K.P. Hand

Herzbrecher


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und durchlöcherte Jeans. Er war jung, noch kein richtiger Mann, mehr ein Kind, ein Junge. jedenfalls für Norman.

      Norman schätzte ihn auf etwa siebzehn, vielleicht auch erst fünfzehn Jahre. Heutzutage war es schwer zu sagen, die Jungs sahen immer jünger aus und die Mädchen immer älter.

      Eigentlich war nichts auffällig an dem Jungen, weshalb Jan den Blick wieder abwandte und weiter aß, aber Norman hatte die nervösen Augen des Jungen bemerkt und beobachtete ihn kritisch.

      Die stechend grünen Augen begegneten Normans Blick. Augenblicklich wurden die scharfkantigen Züge des Jungen hart, er zeigte eine deutliche Abneigung gegen die Betrachtung.

      »Der hat was vor«, sagte Norman leise zu Jan, ohne den Blick von dem Jungen abzuwenden.

      Jan schluckte den letzten Bissen hinunter und sah sich wieder über die Schulter.

      Die Hände des Jungen waren tief in den Jackentaschen vergraben, Norman vermutete, dass er etwas dort versteckte, oder umklammerte. Eine Waffe vielleicht. Ein Messer?

      Der Junge wurde durch Normans und Jans genauer Beobachtung immer nervöser. Als dann schließlich die vollbusige, rothaarige Bedienung des Ladens hinter der Theke auftauchte und sich freundlich erkundigte, was der Kunde denn haben möchte, machte dieser auf dem Absatz kehrt und verließ in großer Eile den Laden.

      Sehr verdächtig.

      Jan sagte: »Ich zahle.« Und holte sein Portmonee hervor.

      Norman nickte und stand sofort auf, um dem jungen Mann zu folgen.

      Als er in den Regen hinaustrat, war dieser wie ein Vorhang, der sich immer wieder vor die Zielperson schob und sie beschützte.

      Norman folgte mit etwas Abstand, aber natürlich wusste der Junge, dass jemand hinter ihm herging, trotz des Regens, der laut auf die Dächer der umstehenden Häuser niederschlug.

      Der Junge wurde immer schneller, Norman passte sein Tempo an. Irgendwo hinter sich hörte er dann auch Jans Schritte.

      Norman blieb an dem Jungen dran, irgendetwas führte er im Schilde. Vermutlich hatte er den Laden ausrauben wollen. Keine Seltenheit in dieser Gegend. Norman wollte ihn abfangen und verhindern, dass er es zu einem späteren Zeitpunkt erneut versuchte.

      Nicht, dass es Norman kümmerte, ob irgendwo irgendwelche Kassen leergeräumt wurden, wer so viel kranken Mist gesehen und erlebt hatte wie Norman, dem war gestohlenes Geld egal. Aber solche nervösen Kleinkriminellen machten oft den Fehler, in ihrer Ungeschicktheit rumzuballern und ernsthaft Menschenleben zu gefährden.

      Der Junge steuerte auf eine Sackgasse zu und Norman sah sich im Vorteil. Er holte auf und rief dem jungen Mann hinterher: »He! Stehen bleiben!«

      Der Junge rannte sofort los, als habe er sich seinen Fluchtplan bereits ausgelegt und nur auf den geeigneten Moment gewartet.

      Norman sprintete ihm nach, direkt in die Sackgasse hinein. Vom Regen verursachter Dunst stieg dort auf und behinderte seine Sicht. Er versuchte, den Schritten des Flüchtigen mit dem Gehör zu verfolgen, doch es klang, als würde er sich plötzlich wieder nähern ...

      Mit voller Wucht rannte der Junge in Norman rein. Doch Norman war größer, muskulöser, er kam nicht einmal ins Schwanken, und packte den Jungen an den Schultern.

      Jan kam angerannt und schnappte sich den Jungen sogleich.

      Aber Norman spürte, dass der junge Mann gar nicht mehr vor ihnen fliehen wollte. Mit aufgerissen Augen starrte er in die Gasse und stammelte: »D-D-D-Da!«

      Jan konnte dem Flüchtigen ohne Widerstand Handschellen anlegen.

      Norman betrachtete den Jungen verwirrt. »Was ist?«

      Er nickte nur in die Gasse hinein, die von weißem Nebeldunst eingehüllt war, er schien unter Schock zu stehen.

      Norman warf Jan über den Kopf des Jungen hinweg einen verwirrten Blick zu. Jan zuckte auch nur ratlos mit den Schultern.

