Christine Feichtinger

Vergängliche Licht und Schatten in den Uhudler Bergen


Скачать книгу

Band zwischen ihnen entwickelt, sodass Anna Ertl heimlich beschloss, dieses Patenkind müsse ihre Schwiegertochter werden.

      In Karls Gedanken stand Martha vor ihm als würde sie ihm freundlich zulächeln und ihn bei sich zuhause willkommen heißen. Schon immer war er am liebsten mit ihr zusammen gewesen. Wie oft hatten sie all ihr Freud und Leid und ihre Geheimnisse miteinander geteilt. Sie hatte nur ihm ihren Schatz, versteckt in einem versperrten Kästchen, gezeigt. Schon als Kinder steckten sie immer zusammen, erkletterten die höchsten Bäume, naschten an fremden Obstbäumen, um ihre Welt gemeinsam zu entdecken.

      Frühzeitig mussten die Dorfkinder auf den Feldern und Wiesen mitarbeiten, ebenso in den Viehställen. Nachdem die Geidensleute immer schon bei der schweren, händischen Arbeit auf den Feldern, Wiesen und Wäldern, beim Sautanz, Weinlese, Schnapsbrennen, Federnschleißen, Kukuruzhäuten, Schnitt, Heumahd, beim Schlägern von Bauholz, beim Bau einander halfen, waren die Kinder der beiden Familien viel beisammen.

      Sie waren unbeschwert und dachten, es würde immer so bleiben. Mit ihrem sonnigen Gemüt, ihrer Gottesfürchtigkeit, Ehrlichkeit und Erdverbundenheit war Martha für ihn ein guter Kamerad und oft wie eine Seelenverwandte. Sie waren mit denselben Ansichten und Zielen aufgewachsen.

      Um jeden anderweitigen Verirrungen in der Liebe ihrer halb erwachsenen Kinder vorzubeugen, und ihre Lebensexistenz zu sichern, hatten die Geidensleute die Ehe von Karl und Martha beschlossen.

      So wie immer im Dorf wurde von den Müttern in stillschweigender Übereinstimmung mit ihren Ehegatten getrachtet, für ihre Kinder eine gute Partie zu arrangieren, damit ihre Kinder gut versorgt seien. Martha war für Karls Mutter Anna die beste Partie für Karl. Sie war fleißig und sparsam, nicht zimperlich oder verwöhnt. Nachdem sie einen behinderten Bruder namens Adolf hatte, würde sie die Landwirtschaft bekommen und dadurch wäre Karl versorgt. Dabei spielte es keine Rolle, dass Adolf, genauso wie Marthas Eltern, im Haus bleiben, mitversorgt und in gesunden und kranken Tagen gepflegt und bis zum Tod abgewartet werden mussten.

      Wenn Anna Ertl abends aus dem Fenster sah und das Gehöft von Martha mit dem großen Misthaufen und der großen Strohtriste vor sich sah, flüsterte sie ihrem Mann stolz zu: „Unser Karl macht eine gute Partie.“ Große Misthaufen und Strohtristen bekundeten, dass viel Grund und Vieh vorhanden waren.

      Die Familie Ertl kannte den Besitz der Geidensleute genauso wie umgekehrt die Familie Janisch das Anwesen von Ertl genau kannte.

      Die gegenseitige Zuneigung von Karl und Martha entwickelte sich langsam, beständig, bis sie zur Liebe gereift war.

      Martha war das schönste und begehrteste Mädchen im Dorf, bodenständig, ehrlich und offenherzig. Später, als sie sich vom Kindsein verabschiedete und zur Frau reifte, hatte sie viel Anwert (Chancen) bei den Burschen. Aber gegen ihre anderen Verehrer hatte Karl leichtes Spiel. Er liebte ihre pausbäckigen, roten Wangen, ihre dicken Zöpfe, ihre Grübchen, wenn sie lachte, und ihre großen braunen Augen, die ihn immer abwartend ansahen, sodass jede Initiative, ihr Zärtlichkeiten oder ein Busserl abzuringen, immer von ihm aus ging. Sie war scheu und zurückhaltend, trotzdem sie ihn liebte. Nie wäre sie aufdringlich gewesen oder hätte sich ihm an den Hals geworfen, denn durch ihre Gottesfürchtigkeit und die Einschüchterungen des Herrn Pfarrers, dass Gott jede Unkeuschheit und körperliche Hingabe vor der Ehe mit dem Fegefeuer bestrafen würde, sah Martha jede körperliche Berührung als unkeusch und als Sünde an. Und so musste Karl entgegen dem Ansinnen ihrer beiden Eltern lange um Martha werben, bis er sein erstes, schüchternes Busserl bekam.

      Ihre Frohnatur war ansteckend und wirkte auf ihn immer schon anziehend, sodass er immer gerne in ihrer Gesellschaft war. Nie war sie zwider (grantig). In ihrem Gesicht las er immer Anbetung für sich. Er fühlte, wie glücklich sie in seiner Anwesenheit war.

      Als wäre es gestern gewesen, sah er sie jetzt mit roten Wangen, ein bisschen untersetzt (stärker) vor sich. Sie hatte ein schönes Gesicht, makellose weiße Zähne und ihre Augen strahlten, wenn sie lachte. Wie sie wohl jetzt aussah?

