K.P. Hand

Herzbrecher


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inhalierte tief, als er die Kippe mittels Streichholz angezündet hatte. Das brennende Stöckchen warf er ins Waschbecken, wo es im Abfluss für immer verschwand.

      Er rauchte und Qualm staute sich im Waschraum, doch außer ihm war niemand anwesend, der sich beschweren hätte können.

      Norman hatte die Kippe zu ende geraucht, als Axel endlich wieder zu hören war.

      »Er sitzt in seiner Zelle.«

      »Bist du dir sicher?«, fragte Norman. »Du musst dir absolut sicher sein!«

      Nun seufzte Axel, als habe er genug davon. Dennoch klang seine Stimme einfühlsam, als er Norman versprach: »Er kann hier nicht raus, Norman. Franklin ist eingesperrt. Er kann niemals unbemerkt heraus. Und weil er seine Kumpanei verraten hat, gibt es niemanden, der ihn rausholen wollen würde.«

      Das stimmte. Die verratenen Verbrecher wollten Franklin Bosco nicht rausholen, sie wollten ihn töten und haben dahingehend einige Male Männer eingeschleust um Franklin im Gefängnis zu ermorden, vermutlich, damit er nicht noch mehr ausplaudern konnte.

      Bisher hatte es niemand geschafft.

      Noch einmal sagte Axel: »Er kommt nicht raus.«

      Für einen Moment konnte Norman sich vorstellen, wie sein Freund Axel mit seinem korpulenten Körper in einem Stuhl saß, wie er die Ellenbogen auf die Tischplatte stützte und sich das hellbraune Haar aus der wulstigen Stirn strich, während er überlegte, wie er Norman begreiflich machen konnte, dass er keinen Ausbruch zu befürchten hatte.

      Norman nickte, obwohl Axel es nicht sehen konnte. »Gut. Okay. Danke.«

      Er legte auf und wollte sich schwören, nie wieder anzurufen, sich nie wieder von seiner Angst leiten zu lassen. Aber die Wahrheit war, dass er ganz sicher wieder anrufen würde.

      Es war absolut sicher.

      Als er aus dem Waschraum trat und sich einen Weg durch die Bänke und Tische schlängelte, die ganz im Stil eines 50er Jahre Diners aus den USA gestaltet waren, saß Jan schon an einem Tisch mit ihrer Bestellung vor der Nase und hatte den Kopf zwischen einer erhobenen Zeitung vergraben, die er eingehend studierte.

      Als Norman ihm gegenüber Platz nahm, faltete Jan die Zeitung zusammen.

      »Gute Ergebnisse?«, erkundigte sich Norman, um Interesse zu heucheln.

      Jan schüttelte grimmig den Kopf. Er war nicht gut drauf, seit sein bevorzugter Fußballverein mies spielte.

      Norman selbst interessierte sich nicht sonderlich für diesen Sport. Er wusste nicht einmal, welchen Verein Jan überhaupt anfeuerte. Er war immer zu sehr mit sich selbst beschäftig. Anfangs war es um seine Karriere gegangen, um Ruhm und Ehre, nun ging es nur noch darum, sich selbst zu bemitleiden. Er wusste das, der andere hatte es ihm oft genug vorgeworfen. Aber so sehr er es auch versuchte, er schaffte es nicht, damit aufzuhören.

      Jan widmete sich seinem Essen. Er biss ein großes Stück von seinem Hähnchenbrustfilet Sandwich ab und sah dann kauend aus der Fensterfront zu seiner Linken.

      »Was für ein Sauwetter«, nuschelte er mit vollem Mund.

      Norman brauchte nicht hinaus zu sehen um zu wissen, dass es immer noch wie aus Eimern goss, zudem hatte es zu blitzen angefangen, genau wie in seinem Traum.

      Während Jan weiter aß, betrachtete Norman den Teller vor sich ohne sein Essen anzurühren. Er war nicht hungrig, er hatte seinen Appetit verloren seit ... Seit er selbst sein Leben zerstört hatte.

      Norman hob den Blick und betrachtete eingehend Jan. Sein Kollege und Freund hatte ein männliches, markantes Gesicht, genau wie Norman, nur jünger. Viel jünger. Glatte, ebenmäßige Züge, keine Falten, nicht einmal Grübchen um die Mundwinkel. Jan besaß schöne volle Lippen, einen echten Kussmund, und strahlend blaue Augen die von langen und hellen Wimpern umrandet waren. Jan war schön. Was sollte man mehr wollen als einen schönen und jungen Mann, der auch noch was im Köpfchen hatte?

