Jennifer Scheil

P.E.M. Projekt Evolution Mensch


Скачать книгу

fand sie eine Inschrift auf der Rückseite und erneut stiegen ihr Tränen in die Augen als sie die Worte lass.

      IN LIEBE! FÜR IMMER! JOHN

      Sie küsste den Rubin und legte sich die Kette um. Danach griff sie mit

      zitternden Händen wieder nach dem Umschlag. Der Brief war auf weißem Papier mit Kugelschreiber geschrieben. Es fiel ihr schwer, die Worte, die dort standen, durch den Tränenschleier zu entziffern.

      Geliebte Samantha,

      wenn du diese Zeilen liest, werde ich wahrscheinlich nicht mehr da sein. Ich muss dir gestehen, dass mir meine Identität schon seit längerer Zeit bekannt ist. Doch glaube mir, wenn ich dir sage, dass ich erst den Grund für mein Hiersein herausfinden wollte, bevor ich es dir sage. Nun ist es dafür wahrscheinlich zu spät.

      Mein Name ist John Wilhelm Heart, ich bin 24 Jahre alt und wohne in New Palm Beach, Florida. Dort arbeite ich zusammen mit meinem Freund Nick Fontaine bei einer Organisation, deren Namen ich dir nicht nennen darf.

      Das Einzige, was ich weiß ist, dass ich im Auftrag dieser Organisation in

      Deutschland war. Wie dieser Auftrag aussah, weiß ich leider noch nicht. Euch und vor allem dich, im Unwissen zu lassen war nicht leicht. Doch geschah es zu eurer Sicherheit.

      Sammy, es ist nicht besonders toll, dir auf diesem Weg meine Gefühle für dich zu gestehen.

      Doch weiß ich nicht, ob ich es, wenn du diesen Brief liest, schon getan habe.

      Ich liebe dich!!!

      Das Rubinherz soll dir dies jeden Tag sagen, bis ich es wieder selbst tun kann!

      Mein Herz gehört auf ewig dir!

      In Liebe

      John Heart,

      der sein Herz in Deutschland lässt!

      Immer und immer wieder, lass Samantha den Brief, bis sie ihn auswendig kannte. Ihre Tränen zogen feuchte Spuren über das Papier. Was seine Worte bedeuteten,

      schmerzte sie sehr.

      Er hat schon eine geraume Zeit lang gewusst, wer er war und was noch wichtiger war, dass er hier in einem Auftrag gehandelt hatte. Er hatte Gefahr mitgebracht. Er hätte es ihr sagen müssen!

      Ein leises, verhaltenes Klopfen drang in ihre Gedanken. Als Samantha die Tür öffnete, stand sie ihrer Mutter gegenüber. In deren Augen spiegelte sich Angst und Sorge. Doch es war auch der Funken von Ich- hab- es- ja -gewusst in ihnen zu finden. Diesen Funken gewahrend, war Samantha versucht, die Tür einfach wieder zu zuschlagen. Gut gemeinte Ratschläge konnte sie im Moment nicht gebrauchen. Anna entging die Reaktion ihrer Tochter nicht. „Darf ich rein kommen?“ Nickend gab Samantha den Eingang frei und gewährte ihrer Mutter somit Einlass. Sich aufs Bett setzend griff sie nach dem T-Shirt und überließ es ihrer Mutter, sich selbst einen Platz zu suchen. „Sammy, es tut mir unendlich leid! Wirklich, doch ich habe mit so etwas gerechnet. Früher oder später mussten Polizisten hier auftauchen!“

      „Dein selbstgefälliges Mitleid kannst du dir schenken! Wie du ja eben selber zugegeben hast, hast du in John schon immer einen gefährlichen Menschen gesehen. Es ist dir doch nur Recht, dass er jetzt weg ist!“ Die Stimme war schneidend kalt. Das hatte sie jetzt völlig falsch angefangen! Die Situation jetzt noch zu retten, war nicht einfach. „Samantha, bitte! So war das nicht gemeint, ich …“

      „Doch, genau so hast du es gemeint!“ Wütend funkelnde Augen taxierten Anna. Samanthas unnachgiebiger Blick, lies Annas Augen nicht los. „Das ich endlich mein Glück finde und die Liebe in mein Leben getreten ist, kommt dir doch in die Quere! Glaubst du etwa im Ernst, mir ist nicht aufgefallen, wie du mich gestern Abend

      angesehen hast? Diesen Blick kenne ich zu gut, als dass ich ihn vergessen könnte!“ Annas Augen weiteten sich. Flehend, hob sie ihre Hände. „Sammy, Schatz! Was dein Vater dir und auch mir angetan hat, ist schrecklich. Doch es ist vorbei und hat nichts mit meinen Gefühlen für dich und erst recht nichts mit der gegenwärtigen Situation zu tun! Ich liebe dich doch!“

      Der Ausdruck in Samanthas Augen ließ Anna schlucken. Zum ersten Mal, hatte sie Angst vor ihrer Tochter!

