K.P. Hand

Herzbrecher


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eingenommen worden war.

      »Du kommst spät.« Mehr sagte er nicht, er sah Norman nicht einmal an.

      Das ärgerte Norman etwas. Er blieb gut zwei Meter von dem anderen entfernt stehen und dachte gar nicht daran, sich zu rechtfertigen.

      Die Wahrheit war, dass er vom Fundort der Leiche bis zum anderen Ende der Stadt zu dieser verlassenen Bahnhofstation, deren Instandsetzung sich die Stadt seit Jahren nicht leisten konnte, schon eine halbe Stunde gebraucht hatte. Und davon abgesehen, hatte er weitere zwanzig Minuten versucht, sein Äußeres ansehnlicher wirken zu lassen, indem er an einer Tankstelle gehalten und sich in den Kundenwaschräumen das Gesicht nass gespritzt hatte.

      Und jetzt sah ihn der andere nicht einmal an.

      Norman vergrub die Hände in seiner Hose. »Du bist wieder da.«

      »Ich war nie weg.«

      Noch immer kein Blick.

      Norman senkte den Kopf. »Ich weiß, ich meinte ja auch, du sprichst wieder mit mir.«

      »Ich würde mich nicht wieder daran gewöhnen.«

      Norman nickte stumm und enttäuscht. Aber was hatte er denn bitte erwartet? Tränen? Ein Feuerwerk der Wiedersehensfreude? Hatte er vergessen, mit wem er es hier zu tun hatte?

      »Wir müssen wirklich reden.«

      Norman sah ihn Hoffnungsvoll an. »Sandro, ich ...«

      »Nicht darüber!« Endlich sah Alessandro ihn an und richtete sich auf. Seine grünen Augen begegneten Normans braunen, dessen Innenleben sich sofort zusammenkrampfte vor Sehnsucht.

      Alessandro Martin, Enio Martins kleiner Bruder, ehemaliger Auftragsmörder, Normans einzig verlässliche Hilfe, als er damals gegen den Sklavenhändler Franklin Bosco ermittelt hatte. Ohne Alessandro hätte Norman den Scheißkerl niemals einbuchten können. Alessandro, dessen Name Norman nicht einmal denken konnte, ohne vor Sehnsucht zu vergehen.

      Als Alessandro ihn endlich ansah, konnte Norman in seinem Blick deutlich erkennen, wie schockierend Normans Anblick für ihn war. Mit offenem Mund sah Alessandro ihn an und blinzelte, als glaubte er, sich in einem Traum zu befinden. Keinem schönen Traum.

      »Du siehst scheiße aus.«

      Norman schnaubte sarkastisch. »Danke für das Kompliment. Ich hatte schon ganz vergessen, wie erfrischend ehrlich du sein kannst.«

      Beinahe gelangweilt lehnte sich Alessandro seitlich gegen das Geländer und zuckte gleichgültig mit einer Schulter. »Ich bin nicht hier um dein Aussehen zu bewundern.«

      »Anders als früher, hm?«, versuchte sich Norman an einem Flirt. Doch von seinem früheren Charme war nicht mehr genug übrig um Alessandro daran zu erinnern.

      Dennoch lag auf Alessandros schmalen Gesichtszügen nun ein leichtes Lächeln, das er jedoch schnell mit einem kurzen Schütteln seines Kopfes verschwinden ließ, als habe er sich rechtzeitig besonnen.

      Norman musterte ihn eingehend. Er sah aus wie immer. Groß und schlank. Schlaksig, drahtig. Stramme aber schlanke Muskeln verborgen unter einem locker sitzenden, einfachen, schwarzen T-Shirt, kräftige und lange Beine, die von einer perfekt sitzenden Jeans umschlungen waren. Seine Augen leuchteten grün und waren von dunklen Wimpern umrundet, sein Haar war noch immer braunschwarz, seine Wangen frisch rasiert, seine Lippen hatten eine kühle Blässe, die einladend wirkte. Genau wie vor fünfzehn Jahre, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren, damals, als Norman ihn verhört hatte.

      Wie viel Zeit seither vergangen war. Wie viel geschehen war. Die Geschehnisse vor sieben Jahre hatten sie zusammengeführt und zusammengeschweißt, trotz, dass sie zu Anfang gegeneinander gespielt hatten. Jetzt war die ganze Welt hinter Alessandro her, weil er aufgeflogen war, obwohl er Franklin gefasst hatte, nicht Norman.

