Josef Mugler

Melange, Verkehrt und Einspänner


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beschloss er, das Hotel zu verlassen und Mario nochmals von einer Telefonzelle aus anzurufen. Diese musste aber weit genug von hier ent­fernt sein, sonst wäre es leicht möglich, dass seine Gegner nach Abhören seines Telefonats rasch an die betreffende Stelle dirigiert würden. Also spazierte er einige Straßenzüge weiter und bestieg dann auf der Wiedner Hauptstraße die nächste Straßenbahn, die gerade des Wegs kam. Er las an der Stirnseite die Nummer 62 und die Bezeichnung „Wolkersbergenstraße“. Sturiak war es egal, wohin diese Tramway fuhr. Er wollte auch nur ein paar Stationen weg von seinem bisherigen Aufenthaltsort kommen.

      In der nächsten Station bemerkte Sturiak, wie ein Fahrgast sich während des Aussteigens umdrehte und „Schwarzkappler“ in den Waggon zurückrief. Sturiak wusste anfangs nicht, ob diesem Verhalten irgendeine Bedeutung zukäme, das Einzige, was ihm auffiel, war, dass im letzten Moment zwei weitere Fahrgäste den Waggon verließen. Die Bedeutung wurde ihm allerdings schnell klar, als sich der zugestiegene Herr ein kleines Schild an die Brust heftete und sich als Kontrollor ausgab. Sturiak hatte keinen Fahrschein und nicht damit gerechnet, dass er auf seiner dramatischen Flucht auch noch mit solchen Zwischenfällen konfrontiert würde. Offenbar hatte aber mindestens ein weiterer Fahrgast die Bedeu­tung des Zurufs nicht verstanden. Denn der Kontrollor stieß sehr bald auf eine junge Frau, die sich zunächst verzweifelt bemühte, in ihrer Handtasche einen Fahrschein zu finden. Endlich hatte sie ihn gefunden und hielt ihn dem Kontrollor in geziemender Entfernung hin. Der wollte es aber genau wissen und entdeckte bei näherem Besehen sofort, dass dieser Fahrschein nicht gültig war. Die Suche ging von Neuem los. Sturiak war dem Fahrgast innigst dankbar für die Verzögerung. Schon fuhr die Tram­way in die nächste Station ein. Der Kontrollor forderte die junge Frau zum Aussteigen auf und sie folgte ihm wider­willig. Auch Sturiak beeilte sich, den Waggon zu verlassen, ohne zu wissen, wo er gelandet war. Er ging nun einige Straßenzüge zu Fuß weiter, bis er auf ein flaches Bauwerk stieß, das sich als über dem Straßenniveau liegende Bahntrasse entpuppte.

      Endlich tauchte auch eine einsame Telefonzelle an einer wenig befahrenen Straßen­kreuzung auf. Er hatte sich vorsorglich an der Rezeption des Hotels eine Telefonwertkarte beschafft. Tatsächlich gelang es ihm sofort, Marios Frau zu erreichen und von ihr die Büronummer ihres Mannes zu bekommen. Es war schon 11 Uhr vorbei, als das Telefon in Marios Büro läutete. Sturiak konnte durch die Telefonleitung geradezu fühlen, wie Mario in Panik geriet, als er erwähnte, dass er die Nummer von dessen Frau erhalten habe. Mario fühlte sich und seine Familie offensichtlich äußerst gefährdet. Sturiak erfuhr nun, dass sich ein Sicherheitsdienst unter der Führung eines gewissen Herrn Weissacher um ihn kümmerte. Man war also auch bei der Consulting Support Vienna zur Auf­fassung gelangt, dass ihn jemand an seiner Arbeit hindern oder vielleicht sogar „aus dem Verkehr ziehen“ wollte. Die Situation, in der er sich befand, war also, da bestand nun kein Zweifel mehr, kritisch.

      Mario zeigte sich überzeugt, dass das Gespräch von der gegnerischen Seite ab­ge­hört würde, und bemühte sich daher, den Kontakt möglichst schnell wieder zu beenden. Sturiak schien es unmöglich, auf diesem Weg einen Plan auszuhecken und zu kommunizieren, wie er weiter verfahren würde. Denn das konnten die Geg­ner damit aus erster Hand mitbekommen. Er wollte jedenfalls rasch wie­der seinen Standort wechseln und sich dann mit Consulting Support Vienna direkt in Verbindung setzen. Mario nannte Sturiak die Telefonnummer, die ihm Weis­sacher hinterlassen hatte. Sturiak kritzelte diese Nummer auf eine Seite eines ver­­dreckten Telefonbuches, das in der Zelle herumlag, und riss das Stück Papier ab. Er vermeinte gleichzeitig die Erleichterung bei Mario zu spüren, die signa­lisierte, dass dieser ab sofort nicht mehr die Schlüsselfigur in diesem Spiel sein würde.

      Sturiak verließ die Telefonzelle und stieg in einen der städtischen Busse, deren Linienführung hier vorbei führte. Bei nächster Gelegenheit wechselte er in die U-Bahn, es war die Linie U4, und Sturiak bemerkte nach einiger Zeit, dass er in die Richtung der Endstation mit dem für ihn seltsamen Namen „Heiligenstadt“ unterwegs war. Ob das ein gutes Omen war? Oder ob ihn der Zug dorthin beför­derte, wo sich die Heiligen nach ihrem Martyrium aufhielten? Er entschloss sich, in der Station Karlsplatz auszusteigen, die ihm nahe dem Zentrum zu liegen schien und als Kreuzungspunkt für mehrere Linien wohl viele durch­einander eilende Passanten erwarten ließ, die ihm notfalls Deckung gewähren oder eine eilige Flucht erleichtern konnten.

