Arnulf Meyer-Piening

Das Doppelkonzert


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sagte sie. So etwas kommt vor, wenn man sich nicht gut fühlt. Das ist mir auch schon mal passiert. Wichtig ist, dass man gestärkt aus so einer kritischen Situation herauskommt. Wir wissen aus der Geschichte: Eine Niederlage kann die Grundlage für den nächsten glänzenden Sieg legen. Wie siegreiche Feldherren musst du es den anderen zeigen, dass du jemand bist, der kritische Situationen meistern und am Ende glorreich siegen kann.

      - Hoffnungslos blickte er sie an: Ach, Frau von Stephano, wenn Sie wüssten, wie es in mir aussieht. Mir ist zum Heulen zumute.

      - Ich kann es mir vorstellen, aber nun müssen wir nach vorne blicken und sehen, was zu retten ist. Noch ist nichts verloren.

      - Das Handy klingelte. Hinrich drückte ein paar Tasten: Ich habe von Ingrid eine Nachricht aus dem Krankenhaus erhalten, sagte er. Mein Vater soll schon bald operiert werden, er befindet sich in einem kritischen Zustand. Er ist nicht bei Bewusstsein. Man hat ihn in ein Tiefschlaf gelegt, weil er so unruhig war. Aber er hat eine starke Natur. Er wird die Krise überwinden. Ob er jemals wieder der Alte wird, dass können die Ärzte noch nicht sagen.

      - Ich denke, vorübergehend müssten Sie die Verantwortung für die Firma übernehmen, bis Ihr Vater wieder gesund ist, sagte Isabelle.

      - Er riss die Augen auf und blickte sie mit Entsetzen an: Ich soll jetzt die Verantwortung für die Firma übernehmen? Das kann ich nicht. Ich bin noch zu jung. Und Vater wird es nicht zulassen. Er hat kein Vertrauen zu mir, insbesondere jetzt nach der Pleite an diesem Abend schon gar nicht. Julia müsste das tun. Sie hat das Zeug dazu. Sie haben sie heute erlebt. Sie hat nicht vor allen Leuten versagt, so wie ich. Sie ist stark. Sie allein kann das schaffen.

      - Sprechen Sie mit ihr. Vielleicht macht sie das, aber ich kann es mir nicht vorstellen, denn sie ist in Nicaragua beruflich und persönlich stark engagiert.

      - Ich kann es versuchen, aber große Hoffnung habe ich nicht.

      - Einer muss es tun, wenn hier nicht alles zu Bruch gehen soll. Die Firma braucht einen kompetenten Führer und zwar schnell.

      - Er blickte sie voller Hoffnung und zugleich auch zweifelnd an: Würden Sie mir helfen?

      - Mit großer Entschlossenheit sagte sie: Ja, das würde ich, wenn Sie mich darum bitten. Ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen helfe. Haben Sie Vertrauen zu mir.

      - Er drückte ihr dankbar die Hand: Ich vertraue Ihnen.

      Sie trennten sich und verließen den Raum seiner blamablen Niederlage.

      Die Bediensteten begannen den Raum aufzuräumen, rückten die Stühle wieder an ihren ursprünglichen Platz. Nach kurzer Zeit sah es aus, als ob nichts geschehen sei. Aber es war nicht so, wie es gewesen war. Eine vollkommen veränderte Situation hatte sich ergeben. Sowohl in der Firma als auch im privaten Bereich. Jeder suchte seinen ihm vom Schicksal bestimmten Platz. Aber wo war er zu finden?

      Hinrich zog sich in sein Zimmer zurück. Alles befand sich noch an dem Platz, wo er es verlassen hatte. Die Noten lagen noch auf dem Tisch. Kaum wagte er den langsamen Satz aufzuschlagen: Andante - Langsam, ruhig. Er warf sich auf sein Bett und versuchte im Schlaf ein Vergessen zu finden. Aber er fand keine Ruhe. Was sollte er mit Isabelle machen? Sollte er sie wirklich um Hilfe bitten? Was würde sein Vater dazu sagen?

      Voller Angst quälte er sich mit unheilvollen Gedanken. Im Schlaf erschien ihm die rote Frau, wie sie aus den Flammen aus den Tiefen der Erde stieg. Sie schien ihm der leibhafte Teufel zu sein.

      Voller Schrecken wachte er auf. Verwirrt blickte er im Zimmer umher. Die Schreckgespenster waren verschwunden. War alles nur ein böser Traum gewesen? Nein, ein Traum war es nicht. Dort lagen die Noten, seine Geige, sein Anzug. Es war alles real.

      Erneut griff er zu den Tabletten, die ihm Julia gegeben hatte. Sie würden ihn Ruhe finden lassen. Aber die innere Ruhe drang nicht in sein aufgewühltes Bewusstsein. Er fühlte sich von allen guten Geistern verlassen und vereinsamt.

      Woher und von wem hätte Hilfe kommen sollen? Was hatte Julia gesagt? Hatte sie nicht gesagt, dass ihm Isabelle helfen würde oder Konselmann? Er könnte es versuchen. Er müsste mit ihnen reden.

