Heike Möller

Weltenwanderer-Chroniken II


Скачать книгу

Täter wurde verhaftet und die Sonderkommission arbeitete eng mit der Staats­anwaltschaft zusammen. Alle Beweise wurden mehrfach gesichtet und überprüft, ebenso die Zeugenaussagen und die Alibis. Jetzt, nach fast einem Jahr, stand der Pro­zess kurz bevor und die Staatsanwaltschaft und die Polizisten der Sonderkommission hofften, dass das gesammelte Material für eine Verurteilung ausreichen würde und der Täter nie wieder als freier Mensch herumlaufen kann.

      „Das ist eine ausgezeichnete Idee, Andi. Irland ist im Winter sehr schön und ruhig. Da wirst du dich bestimmt erholen können.“

      Sondra Wieland hatte die Anspannung ihres Freundes in den letzten Monaten kaum ertragen können. Es gab Momente, in denen Andreas das Lachen zu verlernen schien. Es musste grauenvoll gewesen sein, was er zu sehen bekommen hatte.

      Andreas lächelte seine Freundin jetzt dankbar an. „Es war bestimmt nicht leicht mit mir in letzter Zeit.“

      „Ich liebe dich, du Holzkopf“, sagte sie zärtlich.

      Damit war alles gesagt. Sondra lehnte sich lächelnd in den Autositz zurück und dach­te an den Moment in Vilgard, als sie befürchtete Andreas durch den Messerstich eines Trolls zu verlieren. In diesem Moment war ihr bewusst geworden, dass der Mann, den sie in ihren Armen gehalten hatte, ein bedeutender Teil ihres Lebens sein würde.

      Und sie hatte nicht vor, diesen Mann jemals wieder gehen zu lassen.

      Die Eltern von Andreas, Silke und Olav Laurenz, hatten ein kleines Gestüt. Als An­dreas mit Sondra vor das Haupthaus fuhr, ging die Haustür auf und Olav Laurenz trat vor die Tür.

      „Schön, dass ihr gekommen seid, Kinder!“ Er umarmte nicht nur seinen Sohn zur Begrüßung, sondern auch Sondra.

      Olav Laurenz war Anfang sechzig, groß und hager. Seine blauen Augen blickten im­mer forschend in die Gesichter seiner Gesprächspartner und er war ein unbe­stechlicher Geschäftsmann. Seine Familie war ihm aber das Wichtigste. Egal wie ge­winnbringend ein Projekt sein konnte, sobald ein Mitglied seiner Familie ihn brauch­te, war er zur Stelle und er ließ alles andere stehen und liegen.

      Olav legte einen Arm um Sondras Schulter. „Andi, du bringst Sondra viel zu selten hierher. Wenn sie hier ist, geht es einem gleich viel besser.“

      Andreas grinste seinen Vater an. „Na-na, du alter Schwerenöter! Begebe dich nicht auf fremdes Terrain!“

      Lachend führte Olav Sondra galant in das Herrenhaus, hängte ihren Trenchcoat auf einen Bügel und gab ihr ein paar Gästepantoffel. Sondra fand das von Anfang an ir­gendwie süß. Sie wäre barfuß oder mit frischen mitgebrachten Socken umher ge­laufen. Aber die Eltern von Andreas bestanden nun mal auf die Pantoffeln.

      „Seht mal, wen ich hier habe“, sagte Olav und zog Sondra lächelnd an der Hand führend in das Wohnzimmer.

      Silke Laurenz stand auf, ebenfalls lächelnd. Sie hatte warme, braune Augen und sanf­te Gesichtszüge. Ihre hellblonden Haare waren kinnlang und benötigten noch keine künstliche Farbe. Lachfalten hatten sich neben den Augen und in den Mundwinkeln tief eingegraben.

      Sie war Ende fünfzig, aber so manche vierzigjährige Frau wäre neidisch auf die schlanke, sportliche Figur dieser Frau.

      „Sondra, Liebes! Schön, dass du hier bist.“ Silke nahm Sondra in die Arme und küsste sie auf beide Wangen. Sondra erwiderte die Küsse und strahlte die ältere Frau an.

      „Ich freue mich auch, wieder mal hier zu sein. Danke für euer herzliches Will­kommen!“

      Andreas hatte inzwischen seine Schwester Petra umarmt und wurde nun von dem sechsjährigen Jonas angesprungen. Spielerisch, als ob der Knirps zwei Zentner wie­gen würde, strauchelte Andreas rückwärts und ließ sich laut stöhnend auf die Couch fallen.

