Christine Feichtinger

Vergängliche Licht und Schatten in den Uhudler Bergen


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bis oben zugedeckt und mit Pergamentpapier verschlossen und zugebunden wurde. Vor seinen geistigen Augen sah er Martha, wie sie das Fleisch konservierte. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, wenn er an diesen köstlichen Schweinsbraten dachte.

      Wie Martha heute wohl aussehen würde, und ob sie ihn noch lieben würde, wenn er ihr von Irene erzählen würde, fragte er sich. Und im selben unbeobachteten Moment nahm er wieder einmal reuig ihr abgegriffenes, zerknittertes Bild aus seinem Brotbeutel, um sich Martha auch stellvertretend als Botschafterin für seine Heimat in Erinnerung zu rufen. Jetzt erinnerte er sich, dass er ihr schon längere Zeit nicht mehr geschrieben und ihren letzten Brief nicht beantwortet hatte.

      In diesem Moment fühlte er ihre Augen anklagend auf ihn gerichtet. Als Irene rief, wie viel Zucker sie in seinen Tee geben sollte, fuhr er auf.

      Verlegen, als würde er, wie ein kleiner pubertierender Junge, bei einer Sünde ertappt, blutrot vor Scham, ließ er das Bild schnell wieder verschwinden, während seine Blicke Irene suchten, um festzustellen, ob sie ihn etwa beobachtet und seine Verlegenheit bemerkt hatte. Sogleich stellte er fest, dass er diese große Liebe nie erfahren hätte, wenn er zuhause bei Martha geblieben wäre.

      Karl und Irene trafen einander so oft es ging. Bisher war ihr Leben in völlig verschiedenen Bahnen gelaufen und nun hatte sich ihr Weg schicksalhaft gekreuzt. Er hatte ihr erzählt, dass er aus dem Gau Steiermark, dem ehemaligen Südburgenland komme, wo seine Familie seit Generationen eine kleine Landwirtschaft mit Feldern, Wiesen, Wäldern und Weingärten und mit Kühen, Schweinen, Gänsen und Hühnern betreibe. Staunend hatte sie ihm zugehört.

      Trotz der widrigen Umstände, dem Tod und Verderben um sie herum, waren sie unsagbar glücklich miteinander, obwohl ihn die ständige Angst, nach seiner Genesung wieder an die Front gehen zu müssen, wie ein dunkler Schatten verfolgte.

      Das junge Liebespaar strahlte vor Glück und ihr Strahlen verbreitete sich auf ihre Mitmenschen wie ein warmer Sonnenschein. Jedermann konnte erkennen, wie Irene durch die Liebe erblühte und hübscher geworden war.

      Trotz der mahnenden Worte ihrer Mutter hatte Irene in ihrem Entschluss keine Sekunde gezögert. Lange hatte sie sich Karl gegenüber verweigert, um ihn näher kennenzulernen und hatte ihm nur Liebkosungen gewährt. Ihre Liebe sollte Zeit haben, um sich zu entwickeln und zu reifen, bis sie ihn gut genug kannte und ihre Liebe auf solider Basis stehen würde, obwohl die ungestillte Sehnsucht und das Verlangen brannten. Ihr Verlangen wurde zunehmend stärker und gewann die Oberherrschaft über ihre edlen Ansichten, bis sie ihre bisher festgefahrene Gesinnung, sich keinem Mann vor der Ehe hinzugeben, verwarf und das höchste Liebesglück erfuhr.

      Reglos lagen sie nach ihrem ersten Liebesspiel mit rasenden Herzen aneinandergeschmiegt, bis sie sich langsam beruhigten. In seltsamer Stille lag sie in seinen Armen und ihr langes, seidiges Haar umschmeichelte seinen Körper. Er streichelte ihr Gesicht und küsste sie sanft. Die Welle, die über Irene hinwegfloss, die all ihr Denken mit sich riss, und nichts als Wollust hinterließ war stärker und mächtiger, als sie es sich erträumen hatte lassen. Sie genoss sein unstillbares Verlangen, die Zärtlichkeiten und seine Erfahrenheit in der Liebe, obwohl sie sich insgeheim fragte, wo er diese Erfahrung gesammelt hatte.

      Aber sie wollte ihr Glück nicht trüben und ihn danach fragen und kein Misstrauen oder Eifersucht aufkommen lassen. Jedwede Störenfriede ihrer Liebe wollte sie im Keim ersticken.

      Er stöhnte und sie schluchzte. Ihre Herzen pochten in ihrer Glückseligkeit, bis sich ihr Pulsschlug beruhigte und sie wieder in die Realität zurückkehrten.

      Nie zuvor hatte Karl eine solche Erfüllung seiner innersten, verborgenen Träume erfahren. Bisher hatte er gedacht, eine solche große Liebe gäbe es nur in den Romanen.

      Sooft es ging, liebten sie sich, als wäre diese Liebe für sie beide zum Rettungsanker bestimmt. Wie gerne vergaß Karl in ihren Armen den Kanonendonner, Tod und Verzweiflung für kurze Zeit, was wie eine Befreiung und Erlösung war.