      Auf Messers Schneide

      Wolfgang Sämann wurde zur Operation vorbereitet. Seine Schwester Ingrid war als verantwortliche Chef-Ärztin im weißen Kittel bei ihm und versuchte ihn zu beruhigen. Zunächst sollte eine Ultraschall-Untersuchung des Herzens mit einer Sonde über die Speiseröhre und den Magen durchgeführt werden. Der Patient wollte wissen, warum diese Untersuchung notwendig sei, zumal er Angst vor dem Schlucken des Schlauchs und der erforderlichen Betäubung des Rachenraums hatte.

      Ingrid erläuterte ihm das weitere Vorgehen: Du brauchst keine Angst zu haben. In der Regel gibt es bei dieser Untersuchung keine Komplikationen. Die Magensonde kennst du ja schon von der Magenspiegelung, die wir vor einem Jahr bei dir durchgeführt haben. Bevor wir uns mit der weiteren Behandlung befassen, wollen die behandelnden Ärzte sicher gehen, dass sie das Problem genau analysiert haben. Auf diese Weise können bestimmte Bereiche des Herzens wesentlich genauer und zuverlässiger erfasst werden, als bei der Ultraschalluntersuchung durch die Brustwand. Veränderungen im Bereich der beiden Vorhöfe, der Herzklappen, Blutgerinnsel aber auch Erkrankungen der vom Herz ausgehenden großen Schlagader lassen sich auf diese Weise zuverlässig erkennen. Ähnlich wie bei der Magenspiegelung wird eine biegsame Sonde über den Rachen in die Speiseröhre eingeführt. Mit dem in die Sondenspitze eingearbeiteten Ultraschallkopf lässt sich das Herz in verschiedenen Ebenen darstellen und den Blutfluss sichtbar machen, wenn Ultraschall-Kontrastmittel in die Vene eingespritzt werden.

      - Wolfgang antwortete mit schwacher Stimme: Dann sollen die Ärzte das machen, was sie für richtig halten. Wie lange wird die Untersuchung dauern?

      - Vielleicht eine Stunde, jedenfalls bist du zu Mittag wieder wach. Und dann besprechen wir alles Weitere. Aber zuvor noch eine Kleinigkeit: Für ein paar Tage wirst du hier in unserer Obhut bleiben müssen, du wirst nicht ins Büro gehen können. Es wäre gut, wenn du mir für die Dauer deiner Abwesenheit eine Generalvollmacht ausstellen würdest.

      - Voller Vertrauen blickte er sie an: Ich bin mir sicher, du wirst die Vollmacht nur in meinem Sinn ausüben.

      - Sie konnte ihn beruhigen: Die Vollmacht gilt nur für das laufende Geschäft und nicht für Geschäfte, zu denen du einen Notar brauchst: Also Immobiliengeschäfte, Verkauf und erwerb von Firmen und Beteiligungen. Einstellungen und Entlassungen von leitenden Mitarbeitern sind ebenfalls ausgeschlossen. Sobald du wieder einsatzfähig bist, gebe ich dir die Vollmacht zurück. Wenn alles gut geht, dann wird das schon in ein bis zwei Wochen sein.

      - Mit schwacher Stimme hauchte er: Einverstanden, dann lass ein entsprechendes Schriftstück aufsetzen. Ich werde es unterschreiben.

      - Sie nickte ihm zu, wendete sich zum Gehen, schloss die Tür hinter sich und kehrte nach einer Stunde mit einem Schriftstück zurück. Sie gab es ihm und erläuterte die wesentlichen Bestimmungen und Einschränkungen.

      - Er nickte zustimmend: Darüber hatten wir schon gesprochen. Er las die Vollmacht flüchtig durch, aber er konnte den Inhalt wegen der komplizierten juristischen Formulierungen nur zur Hälfte verstehen. Er vertraute ihr und unterzeichnete das Papier in Gegenwart der Chefärztin für Neurologie, die auf Ingrids Verlangen nachfolgend bescheinigte, dass er bei klarem Bewusstsein und im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte gewesen sei.

      Der Patient wurde mit seinem Bett in ein separates Zimmer geschoben. Er ließ die Untersuchung widerstandslos über sich ergehen. Er hatte nur ein Ziel: Er wollte so schnell wie möglich wieder gesund werden, nach Hause und an seinen Arbeitsplatz in die Firma zurückkehren. Er hasste es, von anderen Menschen abhängig zu sein. Sein ganzes Leben war er derjenige gewesen, der bestimmte, was zu geschehen hatte, nun aber befand er sich hilflos in den Händen anderer. Das konnte er in seinem ausgeprägten Autonomie-Bestreben nur schwer ertragen. Wenn sie auch freundlich zu ihm waren, so wehrte sich alles in ihm gegen die Bevormundung.

      - Als er aus der Narkose erwachte, war eine Ärztin bei ihm. Sie fragte ihn, wie es ihm ginge. Er befand sich allein in einem etwas abgedunkelten