      „Sag mal, hast du Kraftfutter der Pferde zu Essen bekommen?“

      „Nö, Onkel Andi. Ich laufe viel und mache jetzt Judo! Und in der Klasse bin ich der Beste im Sport!“

      Jonas war gerade erst eingeschult worden. Er war ein guter Schüler, dem das Lernen Spaß machte und der alles Neue in sich aufsog wie ein Schwamm.

      Petra Schubert, geborene Laurenz, umarmte Sondra ebenfalls zur Begrüßung. Sie hatte die blauen Augen ihres Vaters, aber das warme Wesen ihrer Mutter. Wenn sie lachte, bildeten sich auf den Wangen links und rechts zwei tiefe Grübchen und ihre Augen strahlten mit der Sonne um die Wette.

      „Schwesterherz, kriegst du Zwillinge oder warum gehst du so auseinander?“

      „Andi!“ Sondra war ein wenig entsetzt über die ruppige Art, aber Petra lachte nur.

      „Volltreffer, großer Bruder. Ich bekomme ein Doppelpack. Aber ich habe noch drei Monate.“

      Petra klopfte sanft mit der flachen Hand auf den gewölbten Bauch. „Wann werdet ihr zwei für Nachwuchs sorgen?“

      Sondra wurde puterrot und stöhnte auf. Andreas grinste erst Sondra und dann seine Schwester an. „Eins nach dem anderen, Pittiplatsch.“

      „Werde nicht frech, Rübennase!“

      Sondra lächelte in sich hinein. Die beiden Geschwister hatten ein wirklich herzliches und vertrautes Verhältnis zueinander. Sie konnten gar nicht aufeinander böse sein.

      Nach dem Abendessen – Sondra hatte bei dem Tischgebet, das in diesem Haus üblich war, die Hände ihres jeweiligen Sitznachbars ergriffen und respektvoll geschwiegen – wollte Petra ihren Filius ins Bett bringen. Aber Jonas maulte solange herum, bis Andreas ihn sich einfach über die Schulter warf und zusammen mit ihm und seiner Schwester in das alte Zimmer von Petra verschwand.

      Sondra blickte ihrem Freund zufrieden lächelnd nach.

      „Wir konnten dir noch gar nicht zu deiner Doktorwürde gratulieren, Sondra“, sagte Olav, während er sich seine Pfeife stopfend im Sessel vor dem Kamin zurücklehnte.

      „Danke, Olav. In den letzten vier Monaten ist soviel passiert. Ich musste noch mal nach Irland zu meiner Höhle und als ich dann hier war, brauchte mich Andreas. Es gab einfach nicht die Zeit und die Gelegenheit, das ein bisschen zu feiern.“

      Olav nickte. Sondra hatte es sich auf der großen Couch bequem gemacht und ihre Beine unter sich geschlagen. Silke saß auf dem zweiten Sessel und schaute ihrem Mann zu, wie er seine Pfeife anzündete.

      ´Es ist ein Ritual, jedes Mal! `, dachte sich Sondra.

      „Andreas war in letzter Zeit sehr angespannt, nicht wahr? Macht ihm der Fall immer noch zu schaffen?“ Silke blickte kurz zu Sondra hinüber. In diesem kurzen Moment erkannte Sondra die Sorge, die sich Silke um ihren einzigen Sohn machte.

      „Ja, der Fall ist noch nicht ganz abgeschlossen. Aber in knapp zwei Wochen beginnt der Prozess. Andreas, sein Team und die Staatsanwaltschaft überprüfen jedes Detail, jeden Beweis und jede Zeugenaussage zum x-ten Mal, um Fehler zu vermeiden. Dieser Mann soll nie wieder die Möglichkeit bekommen, Freiheit zu schnuppern. Und das ganze nimmt Andi unheimlich mit.“

      „Erzählt er Einzelheiten?“, wollte Olav wissen.

      „Nein. Das darf er gar nicht. Aber ich merke auch so, dass er völlig fertig ist, wenn er nach Hause kommt.“

      „Belastet das nicht eure Beziehung?“, fragte Silke.

      Sondra überlegte kurz. „Am Anfang, als Andi noch gar nichts sagen durfte. Da hatte ich manchmal ein befremdliches Gefühl. Aber ich merkte auch, dass er jemanden brauchte, der nicht viele Fragen stellt, sondern einfach nur da ist. Irgendwie hat uns das noch näher gebracht.“

      Einen Moment schwiegen die drei. Von oben war das Lachen von Jonas zu hören, weil Andreas mit ihm herumalberte. Sondra lächelte bei den Geräuschen.

      „Es tut gut, Andi wieder mal Lachen zu hören“, sagte Sondra leise. „Wenn dieser Albtraum mit dem Mörder vorbei ist, werden wir verreisen. Andi braucht unbedingt einen Tapetenwechsel.“

      Silke strahlte Sondra an. „Das ist eine hervorragende Idee.