Wie charmant du heute bist, sagte Guido, wir sind immer gut miteinander klargekommen. Sonst hatten wir keine engeren Berührungspunkte.
- Das hoffe ich sehr. Schließlich war sie eine Mitarbeiterin deines Klienten. Da wahrt man gehörigen Abstand, sagte Isabelle und sah ihm forschend in die Augen.
- Es gibt bei uns eine eiserne Regel: Don’t put your pen into your Company’s ink. Wir halten uns daran. Es hat sich in den Jahren nicht geändert. Das gehört zu unseren ethischen Standards. In diesem Punkt verstand er keinen Spaß und konzentrierte sich auf die Gästeliste.
- Du weißt jetzt, wer die wichtigsten Gäste sind, fuhr sie fort, denn das kritische Thema wollte sie nicht weiter vertiefen. Es bleibt noch ein weiterer Gast zu erwähnen: Es ist Horst Grünberg, ein Bekannter meines Ex. Er ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag. Du wirst ihn wahrscheinlich kennen.
- Das Tischtelefon läutete. Isabelle nahm den Hörer ab und ordnete sich gewohnheitsmäßig ihre Frisur. Eilfertig antwortete sie: Wir kommen sofort.
Sie erhoben sich aus ihren Sesseln und betrachteten sich noch einmal kritisch im großen Wandspiegel, der mit seinem reich geschnitzten barocken Rahmen das Entree zierte und bis zum Boden reichte. Isabelle kontrollierte noch einmal ihre Frisur und den Sitz ihres Kleides: Wie gefällt dir mein Kleid?
- Er betrachte sie aufmerksam und musste nicht schwindeln, denn sie sah wirklich bezaubernd aus: Es steht dir ausgezeichnet, sagte er. Und er erfreute sich an dem Anblick ihrer tadellosen Figur, die durch das gewagte Abendkleid besonders vorteilhaft zur Wirkung kam. Er fand, dass sie sich im Laufe der letzten Jahre zu ihrem Vorteil verändert hatte. Sie hatte leicht zugenommen und war etwas weiblicher geworden.
- Sie lächelte zufrieden, wendete sich ihm zu und rückte die Fliege an seinem Smoking-Hemd noch ein wenig zurecht, die etwas nachlässig auf halb acht zeigte. Zufrieden wandten sie sich zum Gehen und verschlossen die Tür sorgfältig hinter sich. Niemand sollte sich Zugang zu den persönlichen und vertraulichen Beratungsunterlagen verschaffen können. Das allerdings war eher unwahrscheinlich, denn alle Beschäftigten in dem Schloss waren auf Verschwiegenheit und Loyalität gegenüber dem Gastgeber und seinen Gästen verpflichtet. Eine routinemäßige Vorsichtsmaßnahme, auf die Konselmann nirgends und zu keiner Zeit verzichtete. Also auf in den Kampf!
Ein Kampf? Nein, eher ein Wettstreit um die beste Präsentation der eigenen Stärken. Darum ging es. Zu gewinnen war kein Preis, aber soziale Anerkennung und Prestige.
Der Gladiator
Isabelle führte den Gast die Treppe hinab in den großen Salon mit der Ahnengalerie, in dem schon fast alle Gäste versammelt waren. Graf Ebersbach, schlank mit leicht graumelierten Schläfen, begrüßte ihn an der weit geöffneten Flügeltür mit einer leichten Verbeugung: Herr Konselmann, willkommen in meinem Haus. Ich betrachte es als eine Ehre, Sie in meiner bescheidenen Hütte als Gast empfangen zu dürfen. Ich hoffe, Sie werden das Wochenende in guter Erinnerung behalten. Treten Sie ein und lassen Sie sich verwöhnen.
Der Graf sagte es mit einem leicht ironischen Lächeln, fast nicht zu bemerken. Er repräsentierte ein alt-ehrwürdiges Adelsgeschlecht, das in diesem Schloss seit vielen Generationen residiert hatte. Er spielte seine Rolle mit unaufdringlicher Herzlichkeit. Man konnte sich seiner Führung kaum entziehen. Fast wirkte er wie ein alter General, vielfach geübt, seinen Gefolgsleuten Befehle zu erteilen, von denen er erwartete, dass sie unverzüglich und widerspruchslos ausgeführt würden.
Der Berater beobachtete ihn genau. Er war es gewohnt, Menschen zu beurteilen und sorgfältig zu unterscheiden nach solchen, die ihm von Nutzen sein konnten, und solchen, die für ihn nur Zeitverschwender waren, um die er sich nicht bemühen musste. Zeit war sein kostbarstes Gut. Und Geld natürlich. Und Ansehen. Und Macht, aber darin unterschied er sich nicht von den anderen, die jetzt im gräflichen Schloss versammelt waren. Der Graf war eindeutig der ersten Kategorie zuzurechnen. Er war eine einflussreiche Persönlichkeit, weit über Deutschlands Grenzen bekannt, und er hatte Geld, viel Geld und vor allem Einfluss in gehobenen Kreisen.
- Konselmann verneigte sich dezent. Vielen Dank. Ich bin Ihrer Einladung sehr gerne gefolgt, entgegnete er verbindlich und begann sich unauffällig nach den anderen Gästen umzusehen. Schließlich war er hier, um möglichst viele einflussreiche Menschen kennenzulernen, mit denen er künftig Geschäfte machen wollte.
