Paul Sandmann

Tristan


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hat sich so sehr verändert, Tristan. Früher hat Freiheit und gegenseitiges Vertrauen unsere Liebe geprägt, jetzt aber kann ich keinen Schritt mehr tun, ohne dass Amy mich kontrolliert. Es ist vorbei."

      Dass es ihm leid täte, hatte Tristan gesagt. Er könne zwar nicht glauben, dass dies nun wirklich das Ende sei, aber er sehe ein, dass die beiden nun etwas Abstand bräuchten.

      „Ja, das tun wir. Lass uns beide heute Abend ausgehen, Tristan. Das ist es, was ich jetzt am dringensten brauche. Ich liebe dich, Mann!"

      Mit diesen Worten war er Tristan um den Hals gefallen.

      Tristan war mit seiner Rasur fertig. Er legte noch etwas Eau de Toilette auf und sah sich nach Sam um. Mit gekreuzten Armen stand sie da, während sie ihn mit träumerischen Augen anblickte.

      „Lass uns aufbrechen”, sagte er, warf sich das Sakko um und ergriff die Schlüssel.

      „Tristan!" Marcus stand auf und kam mit geöffneten Armen einige Schritte auf ihn zu.

      Tristan trat zu ihm hin und drückte fest die Hand seines Freundes.

      „Wo ist denn die hübsche Rothaarige hin?", fragte dieser mit einem lakonischen Lächeln.

      „Ich hab sie zu Hause abgesetzt, sie hatte keinen Hunger."

      Sie setzten sich. Marcus strahlte.

      „Du weißt, Cirrus war nicht sehr glücklich darüber, dass du ihm die Frau ausgespannt hast. Sie war es, die ihm aufgefallen war und wegen der wir die drei Damen überhaupt eingeladen hatten.”

      „Das tut mir leid, ist er sehr wütend?” Tristan legte sein Sakko über den Stuhl.

      „Ich weiß nicht, aber richtige Wut kann es nicht sein, dafür ist er viel zu vernarrt in die Idee, dich zu zeichnen.”

      „Komm schon”, Tristan machte eine wegwerfende Handbewegung und setzte sich, “fang nicht schon wieder damit an.”

      „Willst Du mir nichts von ihr erzählen?”, fragte Marcus, „Wie ist sie? Für einen Augenblick hatte ich geglaubt, ihr würdet ein schönes Paar abgeben.”

      „Ach, Marcus”, seufzte Tristan und fuhr sich mit der Hand über das rechte Auge. „Es gibt nichts zu erzählen. Was sollte es auch zu erzählen geben? Sie ist hübsch, nichts weiter. Ich konnte kaum drei Minuten mit ihr sprechen, ohne mich zu langweilen.”

      „Und deshalb musstest du sie küssen.” Marcus lachte. „Du hast sie geküsst, damit sie aufhört, dich zu langweilen. Das ist es, was ich so sehr an dir liebe!”

      Marcus hob die Arme und räkelte sich mit einem sichtlich amüsierten Ausdruck in den Augen. Dann gähnte er und fuhr mit seiner dunklen Bärenstimme fort: „Die Frau, Tristan, die dein Herz erobern wird, muss erst noch geboren werden!”

      Unwillkürlich gähnte auch Tristan, griff nach der Karte und sagte: „Wie auch immer, ich denke, ich nehme einen großen Salat und ein Jägerschnitzel. Und du?”

      Sie gaben ihre Bestellung auf, und Marcus begann von dem Zusammentreffen mit seiner Frau zu erzählen. Er hatte das Mädchen von gestern nicht mit nach Hause genommen und war damit der Einzige gewesen. Er war frühmorgens aufgestanden und hatte seinen Geländewagen genommen, um hinaus zu seiner Familie zu fahren, die in der Vorstadt wohnte. Amy und er täuschten den Kindern weiterhin vor, dass Papa nur vorübergehend ausgezogen war. Doch es schien immer offensichtlicher zu werden, dass dies nur eine Illusion war, die jeden Moment zu zerplatzen drohte. Amy hatte ihren Mann in der Küche zischend zurechtgewiesen, als sie erfahren hatte, dass er gestern ausgegangen war. Sie selbst hatte nach der Trennung nicht damit begonnen, sich wieder in das Nachtleben Londons zu mischen, sondern widmete sich stattdessen umso stärker ihren Kindern. Sie machte sich Vorwürfe, dass ihre Kinder nun dasselbe Schicksal ereilte wie es für den Großteil ihrer Mitschüler galt, und schien darum umso aufopfernder. Und doch konnte sie ganz allein ihren Kindern nicht das Zuhause bieten, das eine intakte Familie zu schaffen imstande war. Je mehr sie dies begriff und in den großen Augen ihrer Kinder die stumme Frage nach ihrem Vater las, umso verbitterter wurde sie. Dass Marcus nun wieder ausging, als wäre nie etwas geschehen, machte sie rasend. Sie hatte ihre Wut am Frühstückstisch vor ihren Kindern nur schwer verbergen können. Jetzt erst bemerkte Tristan den sorgenvollen Schatten in Marcus’ Gesicht, und er wechselte augenblicklich das Thema.

