Josef Mugler

Melange, Verkehrt und Einspänner


Скачать книгу

der sich die meiste Zeit in Singapur oder Taiwan aufhält, was vom Rosenkavalier weiß!“, sinnierte Priem.

      „Vor allem: wann er kommt?“, ergänzte Weissacher.

      „Wer?“

      „Na, der Rosenkavalier!“

      „Natürlich! – aber so kommen wir nicht weiter! Wir brauchen eine Inspiration! Vielleicht einen Cognac?“

      „Gut, einen Cognac!“, willigte Weissacher ein.

      Gerade als sie die Gläser hoben, betrat Geschäftsführer Mosak den Raum.

      „Ich sehe, die Herren haben etwas zu feiern. Bin gespannt, was Sie mir berichten werden!“

      Betretenes Schweigen bei den Betroffenen.

      „Wenn Sie schon einen heben, dann wissen Sie zumindest, wo Sturiak abzu­holen ist. Denn hier sehe ich ihn noch nicht“, stellte Mosak kühl und mit spür­barem Vorwurf fest.

      „Entschuldigen Sie“, versuchte Priem seine Erklärung einzuleiten, „wir sind ihm auf den Fersen, wir haben konkrete Hinweise, wir brauchen nur etwas Fantasie für die Interpretation dieser Hinweise.“

      „Dann können sie aber noch nicht sehr konkret sein! Lassen Sie hören!“

      Mosak wurde mit dem kryptischen Satz aus Sturiaks Mund konfrontiert. Er ver­stand nichts davon. Da stürmte Anke herein, man sah ihr den Triumph an, der auch, so hofften Priem und Weissacher, Mosak wieder versöhnen würde.

      „Das Stück spielt in einem Haus vis-à-vis der Oper!“

      „Jetzt müssen wir nur noch rechtzeitig dort sein!“, ergänzte Weissacher.

      „Also dann, meine Herren, worauf warten Sie noch?“, gab sich Mosak zufrieden und anfeuernd.

      „Da bedarf es noch einer kleinen Interpretation! Wofür wir uns Impulse vom Cognac erhofften. Wie viel Uhr ist es, wenn der Rosenkavalier drei Stunden zu früh kommt?“

      Betretenes Schweigen!

      „Komische Idee! Mr. Sturiak sollte für eine Rätselzeitung arbeiten“, versuchte Mosak von seiner eigenen Einfallslosigkeit abzulenken.

      „Herrgott! Daran darf es doch nicht scheitern!“, stieß Priem verzweifelt heraus und setzte hinzu: „Anke, sieh dir doch auch die Texte zum Rosenkavalier an. Welche Zeitangaben sind in dem Stück? Wo kommt überhaupt eine Zeitangabe darin vor? Da singt doch wer etwas über die Zeit!“

      Anke versuchte es wieder im Internet. Priem war stolz darauf, dass er das mit der Zeit noch wusste, obwohl er von dem Text des „Rosenkavalier“, als er ihn einmal in der Oper erlebt hatte, kaum etwas verstanden hatte, und das war schon vor etlichen Jahren gewesen. Aber er war sich nicht bewusst, dass er damit auf eine gefährlich falsche Fährte geriet. Denn wenn die Marschallin in der Nacht alle Uhren stillstehen lässt, dann würde das nicht zum richtigen Date führen. Die Zeit, die ist eben ein sonderbar Ding!

      Dafür schaffte es wieder Anke: „Wisst ihr, was heute in der Oper gegeben wird?“

      „Ich ahne es; doch nicht etwa ‚Der Rosenkavalier’?“, versuchte Priem die Antwort selbst zu geben.

      „Und die einzige Zeitangabe, die ich gefunden habe, ist die Beginnzeit: 18.30 Uhr.“

      „Und drei Stunden früher ist 15.30 Uhr! Wir haben es!“, triumphierte Weis­sacher, aber nur kurz: Denn ein Blick auf seine Uhr zeigte ihm, dass es schon fast 15 Uhr war. Priem und Weissacher stürzten die Treppe hinunter und stiegen hastig in den wartenden Wagen der Austrian Security.

      „Zur Oper! Aber bitte schnell! Der Gesuchte wird wahrscheinlich Punkt 15.30 dort auftauchen!“

      *

      In der Hand hielt Sturiak eine etwas unscheinbare Rose, die der kleinen Sophie, die drüben auf der Bühne bald ihren Rosenkavalier erwarten würde, wohl keine Bewunderung entlockt hätte. Das feuchte Wetter tauchte die Stadt, die sonst wenigstens auf der Ringstraße den fremden Gast mit imperialem Glanz umhüllt, in kleinstädtisches Grau. Aus dem Hochnebel nieselte es nur so leicht herab, dass die meisten Passanten keinen Regenschirm aufspannten. Sturiak hatte seinen Schirm im Handgepäck, das sich in der Garderobe des Café Landtmann befand, vergessen. Er hatte ihn bisher nicht gebraucht, aber jetzt hätte er einen aufgespannten Schirm als Tarnung verwenden können. Er hätte ihn vor sein Gesicht halten und darüber hinwegspähen können, wenn sich ein Wagen näherte, sodass er beim geringsten Verdacht einer Unregelmäßigkeit im Schutz dieses Schirms den nächsten Geschäftseingang oder die Rolltreppe in die vor ihm liegende Passage unterhalb der Straßenkreuzung hätte ansteuern können. Ein Schirm wäre bei diesem Wetter ein unauffälliges Requisit gewesen. Aber stattdessen hatte er diese kleine, für einen genauen Beobachter auffällige Rose in der Hand.

