zu antworten, legte er erneut einen Arm um sie. Sein Finger fand ihren Mund, strich über die Lippen und drang dann gewaltsam in ihn ein.
Anni war versucht, ihn zu beißen, doch der Schock dieser Geste ließ sie nur reglos wimmern.
Sein Finger schmeckte salzig und metallisch, als klebte Blut daran, während er in eindeutiger Geste in ihren Mund fuhr, und wieder hinaus. Er lachte leise in sich hinein, als sie ein Würgen nicht unterdrücken konnte.
Dann packte er plötzlich in ihr Haar und riss ihren Kopf hoch, wieder hatte er das Messer gezogen und wieder drückte er die Spitze in ihre Kehle.
»Ich habe deine Schwester«, haucht er ihr ins Ohr, als wollte er sie mit diesen Worten verführen. »Sei lieber brav, oder ich töte euch beide.« Es war ein Versprechen aus seinem Mund, ein grausames Versprechen, gesprochen mit der honigsüßen Stimme eines Wahnsinnigen.
»Bitte«, weinte Anni, »tun Sie uns nichts, mein Vater wird Ihnen alles geben, was sie wollen, nur tun Sie uns nichts! Ahhh...«
Sein Griff wurde fester und er zog ihren Kopf mehr in den Nacken, sodass Anni auf Zehenspitzen tänzelte und nicht einmal wagte, zu schlucken, weil das Messer sonst in ihre Kehle geritzt hätte.
»Weißt du, was ich mit dir machen werde, Anni?«, fragte er sie flüsternd und mit verheißungsvoller Stimme. »Ich werde dich aufschlitzen«, erklärte er leise, als würde er ihr sagen, dass er sie zum Shoppingtag ins Einkaufzentrum einladen würden. Völlig emotionslos. Vollkommen kalt. »Ich werde dich aufschlitzen, von der Kehle bis zum Bauchnabel, und in deinem Blut baden.«
2
Der grelle Blitz erleuchtete für den Bruchteil eines Augenblicks das Innere der Wohnung, danach wurde es wieder stockfinster im Raum.
Dem Blitz folgte ein ohrenbetäubendes Donnern aus den Wolken, die dunkel und schwer über der Stadt hingen, als wollten sie hinabstürzen und alles verschlingen.
Er erwachte, als das Gewitter schon voll im Gange war. Der Donner hatte ihn erschrocken, doch sein schnell schlagendes Herz beruhigte sich wieder, als er erkannte, dass für den Lärm nur das Wetter verantwortlich war. Er vertraute darauf, dass die vier Wände und das Dach ihn und seine materiellen Güter vor dem Unwetter schützen würden, immerhin bezahlte er auch monatlich eine ordentliche Summe Geld für die schicke Wohnung.
Müde rieb er sich die Augen und warf einen Blick auf seinen Wecker. Der schwarze Bildschirm, wo sonst rote Zahlen leuchteten, ließen ihn erkennen, dass der Strom ausgefallen war.
Fluchend richtete er sich auf. Zum Glück hatte der Donner ihn geweckt! Sonst hätte er vermutlich verschlafen.
Wo war sein Smartphone? Er musste den Wecker stellen.
Bevor er die Decke zurückschlug und aufstand um es zu suchen, tastete seine Hand wie gewöhnlich erst einmal die andere Bettseite ab.
Er stockte, als er sie leer und kalt vorfand. Verwundert fuhr er herum, als in jenem Moment erneut ein Blitz den Raum erhellte, und er erkannte, das neben ihm die Decke zurückgeschlagen und das benutzte Kissen leer war.
Wo war der andere?
Seltsam, für gewöhnlich war er es, der nachts ständig erwachte und umherwanderte. Oder alle paar Stunden seine Blase entleeren musste.
Vielleicht hatte das Gewitter den anderen geweckt.
Ein Klappern aus der Küche erklang, ähnlich dem, wenn man einen Topf hervorholt, der zwischen anderen Töpfen eingeklemmt gewesen war. Er schmunzelte, in Erwartung, dass seine Nase in weniger als einer Minute erhitzte Milch riechen würde. Vermutlich war der andere der einzige Mensch in der Stadt, der seine heiße Schokolade noch auf dem Herd zubereitete – oder sie überhaupt selbst zubereitete statt ein Pulverpäckchen zu benutzen.
Die Blitze kamen plötzlich häufiger, schneller hintereinander. Als habe das Unwetter beschlossen, sich nun vollends zu entladen.