      Aber immer dann, wenn Karl Ertl sich im höchsten Glückstaumel befand, meldeten sich sofort danach wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel sein schlechtes Gewissen und seine Schuldgefühle ob seiner Untreue gegenüber seiner dörflichen Braut Martha zurück, genauso, als ob böse Geister ihm sein junges Glück missgönnen und sein Vergehen rächen wollten.

      Wie oft war Martha in seinen Todesängsten sein Trost und seine Zufluchtsstätte gewesen und jetzt hatte er sie verraten und abgelegt. Wie bei einem Himmelfahrtskommando wurde er sich seiner falschen hinterlistigen Art bewusst.

      In solchen Momenten der Offenbarung verachtete sich Karl Ertl ob seiner Falschheit und seiner Heuchelei. Insgeheim machte er sich Vorwürfe, denn er hatte Martha Hoffnungen und ewige Treue und Liebe geschworen und das Versprechen auf eine gemeinsame Zukunft gemacht, das für Martha bindend war. Er hatte es gebrochen und vielleicht würde er es nicht erfüllen können. Er betrachtete schuldbewusst ihr Bild, wobei er sie am liebsten platonisch um Verzeihung gebeten hätte.

      Intuitiv spürte Irene öfters, wie sein Blick starr wurde und seine Gedanken in die Ferne schweiften, er oft bedrückt, traurig und schweigsam war, als würde Karl innerlich mit sich selber einen Kampf austragen.

      Worüber er grübelte, konnte sie nicht ahnen, wenn sie ihn darauf ansprach, wich er aus, sodass sie allmählich befürchtete, er würde darüber grübeln, sie zu verlassen.

      Wie oft nahm ihn Irene zärtlich in die Arme, küsste und fragte ihn, worüber er grüble und was ihm Kummer bereite, während sie ihm versicherte, dass sie ihm gerne helfen würde, seine Sorgen zu teilen. Lange verweigerte er die Antwort, die lange in ihm gärte und ihn quälte. Bis Irene eines Nachts nicht locker ließ und es ihm stockend, wie zäher Schleim von den Lippen kam. Er erklärte mit unterdrückter Stimme, er wisse nicht, ob sein älterer Bruder Toni oder sein Vater zuhause wären, da er schon so lange nichts mehr von zuhause gehört hatte und er deshalb zur Anbauzeit im Frühjahr unbedingt zu Hause sein wolle. Und so hatte er, wie viele andere Männer mangels Arbeitskräfte in der Heimat, um Urlaub für das lebensnotwendige Anbauen der Felder angesucht und bewilligt bekommen.

      Er war sich bewusst, dass er wegen seiner Verletzung keine schweren Arbeiten verrichten konnte, aber wenigstens das Pferdegespann anschirren, bespannen und die Zügel in der Hand halten und loaten (lenken) würde er bewerkstelligen können.

      Mit seinen Händen, um Worte ringend, unterstrich er gestikreich sein Ansinnen und sie spürte seine angeborene Erdverbundenheit und seine tiefe Verwurzelung mit seiner Heimat, sodass ihr Urvertrauen zu ihm Bodenhaftung bekam.

      Wohlweislich verschwieg er, dass ihm sein Aufenthalt in der Heimat auch Luft verschaffen sollte für eine Entscheidung, die er jetzt nicht imstande war zu treffen, um Irene zu schonen und sie nicht zu kränken. Er musste versuchen, seine persönlichen Probleme zu regeln und sich Klarheit mit Martha verschaffen. Sein rücksichtsloses Verhalten belastete ihn. „Wenn man zwischen zwei Stühlen sitzt, fällt man durch“, hieß es zuhause im Volksmund.

      Ebenso verschwieg er, dass er zuerst überlegt hatte, einen Brief nach Hause zu schicken, um seinen Eltern von Irene als seiner Braut zu berichten. Oder sollte er sie gleich mitbringen? In seinen kühnsten Träumen hatte er sich auch öfters ausgemalt, Irene zu heiraten und als seine Frau heimzubringen. Aber schnell verwarf er diese Gedanken wieder. Er befürchtete, seine Mutter würde Irene in ihrem Jähzorn und mit ihrem losen Mundwerk verjauken (verjagen). Wenn er Irene ehelichte, wollte er doch so gerne den Segen seiner Familie zu seiner Verbindung, um einen glücklichen Neuanfang zu machen, ohne elterlichen Segen würde seine Verbindung kein Glück bringen. Er konnte Irene hier nicht heiraten, das wäre feig und hinterlistig. An den Verrat an Martha, ihren Eltern und seiner Familie mochte er nicht denken.

      Und so war Karl zur Überzeugung gekommen, dass es das Beste war, allein nach Hause zu fahren, um seine Eltern behutsam auf Irene vorzubereiten, denn er befürchtete den strikten Widerstand seiner Eltern und wusste, dass ihm dadurch viel Ungemach bevorstand. Von der Hoffnung genährt, seine Eltern würden in ihrer großen Freude, ihn wieder lebend und gesund zuhause zu haben, geläutert und gnädiger sein und ihm seine Entscheidung, mit Irene künftig leben zu wollen, nicht in Frage stellen, hatte er diesen Entschluss gefasst.