Arnulf Meyer-Piening

Das Doppelkonzert


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Problem, sie müsse nur sagen, wann sie fahren wolle. Am bestem wäre es, wenn sie sich eine ganze Woche oder sogar zehn Tage Zeit nehmen würden. Die Fahrt sei ziemlich weit und auch beschwerlich, die Straßen seien schlecht und vielleicht wollten sie auch an einigen besonders schönen Stellen etwas verweilen oder sogar im Pazifik baden. Auch wäre eine Trekking-Tour entlang der Vulkankette sehr zu empfehlen. Dann könnten sie auch die historischen Städte der Spanier besichtigen. Er würde gern die Führung übernehmen.

      - Sie beendete das Gespräch: Vielen Dank Michel, ich gebe dir noch Bescheid.

      - Ihr Bruder verstand den Wink und wollte den Raum verlassen: Das hört sich gut an, sagte er

      - Nicht so eilig, sagte sie, setze dich noch einen Augenblick, wo willst du denn hin?

      Er setzte sich wieder wie ein gehorsames Kind: Wann könnten wir fahren?

      - Leider habe ich dazu keine Zeit. Aber du könntest allein mit ihm fahren, wenn du willst. Er kann dir sehr viel über sein Land erzählen. Er kennt sich gut aus.

      - Ich will es mir überlegen. Das Angebot ist sehr verlockend.

      - Julia wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Dann blickte sie aus dem Fenster: Ich würde dir gerne noch die Schule zeigen, wo ich Musik unterrichte. Dort ist auch unser neuer Festsaal. Kürzlich hatten wir eine Aufführung der Zauberflöte mit der Musik von Mozart. Das war ein voller Erfolg. Die Kinder waren mit Begeisterung bei der Sache, und ihren Eltern hat es auch gefallen.

      - Wie bist du denn auf dieses Stück gekommen? Das ist doch für Kinder viel zu anspruchsvoll.

      - Im Gegenteil: Das Werk ist besonders für Kinder geeignet, denn es entspricht ihrer Welt von Geistern, Dämonen und göttlichen Wesen. Und die Musik lässt sie zur inneren Ruhe kommen. Sie wirkt wie heilsame Medizin.

      - Das glaube ich gern. Auch auf mich wirkt sie beruhigend und inspirierend zugleich.

      - Sie griff in eine Schublade und holte eine Mappe hervor: Schau dir das an. Ich zeige dir ein paar Bilder von der Aufführung. Dies Gebäude dort drüben ist unsere Schule mit dem Festsaal, den ich vor kurzem anbauen ließ. Dort haben wir die Aufführung gemacht. Es war mir wichtig, den Kindern zu zeigen, dass Forschen, Lehren und Lernen eng zusammen gehören. Die Kinder haben große Ehrfurcht vor uns Forschern. Wir scheinen ihnen manchmal wie höhere Wesen, fast wie Magier in einem Zauberreich oder eine Art Medizinmann. Einige möchten später auch Forscher oder Arzt werden, wenn sie mit der Schule fertig sind.

      Das nächste Bild: Ein Blick in den Unterrichtsraum: Julia unterrichtete Musik in einer Klasse von neun bis zwölfjährigen Mädchen und Jungen. Sie hielt ihr Cello in der Hand. Ein einfacher Raum mit ein paar Schreibpulten für die Schüler mit Blick auf die Wandtafel. Davor ein etwas erhöhtes Podest, für die Lehrkraft. Meistens ein Engländer oder Amerikaner, wie Julia erläuterte. An diesem Tag vertrat sie ihre seit ein paar Wochen erkrankte Kollegin, erklärte sie. Durch die geöffneten Fenster mit Holz-Jalousien schien die spärlich abgedunkelte Sonne. Es war heiß und tropisch feucht in der Nähe der fruchtbaren Küstenebene nordwestlich von Managua. Ein ideales Klima für den Anbau von Zuckerrohr, aber für die Menschen ungesund zum Leben.

      Sie trug einen leichten Rock und eine Bluse. Sie schrieb ein paar Worte an die Tafel: „Wir wollen leben und lernen, damit es uns künftig besser geht.“

      Die Kinder klatschten und riefen begeistert: Ja, wir wollten leben!

      - Das ist unter den harten Lebensbedingungen wirklich nicht einfach, sagte Julia. Sie bekommen nur selten einen vernünftigen Unterricht.

      - Kann ich mir vorstellen.

      - Möchtest du ein Glas Wasser trinken oder etwas anderes?, fragte sie.

      - Danke. Sehr gerne nehme ich noch einen Saft, sagte Hinrich. Es folgte ein weiteres Bild, welches das lebhafte Treiben auf der Straße zeigte. Offenbar war der Unterricht beendet

      Julia unterbrach ihren Bericht, um sich zu vergewissern, ob er ihren Ausführungen folgte. Sie tranken noch ein Glas Saft.