      Und obwohl Norman für das Gesetzt arbeitete, schützte er Alessandro und versuchte, alles in seiner Macht Stehende, um diesen vor seinem Bruder Enio Martin zu beschützen. Denn Alessandro wurde von beiden Seiten gejagt, da er zwar ein ehemaliger Verbrecher aber trotzdem ein Verräter war. Er hatte alle verraten. Er hatte auf Freiheit gehofft, die er nicht bekommen hatte. Für ihn war alles umsonst gewesen. Er lebte einen Alptraum, das wusste Norman.

      Norman fühlte sich deshalb schuldig, denn er schuldete Alessandro alles. Umso schlimmer war für ihn, dass er nach sieben Jahren immer noch nichts erreicht hatte, um ihm zu helfen.

      Es war, als könnte er diese offene Rechnung zwischen ihnen nie begleichen. Dabei war er der einzige, der es als offene Rechnung ansah. Alessandro hatte nie etwas von ihm verlangt.

      Mit einem schüchternen Blick bemerkte Norman: »Du trägst die Haare wieder glatt.«

      Alessandro hatte von Natur aus gelocktes Haar. Norman hatte es immer gemocht. Vor allem, wie es die letzten sieben Jahre immer halb über seinen Ohren und in seiner Stirn gehangen hatte. Aber auch die glatt geföhnten Haare mit der Spitze in der Stirn und den abrasierten Seiten standen ihm unheimlich gut. So gut, das Normans Haut vor Begierde zu prickeln begann.

      Alessandro rieb sich den Nacken, als müsste er überprüfen, was Norman meinte. »Ja ... ich dachte, ob gelockt oder glatt, wenn ich meinem Bruder auf der Straße begegne, erkennt er mich ohnehin, egal, welche Frisur ich trage.«

      Norman lächelte ihn schüchtern an. »Du siehst gut aus.«

      »Was man von dir nicht behaupten kann.«

      Autsch. Okay, Norman hatte Ablehnung verdient.

      Er atmete tief durch, um nicht wütend zu werden, und sah Alessandro dann wieder bemüht ruhig ins Gesicht. »Du wolltest mich sprechen. Hast du Probleme? Brauchst du Geld?«

      Schockiert sah Alessandro ihn an. »Was? Nein!«

      Gelogen! Norman wusste, dass es gelogen war. Alessandro brauchte immer Geld. Mit dem, was er in diesem kleinen Chinarestaurant als Koch verdiente, konnte er nicht einmal die halbe Miete zahlen.

      »Wie viel?«

      »Ich will dein Geld nicht«, zischte Alessandro eingeschnappt. »Und ich brauche es auch nicht.«

      »Das wäre mir neu.«

      »Ich habe nie Geld von dir verlangt!«

      »Wer spricht denn von ›verlangen‹, ich biete es dir an!«

      Alessandro drehte sich schnaubend fort und zeigte Norman seine ansehnliche Rückseite.

      Norman breitete die Arme aus und fragte verständnislos: »Stehst du lieber auf der Straße als mich um Geld zu bitten?«

      »Ganz ehrlich?« Alessandro wandte sich wieder zu Norman um. »Ja!«

      Auch das tat weh.

      Entmutigt fielen Normans Schultern herab. »Hasst du mich denn so sehr?«

      Sie sahen sich einen Momentlang in die Augen.

      Alessandro wandte sich als erster ab und kratzte sich unbehaglich an der Schläfe. »Pass auf«, begann er und wechselte das Thema, »ich wollte lediglich wissen, ob es etwas Neues über meinen Bruder gibt. Bei den Ermittlungen gegen ihn, meine ich.«

      Mit einem Mal fühlte sich Norman wieder wie der größte Versager. Es war schon schwer genug sich selbst und Kollegen gegenüber eingestehen zu müssen, nichts erreicht zu haben, es vor jemanden zuzugeben, den man sehr mochte und vor dem man immer gut dastehen wollte, war geradezu Folter.

      Beschämend schüttelte Norman den Kopf. »Nein. Nichts.«

      Alessandro schloss gequält die Augen.

      Norman wandte sich ab, um die Sorgen des anderen nicht vor Augen zu haben. Er lehnte sich so wie Alessandro zuvor mit den Armen über das überwucherte Geländer und blickte hinab auf die stillgelegten Gleise. »Zuletzt überprüften wir einen Franco Pisani. Schon mal von ihm gehört?«

      Alessandro schüttelte den Kopf, als Norman sich über die Schulter blickte.

      Norman nickte. »Habe