt und folgte dem Rat von Lutuf Ullah, dem afghanischen Pferdehändler und Wesleys Kopf im militärischen Nachrichtendienst der Briten. Statt durch Kistnagherry zu ziehen, überquerte das Expeditionskorps den Ryacotta-Pass. Lediglich für die schweren Geschütze, die von sechzig Ochsen in Viereranspannung gezogen wurden, wählte man die schmale befestigte Straße über die Höhe. Alle anderen suchten sich ihren Weg entlang der Schlucht, nördlich und südlich von Ryacotta. Am 5. März schlug Harris sein Feldlager auf. Leichte Schützeneinheiten hatten Befehl, gegen die Grenzposten von Mysore vorzustoßen und sie zu vertreiben. Wesleys Nachrichtendienst hatte dem Hauptquartier übermittelt, dass der Sultan – über die Ankunft der Briten und ihrer Verbündeten bestens unterrichtet – Bangalore und das Umland in Schutt und Asche gelegt hatte, um dem Feind Vorratslager und Nachschubbasen zu entziehen. Somit musste die Truppe von nun an direkt durch das feindliche Territorium auf die Hauptstadt Seringapatam marschieren. Um dem Monsun auszuweichen und die Niederlage von Cornwallis im Jahre 1791 nicht zu wiederholen, wurde es unabdingbar, Seringapatam noch vor Mitte Mai zu nehmen, wenn der Monsunregen einsetzte.

      Oberst Dhoondia Wao hatte sein Versprechen eingelöst. In der Hauptstadt von Mysore hatte er sich der beiden Repräsentanten afghanischer Pferdehändler mit dem gleichen Maß an Freundlichkeit angenommen. Der erste Mann hatte offenbar wirklich nichts zu verbergen gehabt, denn er war unter der Folter gestorben, ohne ein vernünftiges Wort über die Lippen zu bringen. Man hatte ihm die Haut in dünnen Streifen vom Leib gezogen, hatte ihn gepeitscht und mit glühenden Eisen gebrannt. Trotzdem hatte er nichts Interessantes von sich gegeben.

      Der andere Mann war ein schwierigerer Fall gewesen: N Gowinda Bath gehörte einer einflussreichen Hindu-Familie an, die mit dem ehemaligen Herrscherhaus von Mysore, Wodeyar, eng verwandt war. Außerdem besaß der Mann die Gunst von Purneah, dem »Dewan« des Sultans von Mysore. Purneah war auch ein Hindu der obersten Kaste. Doch Oberst Wao war ein gerissener Fuchs: Anstatt N Gowinda Bath ernsthaft ins Gebet zu nehmen, ließ er ihn beschatten. Oft war ein lebender Verräter aussagekräftiger als ein lebloses Stück Fleisch, das nicht einmal mehr für die Tiger des Sultans gut genug war.

      Als N Gowinda Bath das Kontor der Familie Ullah in Seringapatam verließ, fühlte er sich ausgesprochen unwohl. Die ganze Stadt rüstete sich für die Ankunft der britischen Truppen und glich mehr einem befestigten Heerlager als einem Handelsknotenpunkt im Herzen des Subkontinents. Soldaten des Sultans tauchten an allen Ecken und Enden auf; die indischen und ausländischen Offiziere schienen misstrauischer und wachsamer als sonst. N Gowinda kam am Tempel des Sri Ranganathaswamy vorbei und konnte beobachten, wie ausländische Offiziere auf den Wällen des Forts Geschütze in Stellung brachten. N Gowinda wusste in diesem Augenblick nicht, vor wem er mehr Angst haben sollte: vor den Augen und Ohren des Sultans oder dem Zorn seines afghanischen Herrn Lutuf Ulla und dem scharfen Schwert des »jawan« Bedi ben Haleff ibn Ullah.

      Als er die Stadtmauern hinter sich gelassen hatte, siegte die Treue zum Hause Ullah über seine Angst. N Gowinda beschleunigte seine Schritte. Er bemerkte nicht, wie ein Paar aufmerksamer brauner Augen jede seiner Bewegungen durch ein französisches Fernrohr beobachtete.

