Josef Mugler

Melange, Verkehrt und Einspänner


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dass er überzeugend geklungen hatte. Er fühlte sich fast in seine frühere Zeit als Vertriebsleiter zurückversetzt. Hier galt es, einem Kunden über die Wahrnehmung seines Käuferrisikos hinwegzuhelfen.

      „Es geht um Viren!“ Dr. Rohrig ließ immerhin schon ein wichtiges Detail aus.

      „Ich nehme an, es geht um irgendwelche biologischen Krankheitserreger und nicht um Computerviren“, mutmaßte Weissacher, bewusst ein bisschen provo­zierend, damit Dr. Rohrig endlich in Schwung kam.

      „Nein, nein“ – welche Ahnungslosigkeit! – „es geht natürlich um biologische Viren, um Grippeviren!“ Wieder versuchte Dr. Rohrig das Gespräch auf Spar­flamme zu schalten. Aber Weissacher ließ jetzt nicht locker. Er war dem Jagd­wild auf der Spur: „Weiter!“

      „Nun, wie Sie sicher aus den Pressemeldungen wissen, erwarten wir in den nächsten Jahren eine, vielleicht sogar mehrere Grippeepidemien, vielleicht sogar Pandemien. Das besondere Problem damit besteht darin, dass sich die Viren ständig verändern und daher der herkömmliche Impfschutz sowie Medikamente zur Behandlung einer bereits ausgebrochenen Krankheit versagen können. Das wäre eine ziemliche Katastrophe. – Wir könnten mit unserer Methode aber wirk­same Impfstoffe und Medikamente entwickeln.“

      „Das klingt allerdings sensationell! Was macht Sie so zuversichtlich, nachdem die großen Pharmakonzerne diese Chance viel pessimistischer beurteilen?“ Weis­sacher hatte es immer geliebt, mit Kunden über Vor- und Nachteile von Produkten, deren Inneres, deren Technologie er selbst nicht oder nur ungefähr durchschaute, zu diskutieren. Diese Lust verspürte er, nach langer Zeit, wie ihm schien, eben wieder einmal.

      „Was ich Ihnen jetzt sage, ist der Schlüssel zu unserem Erfolg und zu unserem Problem gleichzeitig: Die neue Software, die uns die Consulting Support ge­bastelt hat, hat uns in die Lage versetzt, die Mutationskorridore von Viren einzu­grenzen.“

      „Das heißt, Sie wüssten dadurch im Vorhinein, welche Viren mit welchen Eigen­schaften auftreten würden, und hätten in der Entwicklung von Impfstoffen einen entscheidenden Vorsprung vor der Konkurrenz!“ Weissacher war faszi­niert. Was für ein Trumpf für einen Verkäufer! Aber nicht das war seine Rolle hier! „Wieso sagen Sie: …’hat uns in die Lage versetzt’…? Hat es denn schon funktioniert?“

      „Das ist ja eben unsere Enttäuschung! Es hat schon funktioniert. Wir konnten bereits Mutationen eines bestimmten Virus der Vogelgrippe, die in Ostasien vor Kurzem auftrat, prognostizieren und unsere Prognosen verifizieren. Es war kein Zufall. Dass unser Ergebnis ein zufälliges gewesen wäre, liegt unter jeder ver­nünftigen Wahrscheinlichkeitsgrenze.“

      „Also muss das Programm inzwischen verändert worden sein!“

      „Und um das zu diagnostizieren und gegebenenfalls wieder zu reparieren, dazu wollte die Consulting Support, wollten die Herren Mosak und Machlinger auf einen Experten ihres Konzerns zurückgreifen. Das Programm ist durch die Kon­figuration vieler Module so kompliziert, dass wir mit unseren Möglichkeiten nicht mehr weiter kamen. Wir konnten keinen Fehler und keine Veränderung entdecken!“

      „Und damit Sturiak seinen Auftrag nicht erfüllen kann, versucht man ihn aus dem Verkehr zu ziehen! Und da es sich um milliardenschwere Gewinne handelt, die mit einem solchen Impfstoff erzielt werden könnten, werden diejenigen, die daran interessiert sind, auch keine Kosten und Mühen scheuen, Sturiaks Inter­vention zu verhindern.“

      Weissacher stellte befriedigt fest, dass er einen wichtigen Schritt weiter war. Aber es war anderseits nur ein kleiner Schritt. Denn genauso schwierig, wie Sturiak unter der gesamten Einwohnerschaft Wiens zu finden, würde es sein, seine Verfolger und deren Hintermänner zu identifizieren.

      „Dr. Rohrig, ich denke, Sie haben sich und uns schon wesentlich geholfen. Nun bitte ich Sie noch, mir eine Liste aller in Frage kommenden Interessenten an dieser Software in Europa oder“, Weissacher wurde die Globalisierung bewusst, „sagen wir gleich: auf der ganzen Welt, soweit Sie über solche Bescheid wissen, zusammenzustellen. Faxen Sie diese Liste sobald als möglich an mein Büro! – Das wär’s dann fürs Erste!“

      *

      Die Telefonzentrale von Consulting Support Vienna schaltete den Anruf von Ron Sturiak sofort zu Gerhard Priem durch.

