Josef Mugler

Melange, Verkehrt und Einspänner


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mit wenigen Eingriffen auf verschiedene Problem­strukturen anwendbar werden müsse.“

      Weissacher hatte das Gefühl, dass er von dieser Wand, die ihm hier entgegen­stand, immer wieder abprallte wie ein Gummiball, der ahnungslos in einem Raum herumsprang, ohne seinen Bestimmungsort zu finden. Daher versuchte er es mit einer offeneren Frage:

      „Glauben Sie, dass jemand Interesse haben könnte, die Funktionalität Ihrer Soft­ware zu behindern, und wenn ja, warum?“

      „Nun, es handelt sich mit Sicherheit um eine Weltneuheit. Wir könnten berühmt werden und die Firma könnte reich werden, wenn es funktioniert. Und Nasdal vermutlich auch, wenn sie die richtigen Einsatzbereiche haben. Und die dürften sie haben. Das Interesse an unserem Programm ist dort riesengroß, genauso wie die Enttäuschung, dass es jetzt plötzlich nicht mehr funktioniert.“

      „Und Sie zweifeln nicht daran, dass es grundsätzlich funktionieren muss?“

      „Es muss funktionieren. Wir haben alles getan, alles doppelt und dreifach ge­prüft. Es muss funktionieren.“

      „Aber es will nicht!“, ergänzte Weissacher, nicht ohne wieder die Gering­schät­zung zu bemerken, die seine gefühlsbetonte Beschreibung harter Fakten be­wirkte.

      „Sagen Sie mir doch noch, wer Ihre Kontaktpersonen bei Nasdal sind. Wer ist dort Ihr technischer Ansprechpartner und wann hatten Sie zuletzt Kontakt mit dieser Person?“

      „Das ist Dr. Rohrig, Stephan Rohrig. Der hat sich zuletzt persönlich um die Sache gekümmert. Vorher war da auch noch ein Mag. Stern. Aber der wurde von dem Projekt inzwischen abgezogen. Ja, und im Kontakt mit Rohrig waren wir bis vor wenigen Tagen.“

      „Bitte halten Sie sich zur Verfügung, da ein Verbrechen nicht auszuschließen ist, zumindest solange Frau Anke nicht auftaucht.“

      Weissacher eilte zurück zu Priem. Es war mittlerweile 10 Uhr geworden und noch immer keine Spur von Sturiak und Anke.

      Da meldete sich die Telefonzentrale. Wer hatte denn da wieder Dienst? Priem kannte die Stimme nicht. Und er kannte nicht den Anrufer, der ihm angekündigt wurde. Es war Mario Andolfi. Er hätte eine wichtige Mitteilung. Er hätte Nach­richt von einem Mr. Ron Sturiak, der in Wien untergetaucht sei, nachdem er am Flughafen gestern Abend nicht wie verabredet abgeholt worden wäre und ihm auch sonst einige Umstände verdächtig vorgekommen wären. Priem schaltete den Lautsprecher ein, damit Weissacher mithören konnte.

      „Bitte sagen Sie uns, wieso sich Herr Sturiak an Sie gewendet und nicht bei uns gemeldet hat!“, begann nun Priem, das Gespräch aktiv zu gestalten.

      Andolfi erklärte seine private Beziehung und gab die Befürchtung Sturiaks wieder, dass eine Kontaktaufnahme mit Consulting Support nicht verborgen bleiben würde, wenn es wirklich jemand auf ihn und seine Arbeit abgesehen hätte.

      „Dann sind Sie aber jetzt ebenfalls in Gefahr. Denn Sie sind offenbar die einzige Person, die uns und andere zu Sturiak führen kann.“

      Andolfi schwieg betreten. So hatte er die Sache noch nicht bedacht. Er war heute etwas später als sonst ins Büro gekommen, wegen des langen Abends mit den Gästen, und hatte auch nicht gleich Zeit gefunden, dem Wunsch Rons zu entsprechen und die Consulting Support von dessen Sorgen zu informieren. Andolfi schwieg und dachte angestrengt nach, wie er aus dieser Situation wieder herauskommen könnte, freilich ohne Ron zu schaden. Aber er musste sich ein­ge­stehen, dass er, wenn es sich wirklich um eine große Sache, womöglich um eine gefährliche Sache handelte, nun mitten drin war.

      „Ich werde die Polizei verständigen“, war seine vermeintliche Notbremse.

      „Das werden Sie nicht tun“, widersprach Priem, „denn für die Polizei gibt es keine ausreichenden Anhaltspunkte. Mehr als ein mühsames Protokoll ist bei den nüchternen Fakten nicht drinnen. Herr Andolfi, Sie sind in Gefahr, wenn nicht alles ein Luftschloss ist, das sich bald in nichts auflöst! Beachten Sie, was ich Ihnen jetzt sage: Bleiben Sie in Ihrem Büro und lassen Sie um Himmels willen keine Besucher, keine Personen, denen Sie nicht hundertprozentig ver­trauen können, an sich heran! Warten Sie, bis wir uns professionell um Ihre Sicher­heit kümmern können! Nehmen Sie auch vorläufig keinen Kontakt mehr zu Mr. Sturiak auf! Es könnte unsere Widersacher auf seine Spur bringen.“

      Weissacher war zufrieden damit, wie Gerhard seine Handlungsfähigkeit wieder gewonnen und das Gespräch in die richtigen Bahnen gelenkt hatte. Nun galt es aber, sich rasch um Andolfi zu kümmern. Er war der einzige Wegweiser zu Sturiak.