Die Gäste standen in kleinen Gruppen beieinander, waren in angelegentlichen Gesprächen vertieft, wie es schien. Der Berater überlegte, in welche Gruppe er sich einordnen wollte, als Graf Ebersbach sich den neu eintretenden Gästen zuwandte und sie auf gleiche Weise begrüßte, wobei er dieselben Worte benutzte. Fast schien es wie ein perfekt einstudiertes Theaterstück. Hunderte Mal inszeniert: Gleicher Ort, gleicher Auftritt, gleiche Beleuchtung, gleiche Regie, jedoch jedes Mal mit etwas anderen Gästen. Und darauf kam es an: Möglichst viele einflussreiche Menschen zu erreichen, um sie als sichere Multiplikatoren für die gehobenen Konsum-Produkte des Hauses zu gewinnen und sie fest an sich zu binden. Ein gutes Essen, erlesene Getränke und ein paar kleinere Aufmerksamkeiten konnten dabei nur hilfreich sein.
Isabelle nahm Guido am Arm und führte ihren Gast in den Kreis der anderen Gäste, die mit einem Glas Champagner in freundlich lockerem Gespräch beisammen standen, sichtlich bemüht, mit Geist und Witz die Aufmerksamkeit und die Bewunderung der Umstehenden zu erringen. Nur wer mit lauter Stimme sprach, konnte die anderen zum Zuhören bewegen und sie beeindrucken. Wichtig war, ein spontanes Gelächter zu bewirken, damit sich die anderen nach dem Urheber der ausgelassenen Heiterkeit umdrehten. Und dann dachten sie etwas neidisch, sie wären gern Teil dieser Gruppe, um ebenfalls so heiter und unbeschwert zu lachen.
- Isabelle klopfte an ihr Glas und ergriff das Wort: Meine Damen und Herren. Darf ich Ihre angeregte Unterhaltung kurz unterbrechen, ich möchte Sie mit meinem Studienfreund Guido Konselmann, Partner der internationalen Beratungsgesellschaft Bosko und Partner aus Düsseldorf, bekannt machen.
Der Berater quittierte die Bemerkung mit einem bescheidenen Lächeln und leicht angedeutetem Kopfnicken. Kritische Musterung der Gäste von oben nach unten: Tadellos sitzender Smoking, schwarze Schuhe, gepflegte Erscheinung, mit schwarzem Haar. Nicht zu lang und nicht zu kurz: Gerade richtig, dem festlichen Rahmen angepasst. Elegant, erfolgsgewohnt, sicher in seinen geschliffenen Umgangsformen. Keineswegs arrogant, eher bescheiden, sympathisch.
- Sie fuhr fort, indem sie sich der Gruppe zu ihrer Rechten mit einer leichten Handbewegung zuwandte: Herr Sämann, Inhaber der Firma Sämann in München und seine Schwester Ingrid Sämann. Sie leitet das Elisabeth-Krankenhaus am Tegernsee. Der Senior war etwas untersetzt mit fast weißem, sorgfältig gescheiteltem Haar, mochte wohl etwa Ende sechzig oder sogar Anfang siebzig sein: Reserviert, jovial, eine anziehende Persönlichkeit, die Aufmerksamkeit und Respekt forderte. Seine Begleitung, eine gut aussehende, ihm auffallend ähnliche, sehr vorteilhaft gekleidete Frau mit leicht ergrautem Haar, sah deutlich jünger aus als er, jedenfalls besuchte sie regelmäßig das Fitness-Studio. Sie hielt sich kerzengrade und betont aufrecht. So schien sie größer als ihr Bruder, der etwas gebeugt und unsicher stand.
Konselmann musterte sie eingehend: Sie schien herrisch, unnahbar, abweisend und kalt. Aber vielleicht war das nur Fassade, um ein weiches Herz zu verdecken. Er würde versuchen, sie in ein Gespräch zu ziehen. Wer konnte wissen, welchen Einfluss sie auf ihren Bruder hat. Es gab verschiedene Anknüpfungspunkte für eine Unterhaltung: Im Bereich der Krankenhäuser hatte sein Beratungsunternehmen allerlei Erfahrungen gesammelt. Vielleicht wäre von ihr ein Auftrag zu bekommen? Aber sein Interesse konzentrierte sich erster Stelle auf das Stammhaus der Firma Sämann. Hier setzte er den Hebel an. Er musste Prioritäten setzen.
Isabelle fuhr mit ihrer Bekanntmachung ihrer Gäste fort: Diese junge Dame ist seine Tochter Julia. Sie war wirklich sehr attraktiv, wie Konselmann feststellte, vielleicht sogar noch anziehender, als er sie vor Jahren zum ersten Mal gesehen hatte. Sie war deutlich gereift und noch attraktiver geworden: Ihr Gesicht von der Sonne gebräunt und ihre ganze Erscheinung sportlich, offenbar durchtrainiert schlank. Ihr langes blondes Haar fiel ihr leicht gescheitelt auf die Schultern. Der Berater betrachtete sie aufmerksam und sprach sie lächelnd an: Ich freue mich, Sie in