      Im Geiste sah er Marthas verweintes Gesicht, als ob sie geahnt hätte, dass der Krieg ihr den Liebsten nehmen würde, als er Abschied von ihr genommen und in den Krieg gezogen war. Allerdings hatte sie befürchtet, er würde nicht mehr heimkommen. Dass er sich von ihr trennen würde und sie ihn an eine andere Frau verlieren könnte, war für sie damals undenkbar gewesen.

      Von diesem Gefühlschaos überwältigt, warf er sich stöhnend hin und her und das Bild Marthas verblasste und verschwand. Im nächsten Moment griff er in seinem Schwebezustand zwischen Himmel und Erde wie ein Ertrinkender nach einem Rettungsanker und ergriff platonisch Irene. Und der Himmel erstrahlte, als er Irene auf einem Marmorpodest sitzen sah. Irene war wie ein Wunder in sein Leben getreten.

      Bei jedem ihrer schüchternen, sehnsuchtsvollen Blicke, den sein nach Liebe sehnender Körper wahrnahm, wurde er sicherer, dass auch Irene ihn heimlich begehrte. Bald verzehrte er sich nach ihrer Liebe und bebte vor Verlangen.

      In seiner Sehnsucht malte er sich aus, der Krieg wäre zu Ende, er würde mit ihr gesättigt in einem warmen Bett liegen, sie küssen und sie auch an den verbotenen Stellen streicheln, ihren Atem und Herzschlag fühlen und eins mit ihr werden. Würde dieses Wunder für ihn Wahrheit werden oder war alles nur ein flüchtiger Traum, ein Strohfeuer? Und wie würde er Martha eines Tages gegenübertreten?

      Am nächsten Tag, als Irene ihm etwas zum Trinken reichte, berührte er wie zufällig ihre Hand, was einen wohltuenden Glücksstrom in ihrem Körper auslöste. Gleichzeitig löste diese Berührung Unsicherheit und Herzklopfen aus, als wäre es eine unstatthafte Liebkosung. Er sah die aufsteigende Röte in ihrem Gesicht und empfing die verhaltenen Signale des Wohlgefallens ihrerseits wie einen Sonnenstrahl aus dem Paradies.

      Irene wandte sich beschämt und erschrocken kurz ab. Hatte er sie tatsächlich berührt und war der Bann gebrochen? Sich nach seiner Liebe verzehrend, war ihr Karls Unaufdringlichkeit und Zurückhaltung unendlich lang vorgekommen. Sie wünschte, er könnte ausdrücken, was sie in seinen Augen zu lesen schien. Ihre bisherigen Verehrer hatte Irene höflich, aber bestimmt abgewiesen, was ihr den Ruf einer „eisernen Jungfrau“ eingebracht hatte. Aber als sie Karl Ertl sah, wusste sie, dass es richtig war, sich für ihn aufzuheben.

      Sobald Karl einigermaßen gehfähig war, wartete er auf ihr Dienstende und fragte sie: „Fräulein, darf ich Sie nach Hause begleiten.“ Der fremdländische Dialekt vermittelte ihr das Gefühl von erdiger Heimatverbundenheit. In diesem Moment sangen tausend zustimmende Engelsstimmen unter Schalmeienklängen im Chor für sie Jubellieder.

      Am liebsten hätte sie laut geschrien: „Ja.“ Sie unterdrückte einen Freudenschrei und verbarg ihre Freude. Kurz antwortete sie mit belegter Stimme „Ja“.

      Als Karl und Irene nachts durch die Stadt schlenderten, nahm er ihre Hand und drückte seinen Körper an sie. Sie wich ihm nicht aus, sondern sie genoss seine Gesellschaft und jede Berührung, auf die sie so lange gewartet hatte. Bei dem Gedanken, dass er mit diesen zärtlichen Händen vor kurzem noch am Drücker der MP unschuldige Menschen getötet hatte, zuckte sie kurz zusammen und bemühte sich sogleich diese Gedanken zu verscheuchen.

      Bald begann er sie an der Innenfläche der Hand zu streicheln, drehte sich zu ihr und küsste sie ohne Worte. Ihr Herz hämmerte wie verrückt in der Hoffnung, er würde ihre Nervosität nicht merken. Ihre Verwirrung wollte sie vor ihm verbergen. Er sollte nicht sehen, wie verrückt sie nach ihm war, denn es könnte der Eindruck entstehen, dass sie ein Flittchen und leicht zu haben wäre.

      Eine Weile schwieg er. Sie sah seinen warmen Atem in der kalten Nacht aufsteigen und wünschte er würde ihr sagen, was sie sich so lange ersehnte und auf ihrer Haut brannte, nämlich dass er sie liebe. Aber seine Gefühle in Worte zu fassen, schien ihm schwer zu fallen. Irgendwie schien er bedrückt und verlegen zu sein. Und im nächsten Moment fragte er unsicher: „Haben Sie schon einen Bräutigam.“ Sie verneinte, während sie ihn ungläubig ansah. „Wenn ich einen Bräutigam hätte, würde ich nicht mit ihnen hier gehen“, erwiderte sie energisch, fast gekränkt. Das Wort Bräutigam war ihr nicht geläufig. Sie bemerkte sein Aufatmen. Im gleichen Atemzug drückte er sie, als wolle er sich für diese Antwort und ihren Glauben an die Treue bedanken, an sich. Sie spürte