Arnulf Meyer-Piening

Das Doppelkonzert


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beteuerte Julia, aber sie war sich bezüglich seiner Mitarbeiter nicht sicher. Irgendein Problem mussten sie übersehen haben, aber welches? Sie wusste es nicht.

      - Habt ihr Klimaanlagen in den Laboratorien?, wollte Hinrich wissen. Einige Medikamente vertragen das feuchtheiße Klima nicht. Die Wirkstoffe verändern sich bei unsachgemäßer Lagerung.

      - Nein, wir können uns nicht überall Klimaanlagen leisten. Nur hier in meinem Büro gibt es eine. In abgedunkelten und schlecht belüfteten Räumen analysieren wir die chemischen Substanzen, denen unser besonderes Interesse gilt. Dort haben wir auch das Labor, in dem wir die den Testpersonen entnommenen Blutproben analysieren können. Wir konzentrieren uns dabei vor allem auf die Nierenwerte, untersuchen den Gehalt von Magnesium, Kalium, Kalzium, Natrium zu bestimmen. Das ist das Reich von Michel. Die statistische Auswertung der Daten erfolgt mit Hilfe eines Computerprogramms. Dort verbringt er den größten Teil seiner Zeit.

      - Arbeitet ihr in Übereinstimmung mit den Richtlinien für Good Clinical Practise - GCP für die Durchführung der klinischen Tests an Menschen?, erkundigte sich Hinrich.

      - Ja, wir sind ISO 14155 zertifiziert. Wir halten die dort genannten Vorschriften peinlich genau ein, so hoffe ich wenigstens. Ich kontrolliere selbst, wo immer es geht. Aber oft fehlt es mir an der notwendigen Zeit.

      - Haben fremde Personen Zutritt zu diesem Gebäude?, wollte Hinrich wissen.

      - Normalerweise nicht. Aber manchmal kommt es vor, wenn die Räume desinfiziert werden.

      - Wie oft geschieht das?, erkundigte sich Hinrich, der an diesem Punkt besonders interessiert zu sein schien.

      - Wir reinigen täglich Boden und Wände. Aber die wertvollen Apparaturen werden nur von dem dort beschäftigten medizinischen Personal gereinigt. Unsere Putzkräfte sind ganz einfache Frauen. Die lassen wir nicht an die empfindlichen Geräte. Dabei könnte viel zerstört werden. Das ist mir zu riskant.

      - Das machen wir bei uns genauso, pflichtete ihr Hinrich bei. Die elektronischen Geräte dürfen nicht mit aggressiven Flüssigkeiten in Berührung kommen. Zudem könnten Einstellungen verändert werden, wenn unerfahrene Menschen damit in Kontakt treten.

      - Im Prinzip arbeiten wir hier genauso wie in München. Wir haben die gleichen Vorschriften. Da gibt es keine Unterschiede.

      - Aber es muss doch Unterschiede geben, denn wir haben bei uns nicht diese Häufung von Todesfällen, beharrte er.

      - Wenn ich es wüsste, sagte Julia und hob etwas verzweifelt die Hände. Vielleicht liegt das Problem bei euch in der Produktion oder im Versand? Wir beziehen ausschließlich die Substanzen aus unserem Werk in München. Soweit ich weiß, bekommen wir andere Chargen speziell zubereitet für die Tropen. Ingrid hat mir das mal erzählt.

      - Ich kann mir nicht vorstellen, dass darin das Problem liegt. Zugegeben, wir nutzen seit einiger Zeit neben den alten Maschinen einen neuen Abfüllautomat, aber daran kann es nicht liegen.

      - Aber warum bekommen wir nur so geringe Mengen von dem Wirkstoff? Wir können unsere Patienten nicht ausreichend mit dem Medikament versorgen. Unsere Sterblichkeitsrate hier ist exorbitant hoch. Das kann so nicht weitergehen. Also: Was kannst du für uns tun?

      - Im Augenblick sind mir die Hände gebunden. Ich kann nichts machen. Wir brauchen neue Maschinen, aber Vater bewilligt mir kein Geld für die notwendigen Investitionen.

      - Was würdest du denn anders machen, wenn du an seinem Platz stündest?

      - Ich verstehe zwar nichts von Finanzen, aber ich würde im Unternehmen andere Prioritäten setzen. Ich würde weniger Geld für repräsentative Gebäude, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit ausgeben und dafür mehr für Investitionen.

      - Offenbar sieht Vater das anders?

      - Darüber reden wir nicht miteinander. Er meint, dass ich ausschließlich für die Produktion zuständig sei. Außerdem glaubt er, dass ich mich nicht genügend für die Firma einsetze, aber das stimmt nicht. Vielmehr ist es so, dass er jetzt ziemlich schwach ist. Er geht nur noch für wenige Stunden ins Büro, dann muss er sich ausruhen und hinlegen. Die Firma ist derzeit nahezu ohne Führung.