      Norman sah Jan bedauernd an. »Es tut mir leid.«

      Kauend sah Jan auf und runzelte die Stirn. Er griff nach seiner Cola und trank einen Schluck daraus, um den Bissen runter zu spülen. »Hm. Was denn?« Er stellte das Glas wieder ab und aß weiter, als erwartete er keine Erklärung. Oder als wüsste, was Norman antworten würde.

      »Wegen heute«, sagte Norman schuldbewusst.

      Jan beäugte ihn kritisch. »Was meinst du genau? Das ich mal wieder zusehen durfte, wie du Bosco in blindem Wahn zusammenschlägst, und ich dich mal wieder decken musste, damit du deshalb nicht gefeuert wirst? Oder doch eher, weil wir unseren Abend jetzt damit verbringen müssen, diese Zeitverschwendung in dem Antiquitätenladen zu einem ellenlangen und sterbenslangweiligen Bericht zusammen zu fassen?«

      Norman ersparte es sich, etwas zu erwidern.

      Jan und er sahen sich eine Weile schweigend an.

      Dann seufzte Jan und lenkte ein. »Schon gut, vergiss es einfach.«

      »Du wolltest ihn auch mal unbedingt fangen«, erinnerte sich Norman. »Enio Martin.«

      »Ich sag dir jetzt genau das, was du mir damals gesagt hast, als ich seinen Bruder Alessandro jagen wollte: Entweder er ist ein verdammtes Genie oder wirklich unschuldig.«

      Diese Worte waren für Norman wie ein Brett vor den Kopf gestoßen zu bekommen. »Das glaubst du doch nicht um Ernst!«

      »Es ist vorbei«, betonte Jan streng. »Leg den Fall ab, Norman.«

      »Aber ...« Norman brach ab, weil er nichts sagen konnte, um Jan vom Gegenteil zu überzeugen. Enio Martin war alles andere als ein unschuldiger Mann, er handelte mit Waffen, mit Drogen, unterhielt ein paar Killer und mordete selbst, Norman wusste es aus erster Hand, doch das konnte er Jan nicht sagen. Nicht, ohne sich selbst zu belasten.

      Seufzend lehnte Norman sich zurück und griff nach seinem Eistee.

      Als er eine ganze Weile mit dem Alkoholkonsum aufgehört hatte, war die Zuckerzufuhr durch Eistee genau das richtige für ihn gewesen, selbst heute noch, obwohl er wieder trank.

      »Iss etwas«, forderte Jan.

      Mechanisch griff Norman nach seinem Sandwich und biss hinein. Es hätte bestimmt gut geschmeckt, wäre er nicht so gelähmt von Jans Worten gewesen. Für Norman war es, als kaute er auf Pappe herum. Er schmeckte nichts.

      Enio Martin unschuldig ... von wegen!

      Franklin hatte ihn belastet. Massiv belastet. Warum glaubte niemand Franklin, wo er doch auch bei all den anderen immer die Wahrheit gesagt hatte. Als Norman Franklin damals eingebuchtet hatte, war dieser mehr als bereit gewesen, für eine Strafmilderung gegen seine Komplizen auszusagen. So hatten sie im Verlauf der letzten sieben Jahre mehrere dicke Fische aus dem Verkehr ziehen können, mehrere erfolgreiche Razzien durchgeführt, Drogenbosse entlarvt und und und ... Nur einen hatten sie nicht bekommen, den dicksten aller dicken Fische: Enio Martin.

      Ausgerechnet jenen Mann, den Norman geschworen hatte, dingfest zu machen, weil er nämlich jemanden vor diesem schützen musste. Wollte, korrigierte er sich. Er musste es nicht tun, aber er hatte es gewollt.

      Als er kauend Jan betrachtete, fragte er sich aber – wie so oft in letzter Zeit – warum er sich das länger antat. Jan hatte Recht, es war vorbei, auf jede erdenkliche Art.

      Der Gedanke machte Norman so traurig, dass er nach der Hälfte des Sandwichs doch wieder zu essen aufhörte und den Teller von sich schob.

      Jan betrachtete ihn wieder mit gerunzelter Stirn, doch bevor er Norman wieder belehren konnte, ging die Tür des Ladens mit einem dezenten Surren einer elektrischen Klingel auf.

      Norman sah an Jan vorbei und Jan drehte den Kopf um den Kunden zu beobachten, der trotz des Regens zu Fuß gekommen war; Norman hatte nämlich keinen Wagen bemerkt, der auf dem Parkplatz gehalten hätte.

      Komplett durchnässt ging der junge Mann zur Theke und hinterließ bei jedem Schritt eine kleine Pfütze auf dem blitzsauberen Fliesenboden. Er trug eine weiße Baseballkappe,