      Um der zunehmenden Nässe zu entgehen, entschloss sich Sturiak, seinen auf­fälligen Standort aufzugeben und auf die andere Seite der Operngasse zu wech­seln. Dort stand dieser riesige Bau des Heinrichshofs, der zu ebener Erde Arkaden für Fußgänger bot, die von plumpen, rechteckigen Pfeilern getragen wurden. Sturiak stellte sich hinter den Eckpfeiler, wo er von vorbeifahrenden Fahrzeugen höchstens teilweise sichtbar und nicht sofort eindeutig identi­fizier­bar war. Er blickte mehrmals auf seine Armbanduhr und auf das in einiger Ent­fernung über einem Geschäftsportal angebrachte Ziffernblatt. Er konnte eine Abweichung von rund eineinhalb Minuten feststellen. Auf seiner Armbanduhr war es inzwischen 15.30 Uhr geworden, ohne dass sich ein Auto in die hier vorbeiführende Nebenfahrbahn der Ringstraße verirrt hätte. Auf der anderen Seite dieser Fahrbahn stand ein Bus, der offenbar Kunden zu einem Möbel­geschäft in einer Shopping City bringen sollte. Einige Passanten gingen an Sturiak vorüber, überquerten die Fahrbahn und stiegen in den Bus ein. Dieser füllte sich langsam und fuhr dann ab. Sturiak war dadurch offenbar einige Sekunden in seiner Wachsamkeit beeinträchtigt, denn das Motorgeräusch, das der Bus bei der Anfahrt und Be­schleunigung von sich gab, ließ ihn nicht gleich bemerken, dass plötzlich jemand neben ihm stand.

      Er hörte die Worte: „Werfen Sie die Rose weg und folgen Sie mir. Der Rosen­kavalier ist am Ziel.“

      „Woher soll ich wissen, dass Sie der Richtige sind?“ Doch Sturiak war klar, dass er das Risiko auf sich nehmen musste. Und er tat es, ohne die Antwort abzu­warten, die sowieso nicht kam, weil auch Weissacher klar war, dass es keine Sicherheit in solchen Dingen geben konnte. Die Gegenseite hätte ja vorher hier sein und einen anderen an die Stelle des echten Sturiak postieren können, um bei der Entführung des richtigen Sturiak Zeit zu gewinnen. Erst die Konfrontation mit den Computerexperten würde Sicherheit schaffen, ob es sich hier wirklich um den ersehnten Spezia­listen handelte.

      Weissacher führte Sturiak unter der Operngasse durch – der Aufgang auf der anderen Straßenseite existierte damals noch – in einen anderen Abschnitt der Seitenfahrbahn der Ringstraße, wo das Auto der Austrian Security an einem Taxistandplatz wartete. Sturiak holte tief Luft, als ob es um ein letztes Atemholen in Freiheit ginge, und stieg in den Fond des Wagens. Hier begrüßte ihn Priem mit so großer freudiger Erregung, dass Sturiak erleichtert im weichen Sitz der Limousine zusammensank. Weissacher nahm vorne neben dem Fahrer Platz. Bevor das Büro der Consulting Support angesteuert werden konnte, bat Sturiak noch um die Abholung seines Handgepäcks im Café Landtmann. Weissacher hielt das für ein unnötiges Risiko, aber Sturiak bestand darauf, weil er in seinem Gepäck auch Material für seine Arbeit mitgebracht hatte. Weis­sacher ließ sich den Garderobenschein aushändigen und erledigte die Abholung für Sturiak, den man nicht aus dem Wagen mit den für eine leidliche Abschir­mung ausreichend getönten Scheiben steigen lassen wollte.

      In Wien begann die Abendstoßzeit vielleicht etwas früher als in anderen Großstädten. Man hatte den Eindruck, als hätte jeden Tag gut die Hälfte der Beschäftigten verfrühten Dienstschluss. Daher mehrte sich auch der Verkehr auf dem Weg zur Consulting Support bereits deutlich. Als der Wagen in eine der Ausfallstraßen aus dem Zentrum einbog, musste er gleich wieder stoppen, denn es hatte sich offenbar bereits ein Stau gebildet. Das war dennoch für die kom­mende Stoßzeit zu früh, und Weissacher dirigierte den Fahrer bei der nächsten Abbiegemöglichkeit auf eine andere Route um.

      Kaum