Reiner Kotulla

Marijana


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dann gab er auf.

      „Okay“, sagte Simone, stand auf und entfernte sich in den vorderen Teil der Anlage. Dort trat sie hinter einen Baum. Demonstrativ blickten alle hinunter zur Lahn.

      „Also“, begann Charlene, als Simone zurückgekommen war, „wie machen wir das nun auf dem Floß?“

      Schon wollte Alexander nachfragen, dass sie doch sicher wisse, wie man das macht, als Charlene ihm zuvorkam. „Schon gut, Alexander, spar dir die Nachfrage, du alter Oberlehrer.“ Nun war es Simone, die so schaute wie die Frau in der Autowerbung. Alexanders Versuche, Mühlberg zu erreichen, blieben an diesem Tage erfolglos.

      Es war einer dieser Abende, wie sie für diesen Frühling typisch waren und wie man sie sich sonst für den Sommer wünscht, warm, dass man draußen sitzen konnte. Sie redeten, planten die Arbeit für den nächsten Tag, bis schließlich feuchter Nebel von der Lahn her aufstieg. Kein Regen war vorauszusehen, und so ließen sie Tisch und Stühle vor dem Zelt stehen.

      „Schlaft gut“, sagte Alexander, als sie sich in die Schlafkabinen zurückzogen. Noch nie hatten sie sich voreinander ausgezogen, und so taten sie es in den Schlafräumen, die hoch genug waren, dass man darin stehen konnte. Der Doppelschlafsack bot ihnen wider Erwarten ausreichend Platz. Simone hatte sich auf die Seite gelegt. Seltsam, dachte Alexander, zuvor hatten sie noch miteinander gesprochen und jetzt herrschte im Zelt Totenstille. „Meinst du, wir könnten“, flüsterte er.

      „Versuch es.“

      Alexander schmiegte sich an ihren Rücken, besser gesagt an ihren Hintern, spürte dessen leichte Bewegungen. Der Reiz des scheinbar Verbotenen steigerte ihre Erregung, die sie für sich behielten.

      Am Morgen weckte sie Mühlberg. „Ich kam erst in der Nacht nach Hause. Als ich Ihre Nachricht abhörte, wurde mir meine Vergesslichkeit bewusst. Entschuldigen Sie bitte, hier ist der Schlüssel.“

      „Nicht schlimm“, log Alexander und bat Mühlberg, Platz zu nehmen. „Einen Kaffee kann ich Ihnen leider noch nicht anbieten.“

      „Das macht nichts, der wartet zu Hause auf mich.“ Offensichtlich interessierte sich Mühlberg für ihre Arbeitsergebnisse. „Mit etwas Fantasie kann man schon erkennen, was daraus werden soll. Da will ich nicht weiter stören“, erhob er sich und wandte sich in die Richtung zum Bootshaus. „Wenn Sie etwas brauchen sollten, den Nachmittag über bin ich hier.“

      Alexander bedankte sich, ging ins Zelt und kroch noch einmal in den Schlafsack, genoss Simones Wärme. Die war inzwischen wach geworden.

      „Der Schlüssel liegt draußen auf dem Tisch.“

      „Das ist gut, denn ich muss schon wieder ganz dringend.“ Um sie zu ärgern, drückte er auf die entsprechende Stelle ihres Bauches. „Hör auf“, rief Simone und wand sich aus dem Schlafsack.

      „Womit soll er aufhören“, fragte Charlene von nebenan.

      „Erzähl ich dir später, jetzt gehe ich erst einmal ins Bad.“

      „Lass die Tür offen, ich komme auch gleich.“

      „Okay, Charlene.“

      Nach dem Frühstück machten sie sich sofort wieder an die Arbeit, und als sie am Sonntagnachmittag, nachdem sie ihr persönliches Gepäck im Auto verladen, das Zelt verschlossen und den Badschlüssel bei Mühlberg abgegeben hatten, zurückblickten, waren sie zufrieden mit dem Fortgang ihrer Arbeit.

      „Ich denke, das wird“, sagte Charlene.

      „Stimmt“, antworteten die drei anderen wie aus einem Mund.

      „Ich glaube, Volker, wir brauchen bald neue Stahlbänder“, sagte Alexander, als sie nach Hause fuhren.

