Gabriele Beyerlein

Der schwarze Mond


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gedacht. Ich glaube, es ist besser, wenn ich mich doch vor ihm in Acht nehme.

      Andererseits – vielleicht hat das gar nicht viel zu bedeuten. Schließlich weiß ich, dass so was in früheren Zeiten ziemlich normal war: Früher wurden Kinder mit Prügel erzogen und Lehrlinge auch.

      Als Papa ein Kind war, hat sein Vater ihn oft geschlagen, und Papa durfte dabei nicht einmal heulen, sonst hat er gleich noch viel schlimmere Schläge bekommen. Ich finde das furchtbar gemein.

      Mein Papa würde so was jedenfalls nie machen. Er sagt, Schwächeren etwas anzutun ist die schlimmste Feigheit, die es gibt. Ach Papa, Papa, warum bist du jetzt nicht da!

      Die Tür knarrt, jemand ist im Speicher, ich habe ihn gar nicht kommen hören, es ist schon fast dunkel, ich sehe nicht mehr als einen schwarzen Umriss, aber ich erkenne den Medicus, als er anfängt zu sprechen: „Hier, deine Abendmahlzeit! Heute reiche ich dir etwas Besonderes: einen Krug gut gekühlten Bieres. Wohl bekomme es!“

      Ich mag kein Bier, ich hätte viel lieber Milch oder Apfelsaft, aber ich will den Medicus nicht verärgern, schon gar nicht nach dem, was ich vorhin beobachtet habe, darum bedanke ich mich und tu so, als würde ich davon trinken, dabei stecke ich nur meine Nase in den Schaum. Es riecht widerlich. „Hm, gut! Vielen Dank, Herr Medicus!“, sage ich und wische mir den Schaum vom Mund. Zum Glück habe ich noch Wasser, das trinke ich, wenn er weg ist. Selbst abgestandenes Wasser ist besser als Bier.

      Der Medicus lacht leise. Irgendwie mag ich dieses Lachen nicht. „Leere den Krug nur vollends!“, meint er. „Das gibt dir Kraft und gute Träume und hilft dir die harte Zeit des Wartens zu ertragen.“ Damit geht er und schließt die Tür wieder zu.

      Ich versuche das Bier zu trinken. Wenn es wirklich hilft gegen die Gedanken ...

      Ich nehme einen winzigen Schluck. Es schmeckt noch widerlicher, als ich befürchtet habe. Mich hebt es richtig. Mama sagt, Kinder dürfen keinen Alkohol trinken, es macht ihr Gehirn kaputt.

      Hat der Medicus deshalb auf so unheimliche Art gelacht, als er mir das Bier gegeben hat? Er ist doch ein Arzt und muss wissen, dass Alkohol für Kinder schlecht ist. Irgendwas ist merkwürdig ...

      Ich schütte das Bier durch eine der Ritzen im Boden. Weil ich es nicht länger riechen will. Und weil ich nicht länger darüber nachdenken will, ob ich es vielleicht doch trinken soll.

      Dann mache ich mich über das Essen. Erst bekomme ich kaum einen Bissen hinunter, aber plötzlich überfällt mich eine richtige Fresswut. Ich esse Griesbrei und Apfelmus, jede Menge Käse und Brot und ein Stück Schinkenspeck. Ich esse, bis ich nicht mehr kann und ruhig und müde werde vor lauter Sattheit.

      6

      Ich wache auf mit dem Gefühl, dass ich etwas gehört habe. Ich lausche. Es ist still. Durch das Dreieck der Giebelöffnung sehe ich ein paar Sterne.

      Da – leise Stimmen.

      Plötzlich bin ich hellwach. Sind das etwa die Elfen?

      Ich spähe zwischen zwei Balken hinaus. Fackeln brennen, eine vor dem Haus und eine am Brunnen. Neben dem Brunnen sehe ich ein Pferd und daneben den Medicus im Gespräch mit einem Ritter. Der trägt eine silbern glänzende Rüstung und ein riesiges Schwert. Seinen Helm hat er sich unter den Arm geklemmt. Wie er den Kopf reckt, richtig hochmütig!

      „... Erkundigungen eingezogen“, sagt der Medicus. „Es soll sich um einen sehr starken Krieger handeln sowie um einen Jäger und einen Gaukler.“

      Der andere lacht verächtlich: „Und das sollen die Helden der Königin sein, die mir gefährlich werden könnten?! Ein Gaukler! Ist Ihm entfallen, dass Er selbst mir vor Jahren versicherte, die Herrschaft meines Geschlechtes werde kein Ende haben, solange nicht der Tag zur Nacht werde?“

      „So sah ich es im Wasserspiegel. Dennoch, mein Herzog, seid gewarnt!“

      Ich glaube, ich falle tot um! Der Mann, der da mit dem Medicus auf dem Hof steht, ist der Herzog, der Herzog persönlich! Und der Medicus kennt ihn gut und verrät ihm das von den drei Helden, was er von den Frauen gehört hat!

