Arnulf Meyer-Piening

Das Doppelkonzert


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Du meinst, so eine wie Julia?

      - Isabelle ging das Thema langsam auf die Nerven: Vielleicht, das könnte durchaus sein, aber auch sie ist nichts für dich.

      - Du wirst immer etwas an anderen Frauen auszusetzen haben, die sich in meiner Reichweite befinden, sagte er unwirsch.

      - Nicht unbedingt. Es kommt auf die Umstände an.

      - Also, was ist mit Julia?, beharrte er. Ist sie noch in ihrer Firma tätig? Guido konzentrierte sich weiterhin auf sein Anliegen: Er wollte seine Chance nutzen, in die Interna der Firma einzudringen, und wissen, wo er den Hebel anzusetzen hatte. Und deshalb musste er wissen, welchen Wirkungskreis die anwesenden Personen hatten. Er unterschied sorgfältig zwischen Zeitverschwendern und für seine berufliche Karriere wichtigen Persönlichkeiten. Julia könnte in der Zwischenzeit durchaus zu einer wichtigen Persönlichkeit geworden sein, dachte er. Das Potenzial dazu hatte sie in jedem Fall.

      - Nicht direkt. Aber sei vorsichtig. Sie ist keine Frau, die man so einfach im Sturm gewinnen kann. Sie ist wählerisch, selbstbewusst und wird eine steile Karriere machen. Jetzt leitet sie ein Forschungsinstitut.

      - In der Firma ihres Vaters? Das war nun die für ihn entscheidende Frage: Musste er Julia gewinnen, wenn er für die Sämann Gruppe tätig werden wollte? Oder war sie nur für ihre eigene Firma tätig? Er musste mehr über die Interna der Familie erfahren. Was hielt die Familie zusammen? Wer verfolgte welche Interessen? Waren es nur finanzielle Interessen oder waren es persönliche Bindungen? Es würde nicht leicht sein, an diesem Abend die Antworten zu finden. Also müsste er versuchen, einen ersten Kontakt für weitere Gespräche herzustellen.

      - Möglich. Man kann es nicht ausschließen. Es hängt davon ab, wie sich die Firma entwickelt.

      - Du sprichst von ihrer eigenen Firma oder von der ihres Vaters? Diese Unterscheidung war für ihn wichtig.

      - Von beiden. Wenn ich es recht verstanden habe, dann arbeiten die beiden Firmen auf bestimmten Gebieten zusammen. Sie arbeitet auch für die Klinik der Schwester. Sie haben gemeinsame Interessen. Sie entwickeln ein neues Medikament gegen die Niereninsuffizienz. Deshalb ist sie nach Nicaragua gegangen. In den dortigen Zuckerrohr-Plantagen ist diese Krankheit besonders weit verbreitet.

      - Sagtest du nicht, dass Herr Sämann einen Sohn hat? Ist auch er in der Firma tätig? Kommt er auch zum Essen?

      - Isabelle schien etwas ungehalten zu sein und nahm einen Schluck aus ihrem Glas, als wollte sie einen aufkommenden Ärger hinunterspülen: Sein Sohn Hinrich war auch eingeladen, sagte sie, aber er hat ohne Begründung abgesagt. Jedenfalls hat er mir keinen Grund genannt.

      - Merkwürdig. Dann muss es etwas sehr Wichtiges gewesen sein. So eine Einladung schlägt man nicht grundlos aus.

      - Sie zuckte mit den Schultern: Ich habe keine Ahnung. Ich kenne ihn wenig und kann ihn nicht beurteilen.

      - Für Guido wurde die Situation immer unübersichtlicher: Wenn Julia in Nicaragua gebunden war, dann schied sie aus dem Kreis der Entscheider in der Sämann Gruppe aus. Er musste es herausfinden. Warum war Hinrich nicht gekommen? War er der Juniorchef, die graue Eminenz im Hintergrund? Wer würde die Firma künftig leiten? Lange Zeit würde der Alte die Firmenleitung nicht mehr behalten können. Aber Hinrich war nicht gekommen. Das verwunderte ihn sehr: So ein gesellschaftliches Ereignis sagt man nicht so einfach ab. Vor allem dann nicht, wenn man sich auf eine künftige Führungsaufgabe in einer bedeutenden Firma vorbereitet. Dazu gehören die sozialen Kontakte. Ohne Kontakte ist man einsam und verloren.

      - Nicht alle schätzen den öffentlichen Auftritt so wie du. Der kleine Seitenhieb war nicht zu überhören.

      - Er gab ihn zurück: In diesem Punkt stehen wir uns in nichts nach.

      - Sie lenkte ab und nahm noch einen kühlen Schluck, sie wollte keine sinnlose Kontroverse über die Frage, wer von ihnen den stärkeren Hang zur öffentlichen Darstellung hatte. Besonders an diesem Abend nicht: Das Thema wollen wir jetzt nicht erörtern, sagte sie mit Bestimmtheit.

