Christine Feichtinger

Vergängliche Licht und Schatten in den Uhudler Bergen


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zerreißen würde, sie hier zurücklassen zu müssen. Aber er könne sich eine gemeinsame Zukunft mit ihr nur in seiner Heimat vorstellen. Aus diesem Grunde müsse er dafür sorgen, dass die Felder bebaut werden, um mit der Ernte für eine gemeinsame Lebensexistenz zu sorgen, damit er eine Familie gründen und ernähren könne. Er wolle Vorkehrungen treffen, ein Nest bauen für ein gemeinsames Leben mit ihr. So wie seine Familie seit Generationen durch harte Arbeit auf den Feldern ihren Lebensunterhalt verdiente, wollte auch er durch der Hände Arbeit unabhängig und wie seit eh und je stolzer Selbstversorger sein, sein eigener Herr und niemanden untertänig sein müssen mit Gottes Segen und im Einklang mit der Natur. Der Krieg würde bald aus sein und dann könnten sie mit einer guten Ernte ihr Leben genießen. Er könne sie unmöglich holen, wenn die Felder nicht bebaut wären, denn wovon sollten sie dann leben.

      „Glaube mir, ich werde diese Entscheidung nicht alleine treffen, ich gehe nur, wenn du es auch willst. Es handelt sich nur um eine kurze Zeit, danach, wenn zuhause alle Felder angebaut sind, komme ich wieder. Auch mir fällt es schwer, von dir zu gehen“, erklärte er flehentlich, während er sie am liebsten jetzt geliebt und den Urlaub, den Krieg und alles Ungemach vergessen hätte.

      Weiters erklärte er, dass er keinen Beruf gelernt, er kenne nur die Arbeiten in der Landwirtschaft. Das Stadtleben mochte Karl sowieso nicht und das Heimweh und die Sehnsucht nach der vertrauten Umgebung und seiner Heimat begleiteten ihn ständig. Er konnte es sich nicht vorstellen, auf den Trümmern dieser Stadt sich ein gemeinsames Leben mit Irene aufzubauen und eine Familie zu gründen. Wie sollte er sich hier eine gemeinsame Zukunft aufbauen?

      Seit Kindesbeinen an wurde er dazu erzogen selbständig zu sein und eine Landwirtschaft zu führen.

      Das Landleben, still und abgeschieden, ohne den Lärm und die Hektik einer Großstadt, die Freiheit seiner Entscheidungen, vom Fleiß seiner Hände den Erfolg vor Augen und als selbständiger Selbstversorger zu fungieren, war sein oberstes Ziel. In seiner Heimat lebte man von der Substanz, von der Hände Arbeit, achtete, hütete und jätete jedes Pflänzlein, damit es sich entfalten konnte. Sobald die Zizibe (Kohlmeise) und die Fastenblümerl (Primel) das Frühjahr ankündigten, fing die Arbeit auf den Feldern an.

      Mit gewissem Stolz dachte er daran, wie unabhängig und erdverbunden die Bauern in seiner Heimat waren und mit ihren fleißigen Händen selbst ihren Lebensunterhalt verdienten, während die Händler, Hausierer und Viehhändler bei den Bauern als arbeitsscheue Leutanschmierer (Betrüger) verschrien waren.

      In seinem Heimatdorf lebte man abgeschieden. Die Bauern waren es gewöhnt, den Grund biologisch und schonend zu bearbeiten, ohne den Einsatz von Chemikalien, und Selbstversorger zu sein. Untereinander sich zu helfen, war oberstes Gebot. Man half sich gegenseitig unentgeltlich aus Solidarität bei einem erlittenen Unglück, beim Bau eines Hauses oder eines Wirtschaftsgebäudes, im Schnitt oder bei Waldschlägerungen oder sonstigen schweren Arbeiten aus, aber auch mit Werkzeugen, Geschirr und sogar Geld.

      Alle Heimsuchungen, Naturkatastrophen, Seuchen, Plagen, Krankheiten bei Mensch und Vieh galt es möglichst schonend zu überstehen und das Dorfleben förderte zwangsläufig den Zusammenhalt, da man beim Nächsten Hilfe suchte.

      Jede Ernte wurde, auch wenn sie gut zahlte (reichlich ausfiel), sparsam verwendet, damit alles gfuag (genug) ist. Urassn (Verschwendung) war Sünde. Man konnte nie wissen, ob es im folgenden Jahr eine Missernte, oder Hagelschläge geben würde und Not eintrat.

      Zuhause litten sie keinen Hunger und niemand musste sich vor den Lebensmittelgeschäften anstellen. Das hatte ihm Martha geschrieben. Die Dorfbewohner konnten sich neben ihren selbst erzeugten Produkten der Landwirtschaft und neben der Abgabepflicht im Sommer von Pilzen und Beeren, Obst, von der Tauben- und Hasenzucht, welche es in jedem Haus gab, vom Tausch und Hamstern, notfalls auch vom Wildern und Fischen gut ernähren.

