K.P. Hand

Herzbrecher


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Er wurde panisch, als er sie hörte.

      »Hast du geglaubt, du könntest es vergessen?«

      »Franklin«, hauchte er voller Furcht. Er drehte sich um die eigene Achse, erkannte aber nur seine leere, blutige Küche.

      Sein Blick blieb an der Leiche haften, er bekam keine Luft mehr.

       »Norman.«

      Er fuhr herum, und da stand er. Mit einem breiten Grinsen, das nur ein Wahnsinniger aufsetzen konnte. In der Hand ein blutiges Messer, dass er triumphal hochhielt.

      »Siehst du: Es steckt auch in dir!«, rief er höhnisch, ehe er in irres Gelächter ausbrach.

       »Norman!«

      Zusammenzuckend erwachte er aus seinem Alptraum, als die Stimme seines Kollegen zu ihm durchgedrungen war. Er bemerkte nur am Rande, dass Jan auch seine Schulter rüttelte.

      Blinzelnd richtete sich Norman im Beifahrersitz auf und sah sich verwirrt um. »Ja, was?«

      »Du bist eingeschlafen. Wir sind da«, berichtete Jan und nickte aus der Windschutzscheibe.

      Norman folgte dem Nicken und konnte kaum etwas erkennen. Durch den starken Regen war es, als befände sich die Windschutzscheibe unter einem Wasserfall, und Jan machte sich nicht die Mühe, die Scheibenwischer einzuschalten.

      Sie parkten in einer Seitengasse, das konnte er durch den Regen erkennen. Es war später Nachmittag, doch das Gewitter tauchte die Stadt in graues, fahles Licht, als stünde die Dämmerung kurz bevor, Laternen leuchteten schwach um gegen das trübe Licht anzukommen. Die Bürgersteige waren menschenleer.

      Unmittelbar vor ihnen, nur wenige Schrittlängen entfernt, konnten sie in das Schaufenster eines Antiquitätenladens blicken. Gelbes, warmes Licht leuchtete dahinter, die Tür war wegen des Regens geschlossen, doch ein ›Geöffnet‹-Schild hing schief in der Scheibe.

      Norman rieb sich erst einmal die müden Augen.

      Jan betrachtete ihn dabei wie üblich kritisch. »Wann hast du das letzte Mal richtig geschlafen?«

      Gute Frage. Er wusste es nicht.

      Wie sollte er auch schlafen, wenn ihn ständig diese Alpträume quälten. Anfangs hatte er sie noch aushalten können, weil er geglaubt – gehofft – hatte, dass sie mit der Zeit einfach verschwinden würden. Aber Jahre waren seither vergangen und noch immer quälten ihn diese Träume. Sie waren sogar noch schlimmer geworden.

      Jans Lippen wurden missbilligend schmal, als Norman keine Antwort gab. Er sagte mehr warnend als fürsorglich: »Du solltest öfter zu diesem Arzt gehen.«

      »Mir geht es gut!«, warf Norman sofort ein. »Ich habe vergangene Nacht lange gearbeitet, das ist alles.«

      Er sah Jan ins Gesicht und sie lieferten sich ein Blickduell, das Norman nie und nimmer gewinnen konnte. Nicht mit diesen tiefen violetten Augenringen und den dicken Tränensäcken, die ihn seit vielen Monaten täglich im Spiegel entgegensprangen.

      Wenn ihm sein scheußliches Aussehen schon auffiel, dann fiel es anderen erst recht auf.

      Umso mehr fühlte er sich bei Jans ausgeruhtem und jugendlichem Aussehen wie ein alter verbrauchter Kleidersack, der dringend entsorgt werden musste.

      Jan war nicht sehr viel jünger als Norman, aber ab einem gewissen Alter waren fünf, sechs, sieben Jahre wie Jahrzehnte. Zumal Jan wirklich wie glatt gebügelt aussah. Norman war neidisch auf die scheinbar ewige Jugend seines Kollegen. Eingehend betrachtete er die großen blauen Augen, den Kussmund, die frisch rasierten Wangen und die vollen, kräftigen Haare, die Jan seit einigen Wochen blondiert trug.

      Jan war einer dieser Kerle, die ständig ihre Haarfarben wechselten. Norman hatte ihn als schwarzhaarigen Mann kennengelernt, über die Jahre hatte er haselnussbraun, mokkabraun, goldbraun, rotbraun, Rot und sonst alles was die Farbpalette hergab, ausprobiert.

      Norman blieb seiner natürlichen dunkelbraunen vollkommen banalen Haarfarbe treu. Aber immerhin waren es volle Haare.

      Na ja, noch.

