Reinhold Vollbom

Grüße von Charon


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Harnoff sah ihm angesäuert hinterher. Du verpfeifst keinen, schoss es ihm durch den Kopf. Wenn morgen Nachmittag der Chef der Polente kommt, liegst du ohnehin im Leichenschauhaus. Nicht umsonst habe ich das Obst mit Zyankali vollgepumpt. Mit Sicherheit fällt kein Verdacht auf mich. Joes Gesundheit war ohnehin seit Langem angeschlagen. Hämisch grinsend verließ er das Besucherzimmer.

      Am anderen Tag klopfte es kraftvoll an Gil Harnoffs Wohnungstür. »Was wollen Sie hier?«, fragte dieser verblüfft, nachdem er die Tür geöffnet hatte.

      Der Kriminalbeamte zeigte ihm seine Dienstmarke. »Sie verhaften wegen Mordversuchs an Joe Patzke. Außerdem sind Sie der zweite Täter, der mit Joe den Banküberfall verübte.«

      »Mordversuch?«

      »Ja. Joe Patzke wurde letzte Nacht mit Magenkrämpfen auf die Krankenstation eingeliefert. Da hat man dann eine Zyankalivergiftung festgestellt. Normalerweise hätte die Menge Zyankali, die ins Obst gespritzt wurde, ausgereicht, ihn ins Jenseits zu befördern. Da Kaliumcyanid durch Fruchtsäure abgebaut wird, hat die toxische Wirkung bei ihm lediglich Magenkrämpfe verursacht. Sie können sich vorstellen das Joe heute Morgen auf der Krankenstation, nach dem Anschlag auf ihn, wie ein Kanarienvogel trällerte. Sozusagen als Entgegenkommen dafür, dass er auspackte, darf er dieses Wochenende seine Großmutter besuchen.«

      Gil Harnoff war sich nun im Klaren darüber, wer den Rest des Geldes vom Überfall ausgeben würde.

      Versuchte Täuschung

      Der Vierzigjährige, mit dem schwarzen Haar und der gepunkteten Fliege, sah verloren in sein ausgetrunkenes Whiskyglas.

      »Noch einen?« Die dralle brünette Bedienung hinter dem Tresen des Blue Moon sah ihn im Schummerlicht prüfend an.

      »Ja, bitte. Geben Sie mir noch einen Whisky. Aber Marlowe muss es sein. Ich trinke keinen anderen.«

      Kurz darauf schob ihm die Bardame das halbgefüllte Glas zu. »Sorgen?« Mit sachkundigem Blick vermutete sie, dass ihrem Gast schwere Nöte plagten.

      »Ja, ja, schon. Aber damit will ich Sie nicht langweilen.« Mit einem netten Lächeln bedankte er sich für ihr Interesse.

      »Ach, kommen Sie, dafür werde ich bezahlt. Was meinen Sie, wie viel Ehemänner mir ihr Herz ausschütten. Und keinem ging es danach schlechter als vorher.« Ihre lächelnden Augen sahen ihn fragend an.

      »Gerhard Sander«, stellte er sich kurz vor.

      »Der Sander von Behnecke und Sander

      »Ja. – Behnecke ist mein Kompagnon.«

      »In der Zeitung habe ich doch neulich erst gelesen, dass es Ihrer Firma blendend geht. Wo drückt der Schuh? Ist Ihre Ehefrau durchgebrannt?«

      »Nein, nein«, versuchte er gleich zu beschwichtigen. »Lars, mein Kompagnon, und ich sind Junggesellen.« Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. »Das war richtig, was Sie da in der Zeitung gelesen haben, dass es unserer Firma gut geht. Jedenfalls noch gut geht. Nächste Woche steht eine Bilanzprüfung an. Danach wird es nicht mehr so gut um uns bestellt sein. Es fehlen mehrere Millionen in der Kasse.«

      »Dafür wird es doch einen Grund geben.«

      »Richtig. Die Ursache bin ich. Ich wollte die Firma hoch katapultieren, wollte von heute auf morgen ein Weltunternehmen aus der Firma machen. Dazu habe ich einige Transaktionen vorgenommen. Damit das ganze Schneller und reibungsloser über die Bühne geht, habe ich Lars einige Verträge untergeschoben, die er auch anstandslos unterschrieb.«

      »Was denn, Sie durften Ihre eigenen Verträge nicht unterschreiben?«

      »Doch, doch«, wehrte er gleich ab. »Aber wir haben Arbeitsteilung. Meine Geldgeschäfte fielen in das Ressort von Lars. Wenn bei den Banken plötzlich mein Name auf einigen Verträgen aufgetaucht wäre, dann wäre das zwar rechtlich in Ordnung gewesen, hätte aber mit Sicherheit zu Rückfragen geführt. Und Lars durfte keinen Wind von der Sache bekommen. Ich hatte ihm früher schon einmal meine Ideen vorgetragen. Er konnte sich dafür jedoch nicht begeistern. Nun wollte ich die Sache an ihm vorbei durchziehen. Hinterher, so hatte ich mir das ausgemalt, wäre er mir für immer dankbar gewesen.«