      Guido war das nur recht und konzentrierte sich auf sein eigentliches Anliegen: Er wollte die Familie Sämann genauer kennenlernen, die er nur aus der Ferne kannte. Er wollte wissen, wo er den Hebel ansetzen musste, um seinem Ziel näher zu kommen: Ein Beratungsauftrag. Er wusste, dass der Sämann-Clan eine einflussreiche Unternehmerfamilie war. Er wollte wissen, was aus dem jungen Start-up-Unternehmen von Julia geworden war. Hatte er damals das richtige Gespür für Menschen und ihr Erfolgspotential gehabt? Er wollte sich bestätigt sehen und hatte noch ein anderes Ziel vor Augen: Er wollte CEO (Chief Executive Officer) in seiner Firma werden. Diese Position versprach ihm Einfluss in seiner Beratungsgesellschaft. Mit dieser Position würde in die ersten Kreise der Gesellschaft aufsteigen. Er könnte sich als Kunstmäzen, als anerkannter Sammler moderner Kunst und als gesuchter Sponsor auf Charity-Veranstaltungen präsentieren. Er würde vielleicht auch zum Kanzler- oder Präsidenten-Berater ernannt werden. Und dazu brauchte er noch ein paar weitere Aufträge. Er stand kurz vor dem ersehnten Ziel. Er gehörte zu dem engeren Führungskreis, aus dem sich der künftige CEO rekrutieren würde. Es galt, nach weiteren Chancen Ausschau zu halten. Sein besonderes Interesse richtete sich auf die anderen Gästen: Wen hast du sonst noch eingeladen? Kenne ich jemand?, erkundigte er sich.

      - Gut möglich, aber du solltest möglichst alle Gäste kennen, wenn du in die einflussreichen Kreise unseres Landes eindringen willst. Da ist zum Beispiel Herr Doktor Pauli. Inhaber der Pauli-Gruppe, Maschinenbau, Chemische Erzeugnisse und Bekleidung, mit Sitz in Krefeld. Ein weit gefächertes Konglomerat von einzelnen Firmen.

      - Den kenne ich. Zu seinem Firmen-Imperium gehört die Modefirma Kamper. Ich habe vor Jahren einen Beratungsauftrag für seine Firma durchgeführt. Meine Tätigkeit war sehr erfolgreich. Ich wurde am Ende meiner Beratung zum Generalbevollmächtigten der Kamper Gruppe bestellt. Das kam damals für mich als jungen Berater vollkommen überraschend. Es war eine ungewöhnliche Situation: Im Grunde ließ sich das mit meinen Aufgaben als Berater nur schlecht vereinbaren. Damals stellte ich mir vor, was passieren würde, wenn ich Entscheidungen träfe, die zu Schadenersatzansprüchen meines Klienten gegen mich führten. Aber mein mir damals vorgesetzter Partner beruhigte mich und riet mir, den Auftrag nach bestem Wissen und Gewissen durchzuziehen. In ganz kritischen Situationen könnte ich ihn zu Rate ziehen, sagte er. Aber es ging alles gut. Ich habe die Firma aus den damals bestehenden finanziellen Schwierigkeiten herausgeführt.

      - Das klingt gut, dann könnt ihr von alten Zeiten plaudern und habt viele Anknüpfungspunkte. Sie war es zufrieden. Auf diese Weise brauchte sich Isabelle keine Gedanken um die Unterhaltung ihrer Gäste zu machen. Nichts fürchtete sie mehr, als eine gelangweilte Gesellschaft, die nichts mit sich selbst anzufangen wusste. Das Schlimmste war, wenn sich einer der Gäste zum Alleinunterhalter aufspielte, um längere Gesprächspausen zu überbrücken, und halbseidene Witze zu erzählen. Das kam tatsächlich gelegentlich vor besonders wenn Amerikaner anwesend waren. Unweigerlich passierte das, wenn einer aus dem Show-Business anwesend war. Er folgte dann dem unwiderstehlichen Drang, sich selbst zu inszenieren, was die anderen in die Rolle der unfreiwilligen Statisten drängte, die die Situation nicht immer als besonders prickelnd empfanden: Kommt Doktor Pauli allein?

      - Nein. Seine Frau Johanna ist auch dabei. Sie soll mal seine Sekretärin gewesen sein. Jetzt leitet sie die Modegruppe seiner Firma.

      - Ach, die? Ich kenne sie. Sie war damals unsere Team-Sekretärin. Eine sehr zuverlässige und auch charmante Frau, sagte Guido mit vielsagendem Lächeln. Sie hatte ihm oft geholfen, wenn es um eine Präsentation ging, und die Overheadfolien noch nicht fertig waren. Damals hatte er noch kein Team zu seiner Unterstützung.

      - Offensichtlich in jeder Hinsicht eine erfolgreiche Frau, sagte Isabelle und fragte sich, ob er wohl etwas mit ihr gehabt hatte.

      - Das wird sich herausstellen. Wer weiß, wie es der Firma heute geht. Jedenfalls bin ich gespannt, sie wiederzusehen. Sie wird sich verändert haben, schließlich sind seit unserem letzten Treffen gut zehn Jahre ins Land gegangen. Damals war sie sehr schlank und trug ihr schulterlanges Haar offen. Das stand ihr gut.

      - Hoffentlich hat sie dich in guter Erinnerung behalten. Ihre Haare sind jetzt etwas graumeliert. Aber es steht