Nicht die Suche nach seinem Handy trieb ihn aus dem Bett, sondern das Sehnen nach Gesellschaft, nach Zweisamkeit, und der Drang, das Unwetter gemeinsam auszusitzen.
Barfuß und nur mit einer Boxershorts bekleidet, tapste er aus dem Schlafzimmer, als es erneut blitzte und das grelle Licht ihm den Weg zeigte.
Er rief den Namen des anderen, doch der Donner verschluckte seine Stimme.
Als er Glasscherben klirren hörte, blieb er verwundert stehen. Das Geräusch war aus dem Wohnzimmer gekommen.
Hatte der Wind etwas durch die Scheiben geweht?
Hoffentlich übernahm der Vermieter den Schaden. Hatte er eine Versicherung abgeschlossen?
Verdammt, er wusste es gar nicht mehr ...
Doch als er im Wohnzimmer ankam, zeigten ihm die grellen Blitze, dass die Balkonfenster scheinbar wie von selbst zerbarst waren. Kalter, stürmischer Wind zog durch die zerstörten Scheiben, die weißen Vorhänge wehten im Wind und verknoteten sich. Der weiße Flauschteppich war vom herein gewehten Regen vollkommen durchnässt. Es goss wie aus Eimern, sodass auf dem kleinen Balkon ein kleiner See entstanden war, der nun ungehindert eindringen konnte. Glasscherben glitzerten auf dem Wohnzimmerboden.
»Verdammt«, fluchte er und ging auf den Schaden zu. Als er um die weiße Echtledercouch herumging, erkannte er dann das Blut auf dem Teppich.
Versteinert blieb er stehen.
Es war nicht wenig. Dunkelrot, in der Finsternis fast schwarz, wie Schlick, nur wenn es blitzte konnte er die grauenhaft rote Flüssigkeit erkennen, die ihm den Magen umdrehen ließ.
Er konnte kein Blut mehr sehen seit ... Nun, seit langem nicht mehr.
Erneut nannte er den Namen des anderen, fragend, diesmal flüsternd. Erneut schluckte der Donner seine Stimme.
Die Blutspur führte vom Wohnzimmer in die Küche. Eine breite, lange Spur aus Blut, als habe jemand ein Schwein auf dem Teppich geschlachtet und es in die Küche gezerrt.
Sein Herz raste, als wolle es auch wie das Glas der Balkontüren zerbersten, während er mit steifen Schritten der Spur folgte. Nun hörte er auch das Poltern in der Küche, als räumte jemand seine Schränke aus.
Oh nein, nein. Nicht schon wieder.
Er wusste, was ihn erwartete, er wusste es. Dennoch ging er weiter. Immer einen Schritt näher auf die Küche zu. Die Schwingtür war aus weißem Holz, der blutige Handabdruck darauf hob sich selbst in der Dunkelheit der Nacht von ihr ab, wie ein Schild, wie eine Warnung.
Er stieß sie trotzdem auf.
Erleichterung erfasste ihn, als er den anderen mit dem Rücken zu ihm am Waschbecken stehen sah. Wasser rauschte, das aus dem Hahn lief.
Er nannte seinen Namen, aber der andere rührte sich nicht.
»Was ist los? Was ist passiert?« Er ging auf den reglos stehenden Mann zu. Das dunkle, lockige Haar schien nass zu sein.
Hatte er den Schaden angerichtet? Hatte er sich verletzt?
Vielleicht stand er unter Schock.
Er streckte eine Hand aus und ergriff die Schulter, um ihn zu sich umzudrehen. »Hey –« Fassungslos brach er ab, als er mit aufgerissenen, panischen Augen angesehen wurde. Gleichzeitig blickten sie hinab auf das Messer, das in der Brust des anderen steckte.
Fassungslos ließ er den Griff los, als er erkannte, dass er das Messer in der Hand hielt.
Blut klebte an seinen Fingern, seinen Armen, je mehr er an sich hinabsah, je mehr Blut entdeckte er.
Der andere brach zusammen, seine Augen blickten leblos zur Decke, während sich eine Blutlache unter ihm ausbreitete. Es wurde immer mehr, als wollte es die gesamte Küche fluten.
Er taumelte zurück. »Oh nein! Oh nein!« Er stieß gegen die Küchenzeile, seine Hände hinterließen blutige Abdrücke auf den weißen Schränken.
»Hast