      *

      Weissacher war währenddessen auf Kosten von Consulting Support Vienna mit einer unauffälligen Limousine und einem Mitarbeiter von Austrian Security, einer privaten Sicherheitsservice-Gesellschaft oder, wie man wohl früher gesagt hätte: Detektivagentur, unterwegs. Er vermied jetzt den Telefonkontakt zu Con­sul­ting Support, weil auch er es für durchaus möglich erachtete, dass jemand die Telefonverbindungen der Firma angezapft hatte. Sobald er Priem wieder persön­lich träfe, würde er vorschlagen, den Kontakt über die privaten Mobiltelefonan­schlüsse fortzusetzen. Das war zwar ebenfalls nicht vollkommen sicher, aber die Wahrscheinlichkeit, dass jemand ihre privaten Anschlüsse ausfindig ge­macht habe und diese ebenfalls überwachte, schien ihm fürs Erste gering.

      Im Hotel in der Margaretenstraße angekommen, erkundigte er sich an der Re­zeption sofort nach Sturiak unter dessen hier verwendeten Decknamen.

      „Ja, der Herr war hier, ist aber bereits abgereist.“

      Weissacher glühte innerlich vor Zorn gegenüber Andolfis Nachlässigkeit, die ihm den Gesuchten entwischen ließ. Aber er fasste sich unter dem Druck der Aufgabe, die er nun einmal übernommen und die für das Renommee seiner jungen Firma durchaus wichtig sein konnte, und fragte den Rezeptionisten nach einem Gast namens Sturiak.

      Nachdem der Rezeptionist in seinem Computer nachgesehen und offenbar den Namen nicht gefunden hatte, versuchte er dennoch behilflich zu sein und sagte: „Einen Moment, ich muss meine Kollegin fragen. Ich glaube, den Namen heute schon gehört zu haben.“

      Das ließ Weissacher aufhorchen. Wenn sich das bewahrheitete, hätte er viel­leicht den Beweis dafür, dass jemand, der nicht wusste, dass Sturiak hier unter falschem Namen abgestiegen war, hinter diesem her war.

      Eine junge Dame kam aus dem Büro und bestätigte, was Weissacher hören wollte: „Ich habe schon Ihrem Kollegen gesagt, dass bei uns kein Mr. Sturiak abgestiegen ist. Der wollte es zwar nicht glauben, aber es ist nun einmal so. Tut mir leid, Sie können noch so oft nachfragen, ein Mr. Sturiak war nicht hier, nicht heute, nicht gestern und nicht die ganze letzte Woche!“

      „Sagen Sie mir doch bitte, wie der Kollege von mir ausgesehen hat, der nach Sturiak gefragt hat, damit ich unserer Zentrale sagen kann, dass sie hier nicht mehr nachfragen lässt.“ Weissacher wurde die schwache Logik dieser Argu­mentation zwar rasch bewusst, aber die junge Dame schien es nicht zu be­merken, sondern gab bereitwillig Auskunft, dass es sich um einen sehr gut aus­sehenden jungen Mann mit asiatischen Gesichtszügen in dunklem Anzug und mit einer sehr gepflegten Kurzhaarfrisur gehandelt habe. Der Betreffende hatte bei ihr sichtlich Eindruck hinterlassen. Die Organisation wusste offenbar, wie man Rezeptionistinnen zum Schmelzen bringt, wenn man heikle Auskünfte will.

      Weissacher bedankte sich für die Mühe und bedauerte die Belästigung. Er war sich sicher, nicht denselben starken Eindruck hinterlassen zu haben wie sein Vorgänger. Was ihn allerdings mehr bewegte, war, dass Sturiak tatsächlich ver­folgt wurde. Aber wo war er jetzt? Es war mittlerweile Mittag geworden. Weissacher entschloss sich, zu Priem zu fahren. Bisher hatte er nur Maßnahmen ergriffen, die aufgrund der Dynamik der Ereignisse keine Alternative zugelassen hatten. Aber richtig weiterkommen würde er wohl erst, wenn er sich mit den Hintergründen und nicht mit den Symptomen der Vorgänge beschäftigte.

      Er wurde am Empfang der Consulting Support Vienna sofort erkannt und in die Chefetage vorgelassen. Dort war offenbar eine intensive Beratung im Gange. Neben Mosak fand er noch Priem, den Leiter des Projektteams Machlinger so­wie Anke, die inzwischen ebenfalls eingetroffen war und den Anwesenden ge­rade über ihre Erlebnisse berichtete.

      „Haben Sie Sturiak?“, prallte ihm gleich Mosaks scharfe Stimme entgegen.

      „Nein! Er hat das Hotel bereits verlassen gehabt, als wir hinkamen. Er hat auch keine Spur hinterlassen. Aber man hat sich vor meiner Ankunft dort bereits nach ihm erkundigt. Es ist somit völlig klar, das jemand hinter ihm her ist. Ich nehme an, dass er das Hotel