      Norman beschloss, sich das anzusehen. Er öffnete die Schlaufe an seinem Pistolenholster und behielt die Hand am Waffengriff, während er vorsichtig in die Gasse hineintrat.

      Er hörte, wie Jan mit dem Jungen folgte. Es wäre gut möglich, dass er sie reinlegte und in eine Falle führte, weshalb Norman über die Rückendeckung froh war.

      Und dann begriff Norman, dass, trotz was er alles durchlebt hatte, es immer noch Dinge gab, die ihn schockieren konnten, denn er sah zum ersten Mal in seinem Leben eine ermordete Jungenleiche.

      5

      Während die Leute draußen im Regen froren, schwitzte sich Alessandro in dem Drecksloch, das er Wohnung nannte, seinen hübschen Allerwertesten ab.

      Verdammt war das eine Hitze!

      Müde taumelte er aus dem Bett und ging zur Heizung. Er war letzte Nacht spät nach Hause gekommen, weil er direkt nach seiner Schicht im Restaurant noch in einem dieser Nachtclubs gewesen war. Aber wie jedes Mal, war die Schwulenszene für ihn mehr enttäuschend als berauschend gewesen, weshalb er sich fragte, warum er es immer wieder versuchte. Die zuckenden Lichter, die halbnackten Körper, die zu wummerndem Bass tanzten, waren einfach nicht seine Welt. Vor allem nicht, wenn die heißen Kerle allesamt in seltsamen Unterhosen steckten, die mehr glitzerten als eine Diskokugel.

      Das war nicht Alessandros Welt.

      Also hatte er in einer Ecke gestanden und getan, was er selten bis gar nicht tat: getrunken. Einen überteuerten Cocktail nach dem anderen, um bloß nicht in diese Drecksbude zurückkehren zu müssen.

      Als er nun zur Heizung ging und nachsah, was kaputt war, wünschte er sich, er wäre trotz seiner Abneigung dortgeblieben.

      An der Heizung steckte so ein neumodisches Ding, das digital anzeigte, wie hoch die Heizung gedreht war.

      Wunderbare 35Grad Celsius. Na prima! Das Ding musste kaputtgegangen sein, als er geschlafen hatte. Hätte es nicht einfach ausfallen können?

      Alessandro tippte auf dem Display herum, der daraufhin nur noch höher anstieg. Fluchend griff er nach dem Knauf, um manuell die Heizung auszudrehen, als er diesen plötzlich in der Hand hielt.

      Mit offenem Mund betrachtete er das abgebrochene Stück, ehe er es einfach achtlos auf die Heizung schmiss und liegen ließ.

      Genervt fiel Alessandro die Schultern herab. Na prima! Und nu?

      Er ging zum Fenster und zog es trotz des Regens auf. Einen Moment genoss er es, dass der Wind die kühlen Tropfen hinein und direkt auf seine heiße, verschwitzte Haut wehte ...

      Herschlich so ein Unwetter!

      Er ließ das Fenster offen, nahm seinen Schlüsselbund von der Küchenzeile, den er in der Nacht beim Hereinkommen dort abgelegt hatte, und ging zur Tür. Barfuß und nur in Boxershorts, die ihm halb von seinem Arsch hing, tapste er die morsche Holztreppe des Mietshauses hinunter zu den Briefkästen.

      Er öffnete seinen und holte einen Stapel Briefe heraus. Alle adressiert an einen gewissen Francesco Maggio. Einen fiktiven Mann, den Alessandro sich ausgedacht hatte, um weiterhin in dieser Stadt leben zu können. Nachdem er seinen Bruder verraten hatte, war er gut damit bedient, vor allem vorsichtig zu sein. Außerdem suchte die Polizei nach ihm. Da war es doch ganz gut, sich als Italiener auszugeben, obwohl seine Herkunft spanische Wurzeln hatte. Als einfacher Einheimischer hatte er sich nicht ausgeben können, dafür sah sein Hautfarbton zu südländisch aus.

      Während er die Rechnungen durchsah, und die vielen Mahnungen, weil er weder Strom noch Gas noch Miete seit drei Monaten bezahlt hatte, ging hinter ihm eine Wohnungstür auf.

      Er warf einen Blick über die Schulter und schmunzelte freundlich der alten ergrauten Dame zu, die durch einen Spalt spähte und sofort breit grinste als sie ihn erblickte.

      Es war seine Vermieterin. Sie war um die siebzig. Und sie hatte ein Auge auf ihn geworfen, das wusste er. An jenem Tag, als er sich auf die Anzeige der