      - Erzähl mir, wie es weiter gegangen ist, drängte Hinrich. Ich bin ganz gespannt.

      - Du kennst das Libretto, fuhr Julia unbeirrt fort, aber wir haben es etwas verändert, ein bisschen vereinfacht, für Kinder verständlicher gemacht.

      - Wie bist du denn auf dieses Werk gekommen?, wollte Hinrich wissen. Ist es nicht zu anspruchsvoll? Können die Kinder die komplizierte Handlung schon verstehen?

      - Die Kinder lieben die Zauberwelt mit ihren Gefahren und Hoffnungen. Sie sehen uns Forscher in der Rolle der Zauberer und der Geister. Die Königin der Nacht ist mächtig und beherrscht die Unterwelt. Sie muss besiegt werden. In der Märchenwelt stehen sich das Gute und das Böse immer in einem stetigen Wettkampf um die Vorherrschaft gegenüber. Und am Schluss siegt das Gute. So wollen es die Kinder. In der Zauberflöte ist es im Prinzip auch so, aber ich muss gestehen, dass das Libretto voller Ungereimtheiten steckt.

      - Mich hat die Königin der Nacht immer fasziniert, erklärte Hinrich, denn sie ist eine in sich widersprüchliche Erscheinung, wahrscheinlich ist sie gerade so wie wir alle. Sie vereinigt die Weisheit und gleichfalls die Tücken der Finsternis in einer Person.

      - Und auch bei Sarastro ist es ähnlich. Zuerst denken wir, er sei böse, weil er Pamina geraubt hat, dann aber erkennen wir in ihm den der Hüter der Weisheit. Er prüft, wer in den Kreis der Erwählten im Tempel der Weisheit aufgenommen wird. Und am Ende reicht er der Königin der Finsternis die Hand zur Versöhnung. Darum geht es mir, ich möchte die Versöhnung zwischen dem Guten und dem Bösen und möchte der Wahrheit zum Sieg verhelfen.

      - So habe ich das nie gesehen, sagte Hinrich, aber es ist schon lange her, dass ich die Oper gesehen habe. Ich bin eigentlich nur wegen der Musik dorthin gegangen. Das Libretto hat mich weniger interessiert.

      - Das ist mir auch so ergangen, bis ich mich näher mit seiner Entstehungsgeschichte befasst habe, erklärte Julia. Abgesehen von der Musik wollte ich den Kindern zeigen, dass der Weg zum ersehnten Erfolg oft recht mühsam und steinig ist. Und hier schlage ich die Brücke zu unserem Leben als Forscher und Arzt, denn wir treten in diesem Stück auf der Bühne in unserer Berufskleidung auf.

      - Das ist interessant. Ihr spielt mit? Wie bringt ihr Mozarts Musik zur Geltung?

      - Ich lasse die Musik wieder und wieder von der CD erklingen. Wir haben einen guten Verstärker und große Lautsprecher. Einige besonders wichtige Passagen wiederhole ich während der Proben auf meinem Cello, und Michel begleitet mich auf dem Klavier.

      - Michel spielt Klavier? Das wusste ich nicht.

      - Sehr gut sogar! Er hat am Konservatorium in London Unterricht im Klavierspiel erhalten. Er hat eine Anzahl nationaler Preise bekommen. Er ist durchaus in der Lage, eine schwierige Partitur vom Blatt zu spielen.

      - Alle Achtung! Wird er denn seine Musikausbildung fortsetzen?

      - Das ist noch nicht entschieden. Jetzt widmet er sich vor allem den klinischen Tests. Dann sehen wir weiter. Er spielt nur zu seinem Vergnügen, und wir musizieren des Öfteren gemeinsam.

      - Nur zur Entspannung. Darum beneide ich euch. Leider fehlt mir ein geeigneter Partner.

      - Wir könnten hier ein Trio zusammen spielen. Was hältst du davon?

      - Gern. Vielleicht das H-Dur Trio von Brahms?

      - Warum nicht?

      - Lass uns später davon reden. Jetzt interessieren mich vor allem deine Erfahrungen mit dem Musikunterricht. Wie reagieren die Kinder auf die komplizierte Handlung?

      - Also zurück zur Zauberflöte: Wichtige Stellen spiele ich ihnen vor. Auf diese Weise erkläre ich den Kindern die unterschiedlichen Motive der einzelnen Figuren. Die Kinder folgen dem Geschehen fasziniert. Sie werden Teil dieser Märchenwelt. So wie es auf der Bühne dargestellt wird, so ist es eben in der geheimnisvollen Welt der Geister, Zauberer und der Mächtigen in unserer Welt. Eines ist allen klar: Im Hintergrund wirken dunkle Mächte, die den Helden verderben wollen, aber die wahre Liebe führt zur Versöhnung. Am Ende wissen das alle: Es sind die