      *

      Anke wusste erneut nicht, wie spät es war, als sie außerhalb des Zimmers, in dem sie festgehalten wurde, Stimmen vernahm. Eine Tür öffnete sich, zwei Gestalten näherten sich und schalteten eine Stehlampe ein, die neben der Couch stand, auf der Anke festgebunden lag. Das Licht war schwach, blendete Anke aber dennoch, da ihre Augen lange der vollkommenen Dunkelheit ausgesetzt gewesen waren. Die beiden Gestalten waren nicht Fred und Stoffel, das war Anke trotzdem sofort klar. Sie waren maskiert, primitiv maskiert, mit einem Strumpf über dem Kopf, was Anke an eine Szene aus einem Film erinnerte, den sie vor nicht allzu langer Zeit gesehen hatte. Einer der beiden hatte ein Glas mit Flüssigkeit, vermutlich Wasser, in der Hand.

      Er sagte zu Anke: „Mädchen, wenn du versprichst, still zu sein, dann nehmen wir dir das Klebeband vom Mund und die Fesseln von Händen und Beinen, und du kriegst außerdem was zu trinken.“

      Anke fühlte erneut den Durst. Sie nickte mit dem Kopf. Der andere nahm ihr das Klebeband ab, das tat zwar ein bisschen weh, wirkte aber doch wie eine Befrei­ung. Sie musste plötzlich daran denken, wie sie nach der unsanften Behandlung wohl jetzt aussähe. Aber ihr Verstand drängte sie, sich vielmehr darum zu küm­mern, was das Ganze zu bedeuten habe, und sie setzte an zu fragen. Da fuhr ihr der, der ihr das Klebeband abgenommen hatte, dazwischen, als ob er ihre Ab­sicht geahnt hätte, und sagte:

      „Lass die Fragen, Mädchen! Nebenan ist ein Badezimmer. Sieh zu, dass du wie­der in Ordnung kommst!“ Anke war froh, endlich eine Toilette benützen zu dürfen. Es war ihr egal, dass man die Tür nicht versperren konnte. Die Bewacher ließen sie einige Augenblicke allein.

      Anke beschloss, den Anweisungen zu folgen. Sie glaubte, keine andere Wahl zu haben. Widerstand gegen zwei Männer in einer ihr völlig unbekannten Umge­bung schien ihr aussichtslos.

      „Jetzt trink das! Du hast es bald überstanden, ich meine deinen unfreiwilligen Besuch bei uns. Wir sagen dir gleich, wie es weitergeht.“

      Anke hatte bereits im Badezimmer Leitungswasser getrunken und zögerte.

      „Ist gut für dich. Trink das!“, wiederholte der eine der Maskierten. Das Wasser schmeckte bitter. Sie hatten wohl etwas hinein getan. Anke schauderte bei dem Gedanken und stieß ein Schimpfwort hervor.

      „Reg dich nicht auf, Mädchen! Es ist wirklich gleich vorbei. Du darfst nur nichts über uns erfahren. Deshalb müssen wir dich nochmals ruhig stellen. Brauchst keine Angst haben!“

      Anke war wütend über die hochherzige Fürsorge ihrer Bewacher. Sie riss an den Bändern, mit welchen immer noch ihre Füße so gebunden waren, dass sie keine großen Schritte machen konnte. Sie spürte, dass sie wenig Kraft hatte. Sie sah ein, dass sie sich unmöglich selbst befreien konnte. Dann beschlich sie das Bedürfnis, sich ausruhen zu wollen. Warum nur, wo sie doch eine be­trächtliche Zeit ohnehin nur ruhig da gelegen war? Sie spürte die Schläfrigkeit, aber sie konnte sich nicht dagegen aufbäumen. Sie fühlte wohlige Wärme und Ruhe. Dann verlor sie das Bewusstsein.

      Als Anke erneut zu sich kam, war es genauso dunkel um sie wie vorher. Wieder dachte sie zuerst an einen bösen Traum, konnte nicht glauben, dass sie das wirklich erlebt hatte, was ihr die Erinnerung nach und nach preisgab. Wo war sie jetzt? War sie noch in der Gewalt ihrer Entführer oder der von diesen beauf­tragten Personen? Sie merkte, dass sie nicht mehr gefesselt war. Sollte sie schreien? Sie entschloss sich, zuerst nach Gegenständen in ihrer Umgebung zu tasten. Sie glaubte, einen ihr vertrauten Geruch wahrzunehmen. Oder roch sie sich selbst? Ihre Finger glitten eine Wand hoch, eine tapezierte Wand. Sie setzte sich auf. Langsam erfassten ihre Augen Konturen. Es war doch nicht voll­kommen finster im Raum.