Anna-Irene Spindler

Schwingen des Adlers


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dass trotz der tiefen Bewusstlosigkeit ein lautes Stöhnen aus dem Mund des Verletzten drang.

      Sophia beugte sich über ihn, strich ihm die wirren Haare aus der Stirn und tastete an seinem Hals nach dem Puls.

      Einer der Männer hob den Kopf. Fragend sah er sie an.

      „Gleichmäßig, aber langsamer und schwächer als noch vor einer Viertelstunde. Außerdem fühlt sich seine Haut deutlich kälter an“, beantwortete Sophia seine stumme Frage.

      Der Mann nickte und meinte zu seinen Kollegen gewandt: „Wir müssen uns beeilen.“

      Es dauerte auch wirklich nur noch ein paar Minuten. Sie hoben ihn in den Rettungsschlitten, zurrten ihn mit Gurten fest und deckten ihn mit Sophias Jacke zu. Einer der Männer lud sich die Ausrüstung auf und stapfte schon voraus zum Hubschrauber. Die beiden anderen bugsierten den Schlitten so erschütterungsfrei es ging hinterher.

      Sophia hob den Rucksack auf, den der Retter achtlos zur Seite geworfen hatte, nachdem er ihn vom Rücken des Verletzten losgeschnitten hatte und folgte den Männern.

      Der zertrampelte Schnee und die beiden großen roten Blutflecken blieben als stumme Überreste des Unglücks zurück, dessen Zeuge sie so unerwartet geworden war. Und auch diese würden in einigen wenigen Augenblicken unter dem stetig fallenden Schnee verschwunden sein.

      II.

      „Ich brauche noch Ihre Personalien für den Bericht.“

      Sophia hob den Kopf und sah die Frau am Empfang unsicher an. Über eine halbe Stunde saß sie jetzt schon hier in der Halle des Krankenhauses, ohne dass irgend jemand von ihr Notiz genommen hatte.

      „Warten Sie in der Halle!“, hatte ihr der Mann von der Bergwacht noch zugerufen, ehe er hinter der Bahre in der Notaufnahme verschwunden war.

      Sie war aus dem Hubschrauber geklettert, hatte sich noch von dem Piloten verabschiedet und war dann schön brav in das Krankenhaus marschiert um zu warten.

      Als ihr die Frau aufmunternd zunickte, stand Sophia auf und ging zum Empfangstresen hinüber.

      „Ich schreibe gerade den Bericht und benötige noch einige Angaben von Ihnen“, sagte die Dame und lächelte sie freundlich an. „Zuerst den Namen und die Anschrift.“

      „Mein Name ist Sophia Römer. Ich wohne in der Vivaldistraße 67 B in München. Die Postleitzahl ist 81247.“ „Und“, fügte sie mit einem kleinen Grinsen hinzu, „Römer schreibt man wie Cäsar und Vivaldi wie Mozart.“

      „Habe ich mir beinahe gedacht“, schmunzelte die Sekretärin, während sie die Angaben in den PC tippte.

      Nachdem Sophia ihr Geburtsdatum und ihren Beruf genannt hatte, wollte sie auch noch den Familienstand wissen.

      „Verwitwet.“

      Die Empfangsdame sah von ihrer Tastatur hoch und warf Sophia einen prüfenden Blick zu ehe sie sich wieder ihrem Bildschirm zuwandte. Diese Antwort hatte sie ganz offensichtlich ziemlich überrascht.

      Ein leises Lächeln huschte über Sophias Gesicht, als sie daran dachte wie schwer es ihr in den ersten Jahren nach Stefans Tod gefallen war, diese Angabe zu machen. Damals waren ihr jedes Mal wieder aufs Neue die Tränen in die Augen gestiegen. Jetzt war es so selbstverständlich für sie wie ihre Anschrift oder ihr Geburtsdatum.

      „Das war es auch schon. Vielen Dank Frau Römer.“

      „Heißt das, dass ich jetzt fertig bin und gehen kann? Der Mann vom Rettungsdienst bat mich hier zu warten. Jetzt weiß ich nicht so recht, was ich tun soll.“

      „Also ich habe alle Angaben, die ich brauche. Aber es ist durchaus möglich, dass die Bergwacht noch etwas Anderes benötigt. Wenn Sie Zeit haben, sollten Sie vielleicht doch noch auf ihn warten. Es wird sicher nicht mehr allzu lange dauern.“

      „In Ordnung“, sagte Sophia und ging wieder hinüber zu den Stühlen.