      Warum hat er mich so angelogen und behauptet, er würde den Herzog nicht kennen und müsste erst um eine Audienz bei ihm bitten? Und was soll das mit dem Wasserspiegel, was kann man da schon sehen?

      Nun gehen die beiden im Hof auf und ab, ich kann nicht mehr hören, was sie reden, die Rüstung des Herzogs klirrt bei jedem Schritt, nur ein Wort kann ich verstehen: Aribor.

      Der Herzog bleibt stehen, und ich höre den Medicus sagen: „Warum musstet Ihr auch den weißen Hirsch jagen und ...“

      „Seiner Vorwürfe habe ich genug!“, fährt ihn der Herzog an. „Weiß Er nicht, zu wem Er spricht?! Erstatte Er mir Bericht von dem Knaben! Oder besteht die Möglichkeit, dass dieser uns belauscht?“

      Der Medicus schnaubt verächtlich. „Für wen haltet Ihr mich! Der Knabe hört uns nicht. Ich mischte ihm in Erwartung Euerer Hoheit einen Schlaftrunk ins Bier und überzeugte mich vor Euerer Ankunft, dass der Krug geleert ist!“

      Beinahe hätte ich aufgeschrien. Ich presse beide Hände vor den Mund. Das war es also, ich habe doch geahnt, dass mit dem Bier etwas nicht stimmt!

      „Ist Er gewiss, dass dieser Knabe derjenige ist, auf den das Volk der Königin seine Hoffnung setzt?“, fragt der Herzog. „Denn wenn Er mich täuscht –“

      „Zweifelt Ihr an Euerem eigenen Magier?“, fällt ihm der Medicus ins Wort und seine Stimme klingt auf einmal scharf und zornig. „Oder wagt Ihr mir zu drohen?“

      Magier? Soll das etwa bedeuten, dass der Medicus selber der Magier ist? Das darf doch nicht wahr sein, ich muss mich getäuscht haben! Aber wie er mit dem Herzog umspringt! Er putzt ihn richtig runter: „Habt Ihr vergessen, wem Ihr Euere Macht verdankt?! Wer dafür sorgt, dass die schwarzen Krieger Euch willfährig sind?! Wer Euch die Geheimnisse der Leute zuträgt, die sie keinem anderen offenbaren würden als dem Arzt ihres Vertrauens?! Lasst Euch gesagt sein, ich bedarf Euerer nicht! Meine Dienste werden anderen Ortes geschätzt.“ Damit dreht er dem Herzog den Rücken und geht einfach weg, auf meinen Speicher zu.

      Wenn er jetzt reinkommt, wenn er sieht, dass ich nicht schlafe! Ich muss mich hinlegen, die Augen zumachen, aber ich kann mich nicht rühren, ich kann nicht –

      Der Herzog geht dem Medicus nach, legt ihm seine Hand in dem silbernen Panzerhandschuh auf die Schulter. „Es stand nicht in meiner Absicht, Ihn zu kränken, Meister“, versichert der Herzog. „Lasse Er sich versöhnen! Ich hege nicht den mindesten Zweifel an den Fähigkeiten meines großen Magiers.“

      Der Medicus bleibt stehen und wendet sich wieder dem Herzog zu, nicht weiter als zwei, drei Meter von mir entfernt.

      Ich presse die Faust vor den Mund, schlage meine Zähne hinein. Keinen Laut darf ich von mir geben, nicht den allerkleinsten!

      „Das will ich meinen! Seid versichert, ich habe die Machenschaften des Elfen durchschaut“, sagt der Medicus, und nun klingt seine Stimme wieder beherrscht. „Ich sah die Ankunft dieses Knaben vorher. Doch Aribor ist sehr geschickt. Ein würdiger Gegner, fürwahr! Er trübte mein magisches Auge durch Nebel, sodass ich nicht sehen konnte, wie der Junge hier eintraf, und er führte ihn durch seine tierischen Begleiter geradewegs zu der Höhle der Knaben. Aber ich erkannte seine Absicht noch zur rechten Zeit, brachte den Knaben in meine Gewalt und setzte Aribor mit einem Kampfzauber außer Gefecht. Der Knabe vertraut mir blind. Und es besteht kein Zweifel: Er ist es, den Aribor herbeiwünschte, damit die Prophezeiung sich erfülle. Bedenkt, wenn er zu den Zwillingen vordränge! Wenn Euere schwarzen Krieger gar ...“

      „Das muss Er mir nicht erklären! Wo ist der Knabe? Ich werde ihn auf der Stelle töten!“

      Mich – töten?!

      Ich habe das Gefühl, der Boden beginnt zu schwanken. Ich halte mich an der Wand fest. Mein Herz tobt so, dass ich glaube, es zerreißt mich. Dennoch höre ich jedes Wort, das da draußen gesprochen wird, höre es viel lauter als normal und wie in Zeitlupe.