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Morde und Leben - Leber und Meissner


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gewesen, ich kann mich noch genau an die Grenzkontrollen erinnern, die ja zum Glück nun weggefallen sind.

      „Wenn ich mit Max und Paul am Checkpoint Charly stehen würde, um ihnen etwas über die Berliner Mauer zu erzählen, käme mit Sicherheit nicht das herüber, was zur Zeit ihrer Existenz bei ihrem Anblick herübergekommen wäre, es gibt ja nur noch die Markierung auf der Straße, was aber der „antifaschistische Schutzwall“ wirklich bedeutet hat, das kann man kaum erzählen. An diesem Abend ging KHK Leber um 22.30 h schlafen, er fühlte sich zwar nicht mehr ganz so schlecht, spürte aber immer noch die Nachwirkungen des letzten Abends. Frau Leber ruhte sich noch kurz am Fernseher aus, ging danach aber auch ins Bett, die Jungen kämen sicher erst mitten in der Nacht, wenn ihr Mann und sie schon längst schliefen.

      Am Sonntag war sehr schönes Wetter und die Lebers frühstückten draußen, die Jungen schliefen aus und stießen erst später zu ihnen, als sie schon beinahe mit dem Frühstück fertig waren. Sie mussten am Nachmittag nach Dortmund zurück, ihr Vater brächte sie nach Duisburg zum Hauptbahnhof, von wo sie eine Mitfahrgelegenheit in ihre neue Heimat hatten. Sie bekämen zu Hause noch ein anständiges Mittagessen, ihre Mutter hatte einen Rinderbraten im Ofen und würde Kartoffeln und Salat dazu machen, das Mittagessen gäbe es um 13.00 h. Bis dahin hatten sie noch zweieinhalb Stunden Zeit und ihr Vater schlug vor, einen kleinen Gang durch die Gemeinde zu machen, wie lange das wohl schon her war, dass er einen Spaziergang mit seinen Jungen unternahm, dachte er. Früher ging er an jedem Sonntag vor dem Mittagessen mit ihnen, als die Jungen aber vor ihrer Konfirmation jeden Sonntag in die Kirche mussten, schlief das ein, nach der Konfirmation gingen die Jungen nicht mehr in die Kirche, hatten aber auch keine Lust mehr auf einen Spaziergang mit ihrem Vater. Jetzt, wo die Jungen beide um die zwanzig waren, war das etwas ganz anderes, sie vermochten aber nicht zu sagen was, es befiel die beiden eine Erinnerung an früher, und doch war das Damals mit dem Heute nicht zu vergleichen, der Zwang war nicht mehr da, sie gingen heute freiwillig mit ihrem Vater durch die Nachbarschaft, und ihr Vater war älter geworden, genau wie sie auch.

      Sie sahen die Nachbarschaft mit den Augen des Besuchers nicht mehr mit den Augen des Anwohners und das verschaffte ihnen einen übergeordneten Blick, mit dem sie sich heute freier fühlten als damals. Sie trafen vereinzelt Nachbarn vor ihren Häusern an, die sie seit Jahren nicht gesehen hatten und die sie nicht erkannten, als sie sie grüßten. Erst als ihr Vater die Nachbarn darüber aufklärte, mit wem er da durch die Gegend spazierte, dämmerte es ihnen und sie grüßten erfreut zurück. Sie kamen auf ihrem Spaziergang schließlich ins Ortszentrum von Mersdonk und ihr Vater schlug seinen Jungen vor:

      „Lasst uns doch zu Küppers zu gehen und einen kleinen Frühschoppen nehmen! Wir rufen später Eure Mutter an, dass sie uns abholen kommt“, und die Jungen waren einverstanden. Bei Küppers saßen einige Alte, die vermutlich vorher in der Kirche gewesen und auf dem Nachhauseweg in der Kneipe hängen geblieben waren. Manche tranken an diesem Sonntagmorgen so viel, dass sie zu Hause sicher Schwierigkeiten mit ihren Frauen bekämen, die den ganzen Morgen in der Küche standen und sich um den Sonntagsbraten kümmerten. Vater Leber trank mit seinen Jungen ein Bier, danach war Schluss, er rief zu Hause an, dass seine Frau käme und sie abholte. Kurze Zeit später kam Frau Leber in die Kneipe und blickte zunächst leicht missmutig zu ihrem Mann und ihren Jungen, war aber sofort wieder guter Stimmung als sie sah, dass alle drei vollkommen nüchtern waren, KHK Leber zahlte, und sie fuhren nach Hause.

      Es roch schon draußen sehr lecker nach dem Rinderbraten, den Frau Leber zubereitet hatte und sie fanden auch schon den Tisch gedeckt, sodass sie sich nur noch die Hände wuschen und sich zum Essen hinsetzten. Bei den Jungen kam eine Vorfreude auf das köstliche Essen auf, das sie so sehr an früher erinnerte und zu ihren Lieblingsspeisen zählte. Meistens hatte es sonntags auch immer eine Vorsuppe gegeben, Hühnersuppe, in der die Hühnerleber und der Hühnermagen schwammen oder Rindfleischsuppe mit Fleischeinlage, die Hühnersuppe war nicht jedermanns Sache, die Junge aßen sie aber sehr gern. Ihre Mutter hatte zum Nachtisch einen Schokoladenpudding angerührt, auch der gehörte zu den heiß begehrten Speisen der Jungen, sie gaben immer Vanillesoße darüber. Zum Abschluss des Essens tranken sie alle eine Tasse Kaffee und danach wurde es für die Jungen langsam Zeit, ihre Taschen zu packen und mit ihrem Vater nach Duisburg zu fahren. Ihre Mutter hatte ihre frisch gewaschenen Sachen schon zusammengelegt, sie mussten sie nur noch in ihren Taschen verstauen, und es kam der Moment des Abschieds. Sie nahmen ihre Mutter in den Arm und drückten sie, ihr standen die Tränen in den Augen, ihre Jungen bedankten sich für das gute Essen und stiegen in den Wagen. Ihr Vater kam, startete den Wagen, und sie fuhren Richtung Autobahnauffahrt Alpen, die Jungen winkten ihrer Mutter noch, bis sie um die Ecke verschwunden waren.