      Allerdings musste er gestehen, dass er sein Haar auch schon einmal hatte färben wollen. Und zwar als er bei sich das erste graue Haar entdeckt hatte. Doch jemand ganz spezielles hatte ihn davon abgehalten und stattdessen das einzelne Haar einfach herausgezupft, mit den Worten, dass Norman ein Idiot sei, weil er Panik vor dem Alter hatte. Dabei wären vereinzelte graue Haare noch kein Grund, sich zum alten Eisen zu zählen. Norman war ihm sehr dankbar dafür, ihn davon abgehalten zu haben, die Haare zu färben, denn seither hatte er kein graues Haar mehr entdecken können.

      Na ja, nicht auf dem Kopf jedenfalls.

      Nachdem Norman ausgiebig über Haare und Haarfarben im Speziellen nachgegrübelt hatte, beendete Jan das Blickduell mit einem missmutigen Verzerren seiner Mundwinkel und beschloss offenbar, dass es ohnehin sinnlos war, Norman Vorwürfe machen zu wollen.

      Und es war sinnlos. Norman wusste ganz genau, dass er nicht bei der Sache war, weil er eben unter Schlafmangel litt. Aber er konnte rein gar nichts dagegen tun, und er würde ganz sicher nicht diese verdammten Tabletten nehmen oder noch öfter zu diesem Psychiater gehen, dessen Dienste er ohnehin nur in Anspruch nahm, weil seine Vorgesetzten es ihm vorschrieben.

      Wenn er nicht regelmäßig zu den Sitzungen erschien, würden sie ihn suspendieren. Und das konnte er keinesfalls riskieren, im Moment war die Arbeit das einzige, was ihn vor dem Durchdrehen bewahrte. Außerdem musste er unbedingt noch diesen einen dicken Fisch fangen, bevor er überhaupt darüber nachdachte, vielleicht etwas kürzer zu treten.

      Nicht für sich wollte er diesen einen Verbrecher noch fangen, nicht für seine Karriere, die ohnehin schon lange zu Ende war, sondern für den anderen. Wegen ihm hielt er sich einigermaßen aufrecht, um ihn vor diesem dicken Fisch zu schützen.

      Aber Norman hatte versagt, in all der Zeit hatte er noch immer nichts erreicht. Es gab nichts in seinem Leben, was ihm mehr zusetzte, als die Tatsache, nichts zustande gebracht zu haben; nicht einmal die Alpträume. Er hatte das Gefühl, ein Nichtsnutz zu sein, ein Versager. Er fühlte sich ... hilflos, machtlos.

      »Gehen wir.« Jan stieg aus, ohne darauf zu warten, ob Norman vielleicht Einspruch erheben würde.

      Zu Anfang ihrer gemeinsamen Zeit, war es noch anders gewesen. Der Jüngling hatte sich Norman angepasst, sich seinem Urteil gebeugt. Doch je mehr Routine aufgekommen war, je mehr hatte Norman sich seinen inneren Dämonen hingeben, was letztlich zu dem Ergebnis geführt hatte, das Jan alles übernahm und Norman quasi nur noch mitgezogen wurde.

      Es sei denn, es ging um den einen wichtigen Fall, bei dem sie beide einfach nicht weiterkamen.

      Und auch diese Spur würde wieder ins Leere führen. So wie alle Spuren die Norman seither verfolgt hatte. Er musste es trotzdem überprüfen. Nicht, weil er große Hoffnung hatte, letztlich doch noch etwas zu erreichen, sondern einfach, weil er verzweifelt war und den Fall nicht ablegen wollte.

      Er musste es tun. Niemand außer ihm könnte es tun. Nicht etwa, weil er sich für den besten hielt – das war er schon lange nicht mehr – sondern weil er wusste, mit welcher Art Typen sie in diesem Fall zu tun hatten. Keine Kleinkriminellen, keine Diebe, keine Möchte-Gern-Gangster, keine Täter, die alleine operierten. Nein, sondern Männer des organisierten Verbrechens. Waffenhändler, Drogendealer im großen Stil ... Sklavenhändler. Männer mit viel Geld, viel Macht und unzähligen kleinen Spitzeln und Maulwürfen. Sie lachten über die kleinen Ermittler bei der Polizei, weil sie wussten, dass sie rein gar nichts tun konnten. Nicht solange Geld die Welt regierte. Und das würde sich nie ändern.

      Und Norman war leider einer dieser blöden Bullen, die trotzdem nicht aufgeben wollten. Selbst dann nicht, wenn es ihm langsam den Verstand raubte.

      Norman stieg aus und warf Jans Wagentür etwas zu grob zu, weshalb ihm sein jüngerer Kollege einen warnenden Blick zu warf.

      Norman beachtete ihn nicht, er richtete den Kragen seines Ledermantels auf und zog den Kopf ein um sich etwas vor dem