      - Was willst du tun, um das zu ändern?

      - Im Augenblick kann ich nichts machen. Ich kann nur warten, bis er selbst zu der Einsicht kommt, dass er das Ruder aus der Hand geben muss.

      - Letztlich wartest du also auf sein baldiges Ende?

      - So kann man das nicht sagen. Aber ein Wechsel in der Unternehmensführung wäre überfällig.

      - Möchtest du sein Nachfolger werden?

      - Im Prinzip schon, aber er wird es nicht zulassen. Er hält nicht viel von mir. Bei dir wäre es anders. Du hast sein volles Vertrauen. Könntest du nicht in die Firmenleitung eintreten?, fragte er ohne große Hoffnung. Dann wären wir die augenblicklichen Schwierigkeiten los.

      - Nein, meine Aufgabe ist hier. Ich bleibe in der Forschung und will mein kleines Unternehmen, wenn es erfolgreich ist, an die Börse bringen oder an einen großen Pharma-Konzern verkaufen. Dann wäre ich unabhängig, könnte meinen eigenen Weg gehen.

      - Aber das ist noch ein weiter Weg. Erst brauchst du die Zulassung zu dem neuen Medikament. Und dafür brauchst du Geld.

      - Das ist mir vollkommen klar, sagte sie. Vor allem brauchen wir Zeit. Damit sie uns nicht davonläuft, brauchen wir einen neuen Geschäftsführer für die Gruppe. Wenn du das Vertrauen von Ingrid hättest, dann könnten wir drei einen Gesellschafterbeschluß fassen und dich zu seinem Nachfolger wählen, denn wir Drei haben die Kapitalmehrheit. Wir müssten uns nur einig sein.

      - Das würde ich gegen Vaters erklärten Willen nie machen. Das würde auch nicht gut gehen. Wahrscheinlich nicht, sagte er einschränkend und kauerte in sich zusammengesunken auf seinem Stuhl.

      - Ist dir nicht gut? Möchtest du dich hinlegen?

      - Nein, sagte er. Ich sehe nur keinen Ausweg aus der verfahrenen Situation. Wir brauchen Hilfe von außen.

      - So schlecht ist unsere Lage gar nicht, gab sie zu Bedenken: Du müsstest nur an irgendeiner Stelle auf einen persönlichen Erfolg verweisen können. Du müsstest etwas ganz Spektakuläres tun, damit du Vaters Zustimmung zu deiner Nachfolge bekommst. Er muss Vertrauen zu dir gewinnen.

      - Hinrich schöpfte neuen Mut. Plötzlich eröffnete sich eine neue Perspektive für ihn: Er brauchte einen Erfolg. Das Glück musste ihm helfen oder das Schicksal. Er wollte sich etwas einfallen lassen und suchte Zeit zu gewinnen. Ich denke, sagte er und erhob sich mühsam als sei er ein alter Mann, wir sollten uns mit diesem kritischen Thema zu einem späteren Zeitpunkt eingehender befassen. Damit wollte er den Raum verlassen, um allein zu sein. Zudem spürte er den unerträglichen Druck, der auf ihm lastete.

      - Sie aber hielt ihn zurück: Vergiss nicht, die Zeit drängt. Fast jeden Tag haben wir hier neue Opfer zu beklagen. Die Presse wird schon aufmerksam. Neulich schnüffelten hier ein paar Journalisten herum. Sie stellten den Angestellten viele unangenehme Fragen. Wir mussten sie mit Gewalt von der Plantage jagen. Darüber hat die regionale Presse ausführlich berichtet. Wir werden schon mit den alten Machthabern der Drogenkartelle in Verbindung gebracht.

      - Hoffentlich greifen die überregionalen Zeitungen dies Thema nicht auf. Ich möchte nicht beim Frühstück in der Presse lesen, dass man dich gekidnappt oder gar erschossen hat.

      - Das hoffe ich auch. Es ist nicht gut, wenn man erst einmal in die Schlagzeilen geraten ist.

      - Irgendetwas bleibt immer hängen. Da kann man tun, was man will. Man hat einen Makel, der an einem klebt. Und den will ich nicht haben.

      - Um abzulenken fragte sie ihn, ob er einen besonderen Wunsch für seinen restlichen Aufenthalt auf der Plantage habe, den sie ihm nach Möglichkeit erfüllen würde. Er sagte, dass er gerne Land und Leute kennenlernen würde, wenn das in der kurzen Zeit noch möglich wäre.

      Sie griff zum Telefon und bat Michel zu sich: Kannst du kurzfristig eine Fahrt zum Pazifik oder vielleicht zum Lago di Nicaragua oder zum Cocibolca See