      Sie erreichten nach ungefähr einer halben Stunde den Duisburger Hauptbahnhof, die Jungen würden ihren Fahrer am Bahnhof treffen. Ihr Vater setzte sie vor dem Bahnhof ab und verabschiedete sich von seinen Söhnen, er steckte jedem noch fünfzig Euro zu, und seine Jungen wünschten ihm viel Erfolg in Berlin, danach drückten sie ihn und er fuhr wieder nach Hause. Er trank mit seiner Frau noch einen Kaffee und kümmerte sich darum, dass sein Trolley gepackt war, den er mit nach Berlin nähme, aber es waren ja nicht so viele Sachen, die er für die drei Tage mitnehmen musste. Später gingen sie zu Meissners hinüber, um mit ihnen etwas zu trinken und zu besprechen, wann sie am nächsten Morgen losführen, eine der beiden Frauen würde sie nach Duisburg bringen und dort am Mittwoch auch wieder abholen. Die Meissners fragten:

      „Wie hat es den Jungen zu Hause gefallen?“ und Lebers antworteten:

      „Die Zeit viel zu kurz gewesen, in der man sich gesehen hat. Wir wissen noch nicht, wann unsere Jungen das nächste Mal kommen, werden aber dafür sorgen, dass sie länger blieben als bei diesem Mal!“

      „Rebecca kommt erst in drei Wochen“, sagten die Meissners, „wir haben mit ihr telefoniert, Rebecca fühlt sich in Münster sehr wohl und kommt mit ihrem Studium gut klar.“ Herr Meissner hatte den Frauen ein Glas Wein eingeschenkt und für seinen Kollegen und sich Bier auf den Tisch gestellt.

      Viel durften sie an diesem Sonntag nicht trinken, weil sie am Montag früh aufstehen mussten und zum Zug führen, aber das frühe Aufstehen hatten sie an normalen Werktagen genauso, das war also nichts Besonderes. Sie aßen alle zusammen zu Abend, es gab ein paar Wurst- und Käseschnitten, sonst nichts, es hatte aber auch niemand großen Hunger, sodass die Schnitten völlig ausreichten. Um 20.00 h gingen Lebers wieder zu sich, Frau Leber würde am nächsten Morgen den Fahrdienst übernehmen, am Mittwoch führe Frau Meissner nach Duisburg und holte die Männer wieder ab. Lebers und Meissners sahen am Abend noch ein wenig fern und gingen relativ früh ins Bett. Am Montagmorgen standen sie um 6.00 h auf, ihr ICE führe um 8.10 h, sodass sie um kurz vor 7.00 h losfuhren und noch einen Zeitpuffer hatten, man wüsste ja nie, ob sie nicht auf der Autobahn in einen Stau kämen. Um 7.40 h kamen sie am Hauptbahnhof an, Herr Leber gab seiner Frau einen Kuss auf die Wange und sagte Tschüss bis Mittwoch, Herr Meissner drückte sie kurz. Frau Leber winkte flüchtig und fuhr wieder los, die beiden Kommissare mussten durch den gesamten Bahnhofsschlauch laufen, bis sie am Ende ihr Abfahrtsgleis elf erreichten. Da sie noch etwas Zeit hatten, stellten sie sich unten an die Kaffeebude und tranken einen Cappuccino, der zwar nicht so hervorragend schmeckte, den man aber durchaus trinken konnte. Um 7.55 h liefen sie zum Bahnsteig hoch und sahen auch schon ihren Zug auf der Anzeige.

      Der Duisburger Bahnhof war sehr groß und man konnte alle Gleise überblicken, es war um diese Tageszeit eine Menge los und sie sahen viele ICEs, die alle möglichen Städte ansteuerten. Um 8.10 h lief pünktlich ihr ICE ein und hielt mit ihrem Waggon direkt vor ihnen, sie steigen ein und suchten ihre reservierten Plätze und als sie sie fanden, sahen sie sie besetzt. Nachdem sie den Leuten, die auf ihren Plätzen saßen, freundlich gesagt hatten:

      „Die Plätze sind von uns reserviert worden, stehen Sie doch bitte auf!“, räumten sie die Sitze und machten den Kommissaren Platz. Sie legten beide ihre Trolleys über sich in das Kofferfach und hatten zwischen sich einen Tisch, was sie sehr angenehm fanden, konnte doch jeder seine Zeitung ausbreiten und in Ruhe lesen. Der Zug war voll, weil um 8.00 h die Zeit war, zu der die meisten Geschäftsreisenden fuhren und wenn man keinen Sitzplatz reserviert hatte, musste man im Regelfall stehen, die Kommissare sahen die Leute nicht mehr, die vorher auf ihren Plätzen gesessen hatten. Der Zug setzte sich in Bewegung und man spürte kaum die große Geschwindigkeit, mit der er sich