      Die Angst in den Augen ihrer Mutter tat Samantha weh. Waren wirklich John und ihr Großvater die einzigen Menschen, die sie so liebten wie sie war? „Du liebst nicht mich! Du liebst das Bild, das du dir so schön zurecht gelegt hast! Du hast jetzt Angst, weil du begreifst, dass ich mehr bin, als diese Wunschvorstellung. Damals, als ich mich entschlossen hatte, dir nichts von dem Vorfall zu erzählen, da habe ich geweint. Geweint, weil ich damals schon wusste, dass du mich genauso ablehnen würdest, wie mein Erzeuger! Und wie Recht ich damit hatte, sehe ich ja heute.“

      „Samantha! Erkläre es mir doch! Wie soll ich dich verstehen, wenn ich nichts von all dem weiß? Ich bin doch deine Mutter!“

      „ Und Karlo war mein Vater! Dieser Umstand hat ihn jedoch nicht davon abgehalten, mich, seine Tochter zu verdammen. Wenn es noch Scheiterhaufen gegeben hätte, hätte er mich damals eigenhändig als Hexe verbrannt! Und da erwartest du allen Ernstes, dass ich diesen Ausdruck in deinen Augen, diese plötzliche Distanz, einfach übersehe? Das ich so tue, als sei alles in bester Ordnung?“ Samantha umschloss den Rubin mit ihren Fingern und das Glühen in ihren Augen verstärkte sich. Alles wurde ihr genommen. Ihr Vater, ihre Liebe, ihr Leben! Und ihre Mutter war dabei, sich ebenfalls von ihr zurück zu ziehen. Der aufgestaute Hass, ihre unbändige Wut, ließen sich kaum noch unterdrücken. Der Schmerz überrollte sie! Ihre Gabe schrie!

      Erst als Jonas mit einem Aufschrei ins Zimmer stürzte, sie bei den Schultern packte und schüttelte, kam sie wieder zu sich. Das Glühen erlosch und hinterließ eine beängstigende Leere. Sie spürte die schwieligen Hände ihres Großvaters auf ihren Schultern und hörte, wie aus weiter Ferne, seine Stimme. „Sammy, es ist gut. Es wird alles wieder gut!“ Die Augen schließend sank sie in seine Arme.

      Anna sackte in sich zusammen. Erst als Samantha die Augen geschlossen hatte, war sie in der Lage gewesen zu blinzeln. Eine große Leere machte sich in ihr breit, sie schien alles zu verschlucken. Fast sehnte sie sich danach, wieder in Samanthas

      Augen zu versinken. Und allmählich fingen Puzzelteile an, sich zusammen zu fügen. Sie ergaben noch kein klares Bild, doch bekam sie eine ungefähre Vorstellung von dem, was Samantha war und dass sie erst im Begriff stand ihre Fähigkeiten zu entfalten. Scham überkam sie. Sie, die immer von bedingungsloser Liebe sprach und sie als das einzig Wahre ansah, war selber nicht in der Lage ihre Tochter so zu lieben. Wie Samantha darunter gelitten hatte, konnte sie nur erahnen. Sie erhob sich und bedeutete Jonas, dass sie tauschen wollte.

      Jonas sah seiner Tochter erst in die Augen, bevor er bereit war, das Kleinod in seinen Armen frei zu geben. Nachdem sie die Plätze getauscht hatten, gab Anna ihrem Vater mit den Augen ein Zeichen. Dieser verstand und verließ das Zimmer.

      „Mama, es tut mir leid! Es war nicht richtig von mir, dir Vorwürfe zu machen.“ Sachte ihren Finger auf Samanthas Lippen legend, schüttelte Anna dem Kopf. „Nein! Die Schuld liegt nicht bei dir! Mein Unvermögen, zu erkennen, was für ein bemerkenswerter Mensch du bist, ist schuld an dem Ganzen! Ich bin deine Mutter! In dir fließt das Blut der Brands! Der Familie, die seit Anbeginn diese Gabe in sich trägt. Es soll sogar eine junge Frau gegeben haben, die in der Lage war, wilde Tiere allein mit ihrer Willenskraft zu zähmen und sie von den Siedlungen fern zu halten. Sie wurde damals allerdings als Hexe verbrannt. Die Menschen waren nicht in der Lage gewesen, diesen Schatz zu erkennen und zu wahren. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich wohl nicht besser bin als sie! Wenn ich noch Zweifel in Bezug auf deine Gabe hatte so hast du sie heute ausgeräumt. Sie war in deinen Augen so übermächtig, dass ich sie nicht übersehen konnte.“

      „Mam, ich glaub, ich muss dir etwas erzählen!“ Und so erzählte Samantha zum zweiten Mal an diesem Tag ihr Erlebnis mit den Delphinen.

      Anna hörte still und ohne Samantha zu unterbrechen zu. Die Schuldgefühle wurden stärker und waren nur zu berechtigt. Was Samantha ihr schilderte, war kaum zu

      Glauben und doch sie wusste, dass es der Wahrheit entsprach.