      Die Brünette betrachtete ihn mitleidig. »Und nun ist Ihre Seifenblase geplatzt und die Millionen fehlen.«

      Der andere starrte regungslos geradeaus. Wortlos schob er ihr das leere Glas hinüber. Sie füllte es zum wiederholten Male und gab es ihm zurück. Es dauerte eine Weile, bis er sich ein wenig schwerfällig erhob und die Bar verließ.

      Nachdem er den exklusiven Wohnblock in der Hauerbachstraße betrat, sah ihn der Nachtportier erstaunt durch die Scheibe an. »Ich wusste gar nicht, dass Sie Ihre Wohnung verlassen hatten, Herr Sander. Eine Gute Nacht wünsche ich Ihnen.«

      Doch der andere sagte kein Wort, sondern erwiderte den Gruß nur mit einer flüchtigen Handbewegung, um gleich darauf im Aufzug zu verschwinden.

      ◊

      Suchend tastete sich die Hand von Kommissar Steffen durch das Dunkel des Schlafzimmers zum Telefonhörer.

      »Kröger, du?! Verflixt! Weißt du, wie spät es ist?!« Mit einem Blick auf den Wecker fügte er an: »Es ist haargenau zehn Minuten vor halb eins.« Gleich darauf lauschte der Kommissar mehrere Augenblicke in den Hörer. »Welcher Sander? … Ach so, der. – Höchstwahrscheinlich aus dem Fenster gesprungen, sagst du?! Um diese Uhrzeit! – In Ordnung, wir treffen uns gleich in der Hauerbachstraße.«

      Gähnend begab sich Kommissar Steffen auf den Weg ins Bad. Warum ist er ausgerechnet um diese Zeit gesprungen, knurrte der Kriminalbeamte.

      In der Hauerbachstraße wartete bereits sein Assistent Kröger auf ihn. »Vorn auf dem Gehweg liegt er. Wegen den schaulustigen Personen haben die Feuerwehrleute eine Decke über ihn gelegt. Wollen Sie ihn sich ansehen?«

      »Nein, lass gut sein. Nicht auf nüchternen Magen. Wo kommen die Leute um diese Uhrzeit alle her?«

      Kröger überhörte die Frage des Chefs. »Gemäß Polizeiarzt ist er gleich tot gewesen. Vermutlich hat er sich vom Balkon seiner Penthouse-Wohnung gestürzt.«

      »Wann ging der Notruf ein?«

      »Ein Nachbar aus den umliegenden Häusern hat die Feuerwehr gerufen. Er konnte nicht schlafen und stand zufällig am Fenster, als er einen kurzen Schrei hörte. Dann sah er nur noch den Toten auf dem Gehweg liegen und hat gleich die Feuerwehr gerufen. Der Notruf ging genau fünf Minuten nach Mitternacht ein.«

      »Na komm, Kröger, lass uns nach dem Grund seines Sprungs forschen. Am besten fangen wir beim Nachtportier an.« Gähnend schritt Kommissar Steffen voran.

      »Ich habe mich schon kurz mit dem Portier unterhalten. Das bisschen, was er trotz seiner Brille noch sieht, wird vom Elfengeist überlagert.«

      »Elfengeist? – Ach so.«

      Nachdem die beiden die Pförtnerloge erreicht hatten, befragten sie den Portier nach Einzelheiten. Dieser stand unter dem Schock der Ereignisse und antwortete ausgesprochen aufgeregt. »Wissen Sie, Herr Kommissar, kurz zuvor habe ich ihn noch gesehen und gesprochen, als er nach Hause kam. Und keine fünf Minuten später ist er tot. Schrecklich!«

      »Wann kam er denn nach Hause?«, fragte der Kommissar gespannt.

      »Um Mitternacht. Das heißt, ein oder zwei Minuten danach.«

      Verblüfft sah ihn der Kommissar an. »Woher wissen Sie das so genau?«

      »Wegen der Hymne. Pünktlich um Mitternacht wird im Radio immer die Nationalhymne gespielt. Und irgendwann, mittendrin, kam Herr Sander nach Hause. Es sah so aus, als hätte er große Sorgen gehabt, wissen Sie. Sonst sagt er immer ein paar nette Worte zu mir. Nichts Besonderes, aber irgendetwas. Nur heute Abend ging er einfach durch, ohne ein Wort zu sagen.«

      Nachdem die beiden Kriminalbeamten mehrere routinemäßige Fragen gestellt hatten, ließen sie sich vom Portier die Schlüssel