      Sie setzte sich jedoch nicht, sondern stellte sich direkt vor die Heizung. Sie war vollkommen durchgefroren und hätte Einiges für eine Tasse mit heißem Tee gegeben. Sie schaute sich gerade suchend nach einem Getränkeautomaten um, als am anderen Ende der Halle eine große Tür aufschwang und der Mann von der Bergwacht heraus kam.

      „Hallo Sigrid! Ist sie noch da?“, rief er der Sekretärin zu.

      Diese deutete mit dem Kopf zu Sophia herüber. Jetzt sah auch er sie stehen und kam mit ausladenden Schritten zu ihr herüber.

      „Gut dass Sie noch da sind. Sie haben etwas vergessen“, sagte er und hielt ihr die Jacke entgegen. „Sie ist ziemlich mitgenommen“, fügte er noch hinzu. Es klang fast wie eine Entschuldigung.

      Sophia drehte die dunkelblaue Jacke, die von hässlichen, rotbraunen Blutflecken verunstaltet wurde, hin und her und sagte mit einem Achselzucken: „Das ist nicht so schlimm. Die Reinigung wird das schon wieder hinkriegen.“ „Ich glaube im Eifer des Gefechts haben wir uns noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Thomas Anninger.“ Er streckte ihr seine Hand entgegen und sah sie auffordernd an.

      Erst jetzt nahm sie sich die Zeit ihn eingehender zu betrachten. Er war zwar kaum größer als sie, aber fast doppelt so breit. Sein Gesicht war braungebrannt. Nur um seine Augen zogen sich viele feine helle Linien, die davon zeugten, dass er anscheinend ein sehr fröhlicher Mensch war, der gerne lachte. Die untere Hälfte seines Gesichtes verschwand fast vollständig unter einem dicht wuchernden Bart. Im Gegensatz zu seinen dunklen Haaren war der schon ziemlich grau.

      ‚Er sieht aus wie der leibhaftige Alm-Öhi‘, ging es Sophia durch den Kopf als sie ihm die Hand gab und sich ihrerseits ebenfalls vorstellte.

      „Es ist mir eine Ehre!“ Sein Händedruck passte zu seinem robusten Äußeren. Mit einem Aufschrei entriss sie ihm ihre verletzte Hand und presste sie mit einem lauten Stöhnen an ihre Brust.

      „Lassen Sie mich mal schauen!“ Sein Tonfall duldete keine Widerrede.

      Ohne ihre Reaktion abzuwarten nahm er ihr rechtes Handgelenk und drehte die Handfläche nach oben. Durch den festen Händedruck war der Schorf, der sich zwischenzeitlich gebildet hatte, wieder aufgerissen und an mehreren Stellen sickerte wieder Blut aus der Wunde.

      „Wie ist das passiert?“

      „Ich habe mich beim Graben im Schnee an der Stahlkante seines Skis geschnitten“, klärte ihn Sophia kleinlaut auf.

      „Kommen Sie mit! Das soll sich ein Arzt ansehen!“

      Mit einem strengen Blick schob er den linken Ärmel ihres Pullovers in die Höhe und legte seine Hand auf ihren Unterarm.

      „Mein Gott! Sie sind ja eiskalt!“

      Er zog seine eigene Daunenjacke aus und legte sie ihr über die Schultern.

      „Ist ja auch kein Wunder! Sie sind schon eine Ewigkeit ohne Jacke unterwegs! Warum haben Sie denn nichts gesagt?“

      „Sie hatten ja wohl etwas Besseres zu tun, als sich um eine frierende Tussi mit einem lächerlichen Kratzer zu kümmern“, antwortete sie mit einem schiefen Grinsen.

      Gleichzeitig kuschelte sie sich ganz fest in seine warme Jacke. Er nahm ihr ihre eigene Jacke aus der Hand, fasste sie am Arm und bugsierte sie zu der Tür am anderen Ende der Halle.

      „Du schon wieder!“, rief der Arzt in der Ambulanz, als er den Mann von der Bergwacht hereinkommen sah.

      „Schau dir bitte ihre Hand an. Sie hat Mark aus dem Schnee gebuddelt und sich dabei verletzt.“

      Der Arzt wusch sich die Hände, bat Sophia sich auf die Liege zu setzen und nahm dann ihre Handfläche in Augenschein.

      „Nur mal so nebenbei: Wie kann man sich denn im frischen Pulverschnee einen so tiefen Schnitt zuziehen?“, fragte er neugierig, während er ihre Hand verarztete.

      „Ich habe mich mit der Stahlkante seines Skis angelegt.“ Und nach einer kurzen Pause fuhr