      Dhoondia Wao stieß Oberst Cappellini leicht in die Seite und hielt ihm seine »longue-vue« hin. »Hier, Sahib, seht selbst! Der da ist ein Verräter. Er hat etwas zu verbergen. Er paktiert mit den >inglis<, wägt jeden Schritt ab und bebt vor Angst.«

      »Lassen Sie ihn nicht aus den Augen, Oberst Wao. Aber tun sie ihm nichts. Ich will an seine Auftraggeber herankommen und das Übel an der Wurzel ausreißen.« Allessandro Cappellini verließ seinen Aussichtsposten auf dem Festungswall und kehrte zu seinen militärischen Pflichten an der Seite Tippus zurück.

      Die Hitze in General Harris’ Zelt war erdrückend. Obwohl es ein großes Zelt war und man beide Seitenwände hochgeschlagen hatte, bewegte kein Windstoß die schwüle, feuchte Luft. Das Licht im Innern wurde durch den Zeltstoff zu einem schalen Gelb gebrochen, das dem Gras auf dem Boden eine ungesunde bräunliche Farbe verlieh. Sechs Männer warteten im Zelt des Oberkommandierenden auf eine Entscheidung. Der unruhigste von ihnen schien Montstuart Elphinstone zu sein. Er war nach einem halsbrecherischen Ritt über die Ebene erst vor einer knappen Stunde aus dem Herzen von Mysore zurückgekehrt. Ein Teil seiner Unruhe war darauf zurückzuführen, dass N Gowinda Bath ihm sehr genaue Informationen über die Truppenstärke des Sultans und die Positionen der Geschütze auf den Wällen von Seringapatam überbracht hatte. Oberst Arthur Wesley saß Elphinstone gegenüber. Von Zeit zu Zeit zog er seine Uhr aus der Tasche, ließ den Deckel aufschnappen, starrte aufs Zifferblatt und steckte die Piaget kommentarlos zurück. Immer wieder trafen seine Blicke die von Elphinstone, und in diesem stummen Austausch spiegelte sich eine schreckliche Spannung.

      General Harris starrte auf die Landkarte, die vor ihm ausgebreitet lag. Mit einem hellblau karierten Taschentuch wischte er sich immer wieder den Schweiß von der Stirn, während sein Hirn unablässig arbeitete und abwägte, was er nun tun sollte: Der Weg, den das Expeditionskorps nach Seringapatam wählte, war von kriegsentscheidender Bedeutung. Stieß er berechenbar gegen die Hauptstadt des Sultans vor, bestand die Gefahr, dass seine schwerfälligen Truppen und der riesige Tross von der beweglichen Reiterei des Sultans bedrängt wurden, oder – schlimmer noch – dass das trockene Gras auf den Ebenen in Brand gesetzt und dem Expeditionskorps auf diese Weise unermesslicher Schaden zugefügt wurde.

      Doch eben dieses Gras, das die Ebene so gefährlich machte, benötigte Harris, um die Zugochsen, Elefanten und Maultiere seines Trosses mit Futter zu versorgen. Teilte er sein Heer, wie Oberst Wesley es ihm empfohlen hatte, konnte er die Aufmerksamkeit der Reiterei des Sultans ablenken und seine Zugtiere mit den Vorräten und dem Belagerungsapparat gefahrlos bis vor Seringapatam bringen. Doch Teilung bedeutete Schwächung, und niemand konnte ihm in diesem wilden, kaum kultivierten Landstrich dafür garantieren, dass die Wiedervereinigung beider Heere pünktlich vollzogen werden konnte. Der Bericht, den Montstuart Elphinstone soeben aus Seringapatam mitgebracht hatte, erleichterte dem General seine Entscheidung auch nicht gerade.

      »Viertausend Mann unter General Read haben wir bereits verloren. Natürlich sind die Getreideversorgung und das Depot in Cauveryporam strategisch sehr wichtig, aber ...«, dachte Harris laut nach.

      »Mit Verlaub, Mylord! Sie müssen das Expeditionskorps