      Karl erklärte, dass er es niemals ertragen könnte, wenn sie hier in Armut, Kälte und Hunger leben müssten, sie sich zusammen mit den anderen hungrigen, abgemagerten Menschen und quengelnden Kindern mit ihren Lebensmittelkarten vor den Lebensmittelgeschäften anstellen müssten, während er zuhause in der Landwirtschaft sein eigener Herr wäre und seine Familie selbständig ernähren könne. Dort könnte er mit Irene eine gemeinsame Zukunft aufbauen, damit sie nicht betteln müssten, denn genau dieses Schicksal wollte er sich und seiner Familie ersparen. Er bekräftigte nochmals, dass er sofort nach dem Anbauen der Felder wiederkommen und sie holen würde.

      Uneigennützig verschwieg Irene ihm ihre Träume von ewiger Liebe und einem gemeinsamen Leben bis dass der Tod sie scheiden würde, um ihn nicht in seiner Entscheidung zu beeinflussen. Sie wollte ihn weder ängstigen noch bedrängen oder behindern.

      Irene nickte stumm, unfähig etwas zu entgegnen, obwohl ihr das Herz schwer wurde, was bei ihm als Zustimmung ankam. Ihr Verstand begrüßte einerseits seine Entscheidung. Dass er Vorkehrungen für ein gemeinsames Leben machen musste, wertete sie als Versprechen für eine gemeinsame Zukunft, aber ihr Herz wehrte sich trotzdem. Und sie war irgendwie erleichtert zu wissen, was ihn heimlich beschäftigte, denn Irene hatte befürchtet, dass Karl entweder wieder an die Front müsse oder sie verlassen würde. Und dennoch schmerzte sie sein Entschluss, obwohl es das geringere Übel war. Besser er ging nach Hause als an die Front. Dass zuhause auch ihr platonischer Feind in Form von Martha sitzen könnte, ahnte sie nicht.

      Trotzdem lief durch ihren Körper ein kalter Schauer der Enttäuschung, als würde sie zusammenbrechen. In ihrer Brust kämpften zwei Seelen. Die eine Hälfte wollte ihn mit aller Kraft halten, während die andere Hälfte ihr riet, ihn gehen zu lassen, sie hätte nicht das Recht, ihn aufzuhalten. Wie gerne hätte sie ihn aufgehalten. Sie wollte ihn keine Sekunde mehr vermissen, er war ihr Lebenselixier, ihr Trost und Rettungsanker geworden, nicht nur in schwierigen Stunden. Sie konnte sich ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen.

      Wie sollte sie ohne die Gewissheit, dass sie ihn abends wieder sehen würde, um in seinen Armen das Leid und das Elend rund um sie für eine kurze Zeit zu vergessen und Kraft tanken für ihren schwierigen Arbeitstag, leben? Wie sollte sie ihr Leben meistern ohne ihn? Musste sie mit seinem Weggehen auch die Hoffnung auf eine gemeinsame glückliche Zukunft aufgeben? Dass sie insgeheim darüber grübelte, ob ihre junge Liebe die Trennung aushalten oder ob er sein Vorhaben positiv ausführen würde können und ob er zu ihr zurückkommen würde, verschwieg sie wohlweislich.

      Irene sah in sein verzweifeltes Gesicht und auf seine Hände, die sich bewegten, als wollten sie eine entschuldigende Erklärung abgeben, es aber nicht vermochten, und kraftlos in sich zusammensanken. Er hatte doch tatsächlich gesagt, er wolle nach Hause und sie hier allein zurücklassen. Dieser Gedanke ließ sie momentan erstarren.

      Mit dem Versprechen, so schnell wie möglich zu Irene zurückzukehren und sie anschließend in seine Heimat zu holen, gingen sie gemeinsam kurze Zeit später zum Bahnhof. Beim Abschied auf dem Bahnhof überreichte sie ihm ihr Bild, welches er in seinen Brotbeutel neben das Bild Marthas legte.

      Wenn Karl in das traurige, schmerzerfüllte Gesicht von Irene sah, bohrten sich Stiche in sein Herz. Er wollte seiner großen Liebe keinen Kummer bereiten. Es tat ihm in der Seele weh, sie so leiden zu sehen, während er seine Tränen tapfer unterdrückte.

      Als er beim Abschied ihre zarten, kleinen Hände in seinen Händen hielt, überkamen ihm Zweifel. Ihm wurde mit einem Schlag bewusst, dass ihre zarten Hände zwar seinem Körper das höchste Wonnegefühl bereiteten, aber, im Gegensatz zu Martha, nie in Erde gewühlt, nie gepflügt, geeggt und gesät hatten, nie ein Huhn zum Essen geschlachtet, keine Kühe gemolken oder den Stall ausgemistet hatten. Sie hatte bisher mit Tieren, Wachstum und Gedeihen einer Saat in der Natur nichts zu tun gehabt.

      Irene hatte nie einen dreckigen, stinkenden Stall von innen gesehen, nie von früh bis spät bei jedem Wind und Wetter, egal ob die Schmerzen glousten (klopften), im Freien gearbeitet. Wie oft rieben sich die Bauern abends ihre schmerzenden Stellen mit Vorlauf ein, während die offenen Wunden mit Jod oder Schnaps ausgebrannt (desinfiziert) wurden.

      Würde sie dieses harte, arbeitsreiche Leben überhaupt aushalten? Würden diese zarten Hände jemals hart arbeiten und zupacken können, so wie es Marthas Hände konnten, und dem harten Alltagsleben am Land, unter den kritischen