       Sechs

      Die neuen Stahlbänder lagen zusammengerollt auf ihrer Baustelle. Volker hatte sie besorgt, das war sein Aufgabenbereich. Später berichtete er über den Einkauf. „Ich kam in den Verkaufsraum. Außer mir waren noch zwei Kunden anwesend. Der eine von ihnen unterhielt sich mit einem Verkäufer. Der andere wurde von einer Verkäuferin bedient. Der dritte Angestellte hatte einen Aktenordner in der Hand, blätterte darin herum. Pure Scheinbeschäftigung vermutete ich, denn es hatte nicht den Anschein, dass er einen bestimmten Text suchte. Einmal blickte er kurz in meine Richtung, nahm mich aber nicht wirklich wahr. So stand ich eine Zeit lang herum, war praktisch gezwungen, den Gesprächen der anderen zuzuhören. Das Verkaufsgespräch, welches die Frau mit dem Kunden führte, interessierte mich kaum, ging es doch um Dinge, von denen ich keine Ahnung hatte. Das andere Gespräch erregte meine Aufmerksamkeit, ging es doch da um rein Privates. Kunde und Verkäufer mussten sich näher kennen, denn sie sprachen über vergangene Zeiten. Anscheinend waren sie zusammen beim Militär gewesen. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass sich die BRD damals mit keinem anderen Staat im Kriegszustand befunden hatte, hätte mich das Gespräch der beiden ein solches vermuten lassen. Hart musste es zugegangen sein, damals. Tage- und nächtelange Märsche mit voller Ausrüstung durch unwegsames Gelände, bei hohen Minustemperaturen. ‚Eisregen und keine Aussicht auf ein warmes Nachtlager‘, sagte der Verkäufer, und der Kunde, ich ging immer noch davon aus, dass es sich um einen solchen handelte, ergänzte: ‚Dagegen ist das, was die Schlaffis heute in Afghanistan erleben, das reinste Zuckerschlecken.‘ , Du sagst es‘, pflichtete ihm der Verkäufer bei.

      Da musste ich daran denken, dass ich erst am Abend zuvor erfahren hatte, dass bei einem Angriff in der Nähe von Kundus vier deutsche Besatzungssoldaten von einer Bombe zerfetzt worden waren. Die beiden sprachen jetzt von der Rente, die sie wohl beide in Bälde zu erwarten hatten. Auch für diesen Verkäufer schien ich nicht anwesend zu sein.

      Inzwischen hatten die beiden anderen ihren Handel abgewickelt, und die Frau heftete die Verkaufsunterlagen in einem Ordner ab. Der dritte Angestellte war immer noch mit seinen Papieren zugange. Auch die beiden ‚Kriegsteilnehmer‘ hatten ihr Gespräch beendet. Jetzt beschäftigte sich auch dieser Verkäufer mit irgendwelchen Papieren. Seit meinem Eintreten waren etwa zwanzig Minuten vergangen. Nun wandte sich die Verkäuferin mir zu, und ich trug ihr meinen Wunsch vor.

      ,Da muss ich den Meister in der Halle fragen‘, sagte sie und entfernte sich in den rückwärtigen Bereich. Nach kurzer Zeit kam sie mit einem für mich abschlägigen Bescheid zurück. Der Meister hätte im Moment keine Zeit, ich sollte morgen noch einmal nachfragen. Daraufhin erkundigte ich mich nach einer anderen Möglichkeit, da ich heute noch nach Wetzlar zurückfahren wollte, wo die Stahlbänder benötigt wurden. Abrupt ließ da der Scheinbeschäftigte den Ordner auf den Schreibtisch fallen und wandte sich mir zu. ‚Haben Sie denn nicht verstanden, was sie‘, und dabei deutete er auf seine Kollegin, ‚Ihnen gerade erklärt hat? Wenn der Meister gesagt hat, dass es jetzt nicht geht, dann geht es jetzt nicht.‘

      Ihr könnt euch vorstellen, dass ich so langsam wütend geworden bin. Deshalb wandte ich mich nun an den Mann. ‚Ich glaube‚ dass Ihre Kollegin der Sprache so mächtig ist, mir das selbst zu erklären. Oder wollen Sie sich hier als eine Art männlicher Beschützer aufspielen?‘

      Volltreffer, dachte ich, denn nun lächelte mich die Frau ganz offen an. Dadurch bestärkt wandte ich mich an den Beschäftigungstheoretiker. ‚Aber sicher sind Sie hier so einflussreich, dass Sie mir weiterhelfen können.‘

      Der erkannte meine Ironie nicht, fühlte sich tatsächlich geschmeichelt. Aber anstatt sich nun ernsthaft um mein Anliegen zu bemühen, griff er erneut nach irgendeinem Ordner, schlug ihn auf und tat lesend, sagte, ohne mich eines Blickes zu würdigen: ‚Sie sehen doch, dass ich zu tun habe.‘

      Jetzt war ich endgültig sauer, ließ mich hinreißen: ‚Flachwichser, der Sie sind.‘

      Er, den Ordner erneut auf den Tisch werfend: ‚Haben Sie gerade Flachwichser zu mir gesagt?‘

      Schon wollte ich meine Aussage wiederholen, als sich die Verkäuferin einmischte: ‚Ewald, da musst du dich verhört haben, slat Gewirrer nin, habe ich deutlich verstanden.‘

      Ich erkannte plötzlich, in was für eine Lage ich mich da gebracht hatte. ‚Danke‘, sagte ich zu der