      „Die Frau, die ich getroffen habe, bevor ich zu euch an den Tisch zurückgekehrt bin, hast du sie gesehen?“

      „Ja”, Marcus schien dankbar dafür, dass Tristan die Dämonen seines Lebens vertrieb, „sie war entzückend.“

      „Nicht wahr?“ Tristan hob eindringlich die Hände. „Ich bin schon nach dem ersten Blick wie verzaubert gewesen. Es schien ganz so, als riefen mich Sirenen zu ihr. Ich konnte mich den Stimmen nicht entziehen. Dann sprach ich sie an und alles, was sie sagte, war so vollkommen richtig. Jedes Wort schien zu passen und...“ Tristan gab Marcus ein Zeichen sich vorzubeugen, „ich fühlte mich, als ob sie jeden meiner Gedanken lesen konnte.“

      „Tristan!“ Marcus klatschte in die Hände, „das sind ja ganz neue Töne! Warum bist du dann überhaupt zurückgekommen?“

      „Ihre Begleitung erschien irgendwann. Aber ich werde sie wiedersehen. Ich habe ihr meine Karte hinterlassen, und sie gab sie mir zurück, kurz bevor sie die Bar verließ, mit ihrer eigenen Telefonnummer darauf.“

      „Na, wenn das nicht der Beginn einer märchenhaften Liebe ist...“, murmelte Marcus ironisch und rückte etwas zurück, um dem Kellner Gelegenheit zu geben, ihm den Teller mit Schweinshaxe und Kartoffelpüree hinzustellen.

      „Warte nur, irgendwann finde ich die richtige Frau. Ihr werdet noch alle staunen.“

      Stumm stach Marcus in seine Schweinshaxe und genoss den Duft des heißen Fleisches, der aus dem Einschnitt aufstieg.

      „Was ist eigentlich Montag los, hat sich nicht jemand angesagt?“, fragte er nach einer kurzen Pause.

      Tristan dachte einen Moment kauend nach, dann erinnerte er sich: „Doch, wir bekommen Besuch von den Herren, die für die Renten des Landes zuständig sind. Sie wollen ein paar Investitionen mit uns besprechen und am Abend auch noch was erleben.“

      Marcus verzog die Augenbrauen, hob die Hand, in der er das Messer hielt und begann damit kleine Kreise durch die Luft zu ziehen, während er fragte: "Nein, wirklich?" Er lachte laut auf. „Oh, wie ich es liebe, jedes Mal das gleiche Schauspiel! Da kommen sie her in ihren blütenweißen Hemden, zitternd vor Vorfreude über ihren einen großen Tag. Stolz und mit den Millionen der Rentner in den Taschen, lassen sie sich von uns hofieren. Selbstverständlich geht alles auf Kosten unserer Bank, Geschäftsessen, Nachtclubbesuch und Prostituierte. Wenn die lieben Rentner doch nur wüssten, dass wir den Preis dieser sündigen Nächte mit in unser Honorar einberechnen.” Er machte eine effektvolle Pause, dann verzog er das Gesicht und rief: “Gib alles, Kätzchen, der gute Opa zahlt!"

      „Hmm”, pflichtete ihm Tristan nachdenklich bei, "wie gerne man sich doch was vormacht, wenn man nicht selber zahlen muss."

      „Ach, ich bitte dich. Die Herren wissen, wie es läuft, glaub mir. Aber sie verdrängen es, um ihr Gewissen rein zu halten. Können sie doch auch, die Einzelpositionen des Abends tauchen in der Rechnung, die die Bank ihnen ausstellt, schließlich niemals auf. Dort steht allein die Beratungsgebühr. - Wer führt die Herren diesmal aus?", fragte Marcus.

      „George und ich”, antwortete Tristan.

      „Gut, dass George dabei ist”, sagte Marcus kauend, "niemand könnte geeigneter sein. Das Geschäft ist nur sauber, wenn du es mit der Ethik nicht so ernst nimmst. Ich bin einmal mitgegangen. So einen niedrigen Auftrag haben wir noch nie erhalten. Gewissensbisse eines Einzelnen schlagen sofort auf die allgemeine Stimmung. Es ist wie ein Pakt, in dem sich alle voll und ganz gehen lassen und alle Grenzen fallen müssen. Jemand mit Grenzen verdirbt gleich das ganze Spiel."

      „Was hast du gemacht?"

      „Ich konnte Amy nicht betrügen, selbst wenn es damals schon richtig schlecht lief zwischen