      „Herr Sturiak, ich bin Assistent der Geschäftsleitung. Wir haben verlässliche Informationen, dass jemand Ihren Einsatz in unserem Unternehmen stören will. Wir haben Maßnahmen zu Ihrer Sicherheit ergriffen, müssen aber annehmen, dass unsere Kommunikation abgefangen wird. Bitte geben Sie uns Informa­tionen nur in verschlüsselter Form, bis wir Sie in unsere Sicherheitszone ge­bracht haben. Wir danken Ihnen für Ihr Durchhalten und wissen Ihre Hart­näckigkeit sehr zu schätzen. Wir brauchen Sie dringend! Aber wir beenden am besten dieses Gespräch jetzt und bitten Sie, uns Hinweise bei der nächsten Kontaktaufnahme zukommen zu lassen. Wir raten Ihnen, sich rasch wieder von Ihrem Standort zu entfernen, ohne Spuren zu hinterlassen.“

      Sturiak zeigte sich einverstanden. Eigentlich war er durch die Aussagen Priems mehr erleichtert als beunruhigt. Die Erleichterung rührte daher, dass er seinen Verdacht bestätigt fand und sein Partner die Sache genauso gefährlich ein­schätzte wie er. Es hätte für ihn viel unangenehmer werden können, wenn man seine Befürchtungen als Hirngespinste abgetan hätte. Jetzt wusste er, dass er nicht mehr allein gegen unbekannte Gegner kämpfte. Ab sofort ging es darum, diese zu irritieren und für ausreichende Zeit abzuschütteln, während welcher er die Brücke in die Obhut der Consulting Support überschreiten musste. Es lag an ihm, diese Brücke so zu bauen, dass sie von den Leuten der Consulting Support richtig erkannt, von seinen Gegnern aber wenigstens für einige Zeit nicht wahrgenommen würde.

      Sturiak ging den langen Korridor der U-Bahnstation „Karlsplatz“, von wo aus er telefoniert hatte, entlang Richtung Staatsoper. Doch es hielt ihn nicht länger in der Enge und dicken Luft. Als er aus der Unterführung unter der Kreuzung der Wiener Ringstraße mit der Kärntner Straße an das Tageslicht hinaufstieg, fand er sich unmittelbar vor dem Operngebäude. Hier also hatten Gustav Mahler und Richard Strauss als Direktoren gewirkt! Sturiaks Blick fiel auf das An­kün­digungsplakat für die heutige Vorstellung in einem Schaukasten an der Front­seite. Er las „Der Rosenkavalier“. Gerne hätte er seine Gegenwart ver­gessen und sich um eine Eintrittskarte umgeschaut. Aber für ihn spielte es heute keine Kavalierszene. Er war auf der Flucht vor unberechenbaren Gegnern.

      Sturiak sah auf der anderen Straßenseite eine Straßenbahnhaltestelle. Es drängte ihn, seinen Standort wieder zu verlassen, so gerne er sich hier noch länger auf­gehalten hätte, und er stieg in die erste Tramway ein, die in die Station einfuhr. Auf einem der Waggons las er den Buchstaben „D“. Im Inneren versuchte er sich anhand einer Tafel zu orientieren, wohin die Fahrt ging. Er war sich nicht sicher, ob er die Richtung „Südbahnhof“ oder „Nuss­dorf“ gewählt hatte. Aber das war ja auch egal. Sturiak stieg vor dem Burg­theater wieder aus und bestaunte die neugotische Fassade des Wiener Rathauses, das dem Theater gegenüber am Ende eines ziemlich kahlen Platzes stand. Hier wurde offenbar eine Art Marktveranstaltung vorbereitet, denn es wurde an einer Menge von kleinen Bretterbuden gezimmert.

      Sturiak versuchte während seiner unfreiwilligen Sightseeingtour krampfhaft ein Rätsel über einen Aufenthaltsort zu erfinden, wo er mit Vorsprung vor seinen Verfolgern von den Leuten der Consulting Support in Empfang genommen werden konnte. Das war aber gar nicht leicht für jemanden, der diese Stadt nur oberflächlich und obendrein seine eigenen Partner ebenso wenig wie seine Geg­ner kannte.

      Sturiak wandte sich vom Burgtheater nach links und stand nach wenigen Schrit­ten vor dem Café Landtmann, einem der renommiertesten Wiener Kaffee­häuser. Er verspürte das Verlangen, etwas zu essen oder wenigstens einen Kaf­fee zu trinken, stellte aber fest, dass dieses Lokal nur einen Eingang besaß, was in dem Fall, dass er das Lokal schnell verlassen musste, höchst nachteilig sein konnte. Er riskierte es trotzdem. Schließlich konnte doch, solange er sich nicht wieder meldete, niemand ahnen, wo er sich nun befände. Die körperliche Nah­rung würde vielleicht seinem Gehirn einen neuen Anstoß für die Konzeption eines geschickten Rätsels geben.

      Im Landtmann gewahrte Sturiak eine große Zahl von Gästen, die teils